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#Warmland

Kobane Libre: Fabian Köhler über syrische Flüchtlinge und das Klischee vom »hässlichen Deutschen«. Teil 3 der Serie

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.

An einem der heißesten Tage des Jahres kommt dieser Fremde in irgendein Kaff in der sächsischen Provinz. So ein 300-Einwohner-Nest zwischen Altmetallhandel und Bundesstraße, wo jeder jeden kennt. Schon als Kinder ging man gemeinsam zur Schule; also die, die überhaupt zur Schule gingen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, den Landkreis haben die meisten allenfalls einmal verlassen, wenn die Verwandtschaft aus dem Westen zur Goldenen Hochzeit einlud. Einmal in der Woche kommt der Bäcker auf Rädern. Aber ansonsten bleibt man meist unter sich.

Nun kommt also dieser Fremde, der kaum die Sprache spricht. Die Hose voller Staub, das T-Shirt verschwitzt, die Haare fettig. Sein Deutsch als holprig zu bezeichnen wäre beschönigend. »Ausländer, Ausländer«, rufen die Kinder, als sie ihn von Weitem sehen und strömen lachend aus ihren Häusern. Ein kleiner Ronnie nimmt stolz die Hand des Fremden und lässt sie für die nächsten Stunden nicht mehr los. Eine kichernde Mandy wirft Luftküsse. Günther, der Dorfälteste, bietet an, ihn durch die Straßen zu führen. Am Ende des Tages wurde der Fremde ungefähr acht Mal zum Essen, zwanzig Mal zum Tee und ein Dutzend Mal auf Facebook eingeladen. Er kennt die Lebensgeschichten von Dutzenden Dorfbewohnern. Er weiß, dass Ingrid nachts immer wach wird, seitdem sie ihren Mann im Krieg verloren hat. Dass Justins Traum, Maschinenbau zu studieren, am fehlenden Geld scheiterte. Und dass Susi sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich ihren Bruder wiederzusehen.

Kobane Libre

Es war einmal ein unbedeutendes Kaff im Norden von Syriens und es wurde zur Vision eines demokratischen Nahen Ostens. nd-Autor Fabian Köhler sucht in dieser Serie nach Kobane. Zwischen Tonnen von Trümmern und unter Tonnen von Klischees.

Teil 1: Hinterm Bordstein geht die Sonne auf

Teil 2: Spielzeug erinnert an »den Tag«

Teil 3: Warmland

Teil 4: Brennt da Kobane?

Teil 5: »Ich habe Angst vor dem Meer. Große Angst«

Teil 6: Lost in Prokrastination

Teil 7:  Mitten in der Linsensuppe

Die Geschichte ist nicht frei erfunden, nur in Sachsen spielt sie nicht. Sie spielt in einem syrischen Flüchtlingslager, eine Viertelstunde Fußweg vom türkischen Suruc und zwölf Kilometer von Kobane entfernt. Der verschwitzte Fremde bin ich. Mandy und Ronnie heißen eigentlich Hamudi und Shila. Und nicht nur eine Ingrid hat einen Verwandten im Krieg verloren, sondern jeder einzelne der 300 Bewohner. Wirklich jeder.

Sowieso hinkt der Vergleich hinten und vorn. Wirtschaftliche Verlustängste, fehlende Perspektiven, schlechte Bildung, das Gefühl des von »der Politik« Alleingelassenseins: All dies, womit in Deutschland versucht wird, den Rassismus der »besorgten Bürger« zu erklären (besser: zu rechtfertigen), gibt es nicht nur in diesem Flüchtlingslager tausend Mal schlimmer. Und dennoch geht vor der Containersiedlung kein wütender Mob auf die Straße; gründet niemand in Suruc die Facebook-Gruppe »Nein zum Asylheim«, haben hier die Menschen tatsächlich fast alles verloren – nur nicht ihre Gastfreundschaft, Selbstlosigkeit, Warmherzigkeit. Freilich Dinge, die die besorgten deutschen Bürger erst gar nicht verlieren können, weil sie sie nie hatten.

In den Containern am Rand von Suruc (im Gegensatz zu mancher neuen Zeltstadt in Deutschland übrigens mit Strom und Wasser) hat mich die zwölfjährige Amira heute gefragt, wie es eigentlich den Flüchtlingen in Deutschland geht. Mir kamen die Bilder von Pegida und Freital, die absurd niedrigen Zahlen syrischer Flüchtlinge, die Asylrechtsverschärfungen und CSU-Parolen, die Titelseiten über »falsche Flüchtlinge« und die Kälte der Mehrheitsbevölkerung in den Kopf. Im ersten Teil in dieser Serie habe ich geschrieben, ich wolle den Mythos von Kobane ergründen. Ich verspreche, ich komme in den nächsten Teilen darauf zurück. Aber als ich gestern nach passenden arabischen Begriffen grübelte, um diesem Mädchen, das fünf Geschwister in Kobane verloren hat, eine Antwort auf seine Frage zu geben, während es mir Sahnebonbons anbot, hat sich vor allem mein Klischee vom »hässlichen Deutschen« verändert. In Wahrheit ist er noch viel viel hässlicher.

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