»Kein Weg« ist Politik nach dem TINA-Prinzip
Die Linke sollte grundsätzlich Ja zur EU sagen, den Anspruch aber stärker verfolgen, diese zu verändern. Ein Beitrag zur Europa-Debatte von Halina Wawzyniak
Die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke und die stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, Janine Wissler, haben auf »nd« einen längeren Artikel unter der Überschrift »Die Grexit Frage(n) stellen« veröffentlicht. Es handelt sich um einen neuerlichen Debattenbeitrag aus meiner Partei zur aktuellen Situation in Griechenland und der Europäischen Union (EU). Dies ist zu begrüßen, wenngleich ich gestehe: Ich halte den darin vertretenen strategischen Ansatz für falsch und politisch irreführend. Ich halte es für falsch unser linkes »grundsätzliches Ja zur EU« infrage zu stellen. Die Autorinnen sprechen genau davon ein »Ja zur EU« zu überdenken, nicht ein »Ja zu dieser EU«. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Ein »Ja zur EU« zu überdenken heißt unser »Ja« grundsätzlich in Frage zu stellen und fördert eine Debatte, wie wir sie vor dem Hamburger Parteitag 2014 geführt haben. Und das wiederum bedeutet auch den Gedanken der Europäischen Integration in Frage zu stellen. Es bedeutet sich der Auseinandersetzung um die aktuelle EU, an der DIE LINKE zurecht erhebliche Kritik hat, zu entziehen. Sie stellt sich damit auch außerhalb des politische Diskurses und politischer Kämpfe in Europa. Es bedeutet, sich keine Gedanken mehr zu machen wie eine andere EU aussehen kann und wie es möglich sein wird dafür Mehrheiten zu gewinnen. Es bedeutet am Ende sich wieder auf den Nationalstaat zu konzentrieren. Ein Herrschaftskonstrukt, welches ich in Frage stelle.
Die Begründung ihrer Position leiten die Autorinnen aus den vergangenen sechs Monaten ab. Dafür muss ausgerechnet das mehrheitliche Fraktions-»Nein« bei der Griechenlandabstimmung am 17. Juli 2015 im Bundestag herhalten. »Dies (...), bedeutet aber – wenn wir ehrlich sind – eine Neubestimmung unserer Position, da noch im Februar der überwiegende Teil unserer Fraktion mit «Ja» und nur wenige mit Enthaltung oder mit «Nein» gestimmt haben.« Als ein Mitglied der Fraktion, die im Februar 2015 mit »Ja« und im Juli 2015 mit »Nein« gestimmt hat, finde ich gerade nicht, dass eine Neubestimmung unserer Positionierung zur EU daraus zwingend notwendig ist. Richtig ist, dass die Begründungen für das jeweilige Abstimmungsverhalten im Februar 2015 unterschiedlich waren. Nicole Gohlke enthielt sich damals und erklärte zu ihrem Abstimmungsverhalten: »Das Programm trägt leider nach wie vor in großen - für mich in zu großen - Teilen die Handschrift der Troika. Ich befürchte die Fortsetzung der Austeritäts- und Kürzungspolitik auf Kosten der griechischen Bevölkerung, ... .«
Die Autorinnen, und darin ist ihnen zuzustimmen, sehen das Ergebnis der Verhandlungen mit Griechenland als Niederlage progressiver Politik an. Eine Anti-Austeritätspolitik ist zurzeit nicht mehrheitsfähig in Europa oder stark genug, sich den Allmachtsansprüchen der deutschen Regierung zu entziehen. Vor diesem Hintergrund erklären sich die Überlegungen der Autorinnen, ein »grundsätzliches Ja zur EU« zu überdenken. Nach ihrer Ansicht gäbe es keinen Weg, welcher die Notwendigkeit des Verbleibs im Euro bei gleichzeitiger Ablehnung der Austeritätspolitk ermögliche. Wenn dem so wäre, würde dies zunächst einmal auf die derzeitige EU, nicht aber auf die EU generell zutreffen. Gibt es aber wirklich keinen anderen Weg oder wird hier »kein Weg« synonym für »keine anderen Mehrheitsverhältnisse« verwendet? »Kein Weg« ist Politik nach dem TINA-Prinzip.
TINA steht für: there is no alternative (Es gibt keine Alterantive). Mit dem TINA-Prinzip wird aber gerade die Logik der Herrschenden, es müsse sich zwischen Austerität oder Verbleib im Euro entschieden werden, übernommen. Diese Entscheidung ist doch nicht gottgegeben. Diese Entscheidung anders zu fällen ist eben gerade eine Frage der Mehrheitsverhältnisse. Und natürlich ist die Frage ob der vorherrschende Diskurs Austerität oder Verbleib im Euro unhinterfragt bleibt, eine Frage der politischen Aufklärungsarbeit gerade einer linken Partei und Bewegung.
Im Rahmen eines »Was-Wäre-Wenn-Diskurses« lässt sich gut fachsimpeln, ob unter anderen Bedingungen diese Frage immer noch so widerspruchslos gestellt hätte werden können. Was wäre, wenn die verschiedensten linken Parteien in der Lage gewesen wären die Erpressungen Deutschlands durch Aufklärungsarbeit öffentlich stärker ins Bewusstsein Europas zu rücken? Was wäre, wenn viel früher öffentlich geworden wäre, dass - so zitieren die Autorinnen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis - zu »keinem Zeitpunkt (...) auf die Vorschläge der griechischen Seite auch nur eingegangen« wurde. Was wäre, wenn die Vorschläge der griechischen Seite bekannt gemacht worden wären? Hätte es eine kritische Öffentlichkeit gegeben, die Druck auf die jeweiligen nationalen Regierungen ausgeübt hätte? Und ist nicht genau das, was die Autorinnen selbst anführen ein Beleg dafür, dass es Alternativen gibt?
Die Autorinnen sehen ob der Übernahme der Entscheidungsfrage Austerität oder Verbleib im Euro nun den Ausweg in einem Grexit von links. Sie begründen das wie folgt: »Ein Verbleib in der Eurozone bedeutet für Griechenland die Garantie auf weitere Kürzungen und Verelendung, die faktische Aufgabe demokratischer und parlamentarischer Kompetenzen und stellt SYRIZA vor eine Zerreißprobe. Er zwingt die SYRIZA-Regierung nun – zumindest vorläufig – dazu, statt zur Beenderin der Austeritätspolitik zum ausführenden Organ der Diktatur der Troika zu werden.« Da ist sie wieder die TINA-Politik. Statt eine Strategie zu entwickeln, wie das Eintreten dieses Szenarios verhindert werden kann - die Auseinandersetzung läuft aktuell - wird der Kopf in den Sand gesteckt. Ja, die derzeitigen Pläne sehen keine Beendigung der Austeritätspolitik in Europa und damit auch in Griechenland vor. Aber an den derzeitigen Plänen wird sich nichts ändern, wenn den Herrschenden das Spielfeld überlassen bleibt. Und es kann doch nicht ernsthaft die Alternative sein zu formulieren: »Zumindest kurzfristig könnte der Grexit mit schweren sozialen Verwerfungen, ökonomischen Abstürzen und weiterer Verelendung verbunden sein. Immerhin könnte aber auch – und wir meinen, diese Optionen sind es zumindest wert, einmal ernsthaft gedacht zu werden – ein neuer politischer Handlungsspielraum entstehen: mit einer selbst gesteuerten Kreditvergabe, eigenen Maßnahmen gegen Kapitalflucht und zur Besteuerung der Reichen ohne Mitsprache durch die Troika.« War es nicht der Schäuble-Plan, einen zeitlich begrenzten Grexit umzusetzen? Ein Stück Verelendungstheorie. Der Verelendung durch die Troika halten die Autorinnen nun selbst eine (kurzfristige) Verelendung und Verwerfung ohne Troika entgegen. Hier ist die Scheidelinie zwischen mir und den Autorinnen.
Wissenden Auges eine Verelendung von Menschen in Kauf zu nehmen, für die Option, es werde irgendwann besser, ist nicht meine Art von Politik. Zuerst muss es immer darum gehen Verelendung abzuwehren. Und um die Verelendung vieler abzuwehren ist eben eine andere EU nötig und nicht die Rückbesinnung auf den Nationalstaat. Im Parteiprogramm der LINKEN heißt es: »Linke Politik in Deutschland muss (...) heute mehr denn je die europäische Dimension mitdenken und für die Gestaltung der europäischen Politik eigene Vorschläge unterbreiten. Die Europäische Union ist für DIE LINKE eine unverzichtbare politische Handlungsebene.« Das soll jetzt nicht mehr gelten? Was ist mit folgender Position aus dem Parteiprogramm? »Die Europäische Union braucht einen Neustart mit einer vollständigen Revision jener primärrechtlichen Grundelemente der EU, die militaristisch, undemokratisch und neoliberal sind. Wir setzen uns deshalb weiter für eine Verfassung ein, die von den Bürgerinnen und Bürgern mitgestaltet wird und über die sie zeitgleich in allen EU-Mitgliedstaaten in einem Referendum abstimmen können«. Dem allen soll sich verschlossen werden?
Die Autorinnen formulieren: »Dass die EU den Euro und eine gemeinsame Geldpolitik, nicht aber eine gemeinsame Lohn-, Sozial- und Haushaltspolitik eingeführt hat, ist kein Versehen, kein Unfall und auch keine vorübergehende Erscheinung einer unfertigen EU.« Das ist richtig, hat aber auch niemand behauptet. Die Frage ist doch eher, ob Kräfte mobilisiert werden um zu erreichen, dass es endlich auch zu einer Wirtschafts- und Sozialunion in der Europäischen Union kommt und die Dumping-Konkurrenz entlang von Nationalgrenzen in einem vereinten Europa beendet wird In der Abstimmungserklärung von Nicole Gohlke vom Februar 2015 heißt es auch: »Es muss jetzt mehr denn je heißen, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in Europa zu verändern.« Darin ist ihr zuzustimmen. Aber derzeit gibt es Ideen für einen eigenen Haushalt der Eurozone, einen europäischen Finanzminister und europäische Steuern. DIE LINKE hat immer wieder betont, wie wichtig eine Sozialunion ist. Will eine linke Partei an dieser Stelle mit Mitstreiter/innen Forderungen oder Bedingungen formulieren oder will sie sich wegducken und sagen, das ist alles nichts für uns?
Es kann meines Erachtens nicht darum gehen das »grundsätzliche Ja zur EU« in Frage zu stellen. Es muss vielmehr darum gehen endlich zu untersetzen, wie wir uns eine EU grundsätzlich und gegen das Diktat nationalstaatlicher Regierungen vorstellen. Das ist eine konsequente Kritik und ein Bruch mit der derzeitigen EU. Im Wahlprogramm zur Europawahl 2014 hieß es: »DIE LINKE will die Europäische Union zu einer wirklichen Solidargemeinschaft entwickeln. Wir treten für ein europäisches Sozial- und Solidarsystem ein, durch das der Wert eines gemeinsamen europäischen Handelns für die in der EU lebenden Menschen sichtbar wird.« Wir sollten endlich entscheiden, ob wir die EU als Staatenverbund oder Vereinigte Staaten von Europa wollen. Wir sollten endlich daran gehen zu überlegen, wie die EU institutionell und demokratisch verfasst sein soll. Wollen wir eine Transferunion? Wollen wir gleiche Sozial- und Lohnstandards? Wollen wir ein Europäisches Parlament mit den umfassenden Rechten eines Parlamentes, vor allem eigener Gesetzgebungszuständigkeit? Wollen wir die EU-Kommission so wie sie jetzt ist und wenn nicht, welche Rolle soll sie zukünftig spielen und wie zusammengesetzt sein? Was halten wir von den Ideen für einen eigenen Haushalt der Eurozone, einen europäischen Finanzminister und europäische Steuern grundsätzlich und im Hinblick auf die derzeitige Verfasstheit der EU?
Am Ende des Beitrages fordern die Autorinnen: »Den Bruch mit einer EU, die Nationalismus, Abschottung und imperialistische Konflikte stärkt und nicht überwindet, den Bruch mit einer rein parlamentarischen Politik, die Parteien auf Wahlvereine und Parlamente auf die Durchsetzung der Interessen von Lobbygruppen reduziert.« Wie radikal. Erst am Ende schränken die Autorinnen diesen Bruch ein und beziehen ihn auf eine bestimmte EU. Aber was ist ihre Alternative. Nach dem was geschrieben steht eben keine andere EU, sondern ein Zurück zum Nationalstaat. Dazu wird noch ein Bruch mit rein parlamentarischer Politik gefordert. Nur, wer macht denn bitte rein parlamentarische Politik? Welcher Pappkamerad wird denn hier aufgebaut. Liegt es nicht an den jeweiligen Parteien selbst, wenn sie sich auf Wahlvereine reduzieren? Ist die Reduzierung des Parlaments auf die Durchsetzung der Interessen von Lobbygruppen nicht eine Frage der Mehrheitsverhältnisse? Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn die Lobbygruppen der Erwerbslosen, der Friedensbewegten, der Bürgerrechtsorganisationen und der Flüchtlingsinitiativen ihre Interessen durchsetzen würden?
Im Wahlprogramm zur Europawahl 2014 heißt es: »Die Alternative ist nicht der Rückzug aus der Union, sondern der Kampf um ihre Veränderung.« Und im Parteiprogramm heißt es: »... werden wir weiter für ein demokratisches, soziales, ökologisches und friedliches Europa kämpfen.« Ich finde das genau den richtigen Weg und deshalb will ich das grundsätzliche Ja zur EU nicht in Frage stellen. Ich würde lieber daran arbeiten, dass es eine andere EU wird. Demokratisch, friedlich und sozial gerecht.
Halina Wawzyniak ist Bundestagsabgeordnete der Linkspartei.
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