Letzte Hoffnung Kirchenasyl
Zahl der Zufluchtsuchenden auf über 450 stark gestiegen - viele davon »Dublin-Fälle« / Streit um Engagement der Gemeinden oder Klöster geht weiter
Berlin. Für mehr als 450 Flüchtlinge in Deutschland ist es derzeit die letzte Hoffnung, die sie vor der Abschiebung bewahrt: das Kirchenasyl. Gemeinden oder Klöster gewähren ihnen Unterschlupf, bis die Frist zur Abschiebung verstrichen ist. Laut katholischer und evangelischer Kirche geht es hierbei um Härtefälle - also um Menschen, die bei einer Abschiebung mit Folter, Tod oder sonstiger Bedrohung rechnen müssen. Doch diese Hilfe stößt nicht überall auf Zustimmung. Bundesinnenminister Thomas de Mazière (CDU) eröffnete Anfang des Jahres eine heftige Debatte darüber, ob das Kirchenasyl überhaupt legal ist. Die Kirchen dürften sich nicht über geltendes Recht stellen. Bei einem Treffen im Februar loteten Kirchen, Behörden und Politik deshalb einen Kompromiss aus, der Kirchenasyle weiter ermöglicht.
Im Herbst sollte es nun zu einem weiteren Treffen kommen, um zu sehen, wie es in der Praxis weitergegangen ist. Doch welchen Rahmen es haben und wann genau es stattfinden soll, ist noch offen. In Kirchenkreisen ist inzwischen von Spätherbst oder dem Jahresende die Rede.
Die Zahlen, die die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche regelmäßig vorlegt, sprechen eine deutliche Sprache: Zum Stichtag 3. August lebten mehr als 450 Menschen in 293 Kirchenasylen - 256 davon sind so genannte Dublin-Fälle: Das heißt, die Flüchtlinge würden in das EU-Land abgeschoben, in dem sie angekommen sind. Bulgarien etwa oder Ungarn. Die Bedingungen dort sind für Flüchtlinge oft unmenschlich, nicht selten landen sie in Gefängnissen. Und dennoch - angesichts von knapp 180 000 Menschen, die im ersten Halbjahr 2015 in Deutschland Asyl beantragt haben, ist die Zahl der Flüchtlinge im Kirchenasyl gering.
Anfang des Jahres gab es lediglich 200 Fälle von Kirchenasyl mit etwa 360 Flüchtlingen. 2013 waren es gerade einmal 79 Fälle. Mit weiter steigender Zahl der Flüchtlinge sei auch mit steigender Zahl der Härtefälle zu rechnen - und dann wohl auch mit einer weiteren Zunahme der Fälle von Kirchenasyl, sagt die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Dietlind Jochims: »Wir rechnen weiterhin damit, dass Gemeinden Härtefälle bekanntwerden. Und dass dann die Gemeinden bereit sind, Kirchenasyl zu gewähren.«
Anfang des Jahres hatten sich die Kirchen und die Politik darauf verständigt, dass Einzelfälle erneut vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geprüft werden können, bevor die Betroffenen in das Kirchenasyl aufgenommen werden. Außerdem kam der Vorschlag vom Tisch, die Abschiebefrist von 6 auf 18 Monate zu verlängern. Viele Gemeinden hätten ein Kirchenasyl für eine so lange Zeit kaum schultern können - ganz abgesehen von der Belastung für die Flüchtlinge, die nur in den kircheneigenen Räumen sicher vor behördlichem Zugriff sind. Offiziell dürfen sie keine Spaziergänge machen oder einkaufen gehen. Sie sind komplett auf die Hilfe der Kirche angewiesen.
Das Bundesinnenministerium will die »Pilotphase« bis zum Herbst erst einmal abwarten und hält bis dahin still. Erst dann will Ressortchef de Maizière entscheiden, ob Änderungen nötig sind. Ihm kommt es darauf an, dass die Kirchen das Instrument maßvoll und nur in Ausnahmefällen einsetzen.
De Maizière kam in der Debatte bisher nicht gut weg. Er mahnte, die Kirchen dürften sich nicht über deutsches Recht hinwegsetzen - und zog mit einem umstrittenen Vergleich viel Zorn auf sich. Der CDU-Mann sagte im Februar, auch Muslime dürften nicht argumentieren, dass für sie die Scharia - also das islamische Recht - über deutschen Gesetzen stehe. Kirchenvertreter fühlten sich dadurch böse angegriffen. Die Stimmung war erst mal schwer gestört. De Maizière nahm den Scharia-Vergleich aber kurz darauf zurück. Inzwischen haben sich die Gemüter wieder beruhigt.
Alle Beteiligten sind sichtlich um Entspannung bemüht. So heißt es auch bei der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), man werde keine Zwischenbewertung abgeben. An der Position vom Februar habe sich nichts verändert. Damals hatten die katholischen Bischöfe und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) betont, dass die Kirchen mit dem Kirchenasyl nicht das Ziel verfolgen, den Rechtsstaat in Frage zu stellen oder Kritik am Dublin-System zu üben. Kirchenasyl habe sich als christlich-humanitäre Tradition etabliert. dpa/nd
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