Irischstämmiger Dickschädel

Bostons Bürgermeister Marty Walsh sagt »No« zu Olympia in seiner Stadt. Von John Dyer , Boston

  • John Dyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Marty Walsh ist immer gut darin, mit offenen Worten die Öffentlichkeit zu erschrecken. So machte Bostons Bürgermeister zu Wochenbeginn Schlagzeilen, als er die Bewerbung seiner Stadt um die Olympischen Spiele 2024 zurückzog, weil er sie den damit verbundenen finanziellen Risiken nicht aussetzen will. »Ich weigere mich, die Zukunft der Stadt mit einer solchen Hypothek zu belasten«, sagte Walsh. Er weigere sich, dem Olympischen Komitee der USA einen Blankoscheck auszustellen, mit dem die Stadt für alle über die Planung hinaus gehenden Kosten haftbar wäre. »Kein Nutzen ist so groß, dass er es wert ist, die finanzielle Zukunft der Stadt aufs Spiel zu setzen, und unsere Bürger waren deshalb ziemlich zögerlich mit ihrer Unterstützung.«

Üblicherweise betteln die Bürgermeister möglicher Austragungsorte solcher Mega-Ereignisse darum, berücksichtigt zu werden. Sie hoffen auf Steigerung des Bekanntheitsgrades ihrer Stadt und auf Milliarden von Dollar, die in die Infrastrukturverbesserung gesteckt werden.

Aber Martin J. »Marty« Walsh ist kein Bettler. Und auch die wichtigen Leute im US-Olympiakomitee können ihn nicht einschüchtern. Der Mann hat seit seiner Jugend viel erlebt und ist dadurch härter geworden, als es manchem lieb ist. Als Kind erkrankte er mit sieben Jahren an Krebs. »Fast vier Jahre musste ich eine Chemotherapie machen«, erzählt Walsh beim Besuch des Dana Faber Institutes vor einigen Monaten. Dort wurde der heute 48-Jährige als Kind behandelt. »Ein Grund, warum ich Bürgermeister von Boston werden wollte, sind die Herausforderungen, die ich in meinem Leben zu bestehen hatte«, sagte er beim Besuch dort. Er habe seine innere Stärke gespürt »niemals aufzugeben und meinen Träumen zu folgen«.

Walsh wuchs in Boston als Kind irischer Einwanderer auf, die sich in der Gewerkschaft engagierten. Das führte ihn als jungen Mann erst auch in die Gewerkschaft, wo er einen Führungsposten übernahm, und dann in die sozialdemokratisch ausgerichtete Demokratie Partei. Für die trat er im November 2013 als Kandidat an und wurde zum Bürgermeister gewählt.

Marty Walsh fiel seine Entscheidung, die Austragung der Olympischen Spiele abzulehnen, nicht schwer. Denn Boston mit seinen 646 000 Einwohnern braucht die Spiele nicht, um aufzublühen. Die City of Boston erlebt derzeit einen nie da gewesenen Bauboom. Milliarden von Dollar fließen in die Stadt, wegen der Weltklasse-Universitäten und Kliniken, die einen technologischen und biotechnologischen Boom ausgelöst haben.

Allein im vergangenen Jahr haben Investoren 10,4 Milliarden Dollar (9,41 Milliarden Euro) in kommerzielle Projekte in Boston gesteckt, mehr als doppelt so viel wie noch 2013. Bekannte Immobilienfirmen wie Jones Lang LaSalle führen Boston an sechster Stelle auf einer Weltliste der lohnen Investitionen für Auslandskapital. Davor liegen nur London, New York, Tokio, Paris und Los Angeles. Und am Dienstag erst gab das weltweit renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) bekannt, dass es 1,2 Milliarden Dollar (1,09 Milliarden Euro) in ein Projekt am Kendall Square investieren wird, in einem Gebiet auf der anderen Seite des Charles River, das sich zum Herzstück der amerikanischen biotechnischen Industrie entwickelt.

Das alles hat Walsh in der Auseinandersetzung mit den hohen Herren des Nationalen Olympischen Komitees den Rücken gestärkt. Die behandelten ihn ohne Respekt, beklagte der Bürgermeister im Gespräch mit dem »Boston Globe«. Er habe oft stundenlang auf einen Anruf warten müssen, wenn das Komitee eine Entscheidung getroffen und veröffentlicht hatte, die seine Stadt betraf. Und dann hätten sie erst mit seinen Beamten telefoniert. »So macht man das nicht. Das Richtige ist, den Bürgermeister der City of Boston direkt anzurufen.«

Walshs Weigerung, den Olympiaverantwortlichen einen Blankoscheck zum Überziehen der Finanzplanung auszustellen, rief sofort Kritiker auf den Plan. Der bekannteste war Donald Trump, der 2016 als Präsidentschaftskandidat für die Republikaner antreten möchte. Trump nutzte den Kurznachrichtendienst Twitter, um gegen Walsh zu wettern: »Bostons Bürgermeister Walsh hat eine Menge Zeit und Geld verplempert, um sich um Olympia zu bewerben und dann doch aufzugeben. So einen kann ich als Verhandler nicht brauchen.«

Die Attacke von Trump war nach mancher Ansicht nur eine Antwort auf Walshs Kritik an Trumps Beschimpfung von mexikanischen Einwanderern. Die nannte er im Vorwahlkampf Verbrecher und Vergewaltiger. Walsh: »Wenn der hier ein Hotel bauen will, dann muss er sich zuvor bei den Menschen in diesem Land entschuldigen.«

Auch die lokale Bevölkerung verschont Walsh nicht. Als im vergangenen Winter schwere Schneefälle die ganze Stadt einschlossen, niemand mehr zur Arbeit konnte, da wurde es Mode, aus dem Fenster in den Schnee zu springen, das zu filmen und das Video ins Internet zu stellen. Walsh: »Ich fordere die Leute auf, den Blödsinn zu unterlassen.« Das sei »einfach dämlich« und dazu gefährlich.

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