Lernen ohne Angst
Eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof zeichnet die Geschichte des Black Mountain Colleges nach
Es war ein Bildungsexperiment. Eine Welt, geschaffen ohne Grenzen zum Lernen, in der man frei in der Wahl ist. Sich nicht festlegen muss, zwischen Kunst und Wissenschaft. 1933 wurde das legendäre Black Mountain College im US-Bundesstaat North Carolina gegründet. Das College erlangte mit seinem einzigartigen Ausbildungskonzept und den zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten, die dort lehrten und studierten, schnell große Berühmtheit. Die Gründer des Colleges wollten im Sinne der Ideen des Philosophen John Dewey ein erfahrungsbasiertes, interdisziplinäres Lehrinstitut aufbauen. 1956 musste das Institut seine Pforten wieder schließen. Dazwischen lag eine Zeit progressiver Kunst und Ausbildung, die die Entwicklung der Künste ab den 1950er Jahren in den USA stark prägte.
Mit der Ausstellung »Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933 - 1957« widmet sich der Hamburger Bahnhof nun erstmals in Deutschland in einer umfassenden Ausstellung den Anfangsjahren des Colleges. Es sind kleine Fragmente, Kunstwerke, wie die gewebte Handarbeit von Anni Albers, Fotografien, präzise Zeichnungen von Planeten, Filmaufnahmen, die die Geschichte des Instituts erzählen.
Das Black Mountain College wurde in den ersten Jahren nach seiner Gründung stark von deutschen und europäischen Emigranten geprägt, unter anderem mehrere deutsche Bauhaus-Lehrer wie Josef und Anni Albers, Alexander »Xanti« Schawinsky und Walter Gropius. Als das 1919 von Walter Gropius gegründete »Staatliche Bauhaus« nach der Machtergreifung Hitlers 1933 schließen musste, nahmen Anni und ihr Mann Josef Albers einen Lehrauftrag des Black Mountain Colleges an und unterrichteten dort bis 1945. Einen festgelegten Stundenplan gab es nicht, die Studenten sollten frei wählen in den Bereichen Kunst, Architektur, Geschichte, Physik, Literatur und Musik, ohne sich zu spezialisieren.
Die Kunst sollten die Studenten dazu nutzen, die eigene Persönlichkeit zu erfahren und zu erforschen. Freiheit durch die Anzahl der Möglichkeiten und interdisziplinäre Offenheit gehörten zu der experimentellen Vorgehensweise am College. In der College-Farm zur Selbstversorgung bauten die Lehrer und Studenten gemeinsam an, später errichteten sie ihr eigenes College-Gebäude. Die Grenzen zwischen Lehrenden und Lernenden verschwamm, sie lebten zusammen, experimentierten und versuchten an diesem Ort ihr ganz eigenes Konzept einer freien Welt zu schaffen. Albert Einstein, John Cage, Charles Olson, Robert Rauschenberg - die Liste einflussreicher Persönlichkeiten, die am College lehrten und lernten, ist lang.
Inmitten der Ausstellung schreitet ein Mann, Mitte zwanzig, durch den Raum und liest aus einem Manuskript. Mit fester Stimmer trägt er Gedanken über Erziehung vor, fordert auf, Kontroversen immer wieder zu hinterfragen. Meinungen nicht als gegeben, sondern als formbar anzunehmen und sich durch Antworten nicht gleich zufriedenstellen zu lassen. Der junge Mann studiert Sound Studies an der Universität der Künste in Berlin. In einem hochschulübergreifenden Projekt »Performing the Black Mountain Archive« haben Studierende verschiedener Kunsthochschulen Zugang zu dem Archiv des Black Mountain Colleges erhalten. In täglich stattfindenden Performances präsentieren die Studierenden Publikationen, die am College entstanden sind und lassen die Idee einer interdisziplinären Auseinandersetzung mit dem Gegenstand selbst wieder auferleben. Sie handeln dabei ganz im Geiste des Black Mountain Colleges. Oder wie John Cage es einmal formulierte: »Ich verstehe nicht, warum Leute Angst vor neuen Ideen haben. Ich habe Angst vor den alten.«
Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933 - 1957. Bis 27.9., Di/Mi/Fr 10-18, Do 10-20, Sa/So 11-18 Uhr, Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart, Invalidenstraße 50-51.
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