netzpolitik.org: Innenministerium war umfassend informiert
Landesverrats-Affäre wird zum Streit zwischen den Koalitionsparteien / Opposition will Maaßens Rücktritt / Linkenpolitikerin Wawzyniak für umfassende Konsequenzen
Update 16.13 Uhr: Innenministerium war umfassend informiert
Nach ARD-Informationen war das Bundesinnenministerium entgegen seiner bisherigen Darstellung über Anzeige und Ermittlungen gegen »Netzpolitik.org« früh informiert. Ein Sprecher von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte dem ARD-Hautstadtstudio, dass das umstrittene Gutachten aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz an zwei Fachabteilungen im Ministerium weitergeleitet worden sei. Den am Donnerstag veröffentlichten ARD-Recherchen zufolge erfolgte diese Weiterleitung im April oder Mai dieses Jahres.
In dem Gutachten habe der Verfassungsschutz auf Anfrage des Landeskriminalamtes Berlin dargelegt, warum es bei der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente durch »Netzpolitik.org« den Verrat von Staatsgeheimnissen und damit die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts gegeben sieht. Eine Reaktion aus dem Ministerium an das Bundesamt für Verfassungsschutz habe es nicht gegeben, weil man dessen Rechtsauffassung für »vertretbar« gehalten habe, teilte das Ministerium auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios mit.
Anders als bisher dargestellt sei im Ministerium auch bekannt gewesen, dass der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrates gegen die Journalisten Markus Beckedahl und André Meister eingeleitet hatte. Das dem Bundesinnenministerium unterstehende Bundeskriminalamt habe die zuständige Fachabteilung schon im Juni informiert, dass es vom Generalbundesanwalt mit den konkreten Ermittlungen wegen Landesverrats beauftragt worden sei.
Update 15.45 Uhr: Range offiziell in Ruhestand versetzt
Die Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range ist nun auch offiziell besiegelt. Bundespräsident Joachim Gauck hat die Ruhestandsurkunde geprüft und unterzeichnet, wie ein Sprecher des Bundespräsidialamts am Donnerstag sagte. Sie werde am Freitag dem Justizministerium übermittelt. Wann die Urkunde Range ausgehändigt wird, steht nach Angaben eines Ministeriumssprechers noch nicht fest. Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte Range am Dienstag im Streit um ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Blogger von Netzpolitik.org in den Ruhestand versetzt. Das Vertrauen sei »nachhaltig gestört«.
Update 13.55 Uhr: Sensburg will Journalisten nicht vom Landesverrat ausnehmen
In der Union gibt es Bedenken gegen das Vorhaben, Journalisten künftig generell nicht mehr wegen Landesverrats zu belangen. »Ich bin immer sehr skeptisch, wenn wir bestimmte Berufsgruppen aus Straftatbeständen herausnehmen«, sagte der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg, am Donnerstag im Deutschlandfunk. Es gebe in der deutschen Rechtsgeschichte nur »ganz wenige Fälle, wo Journalisten in den Verdacht des Landesverrates gerieten«. Und meistens seien diese Fälle »zugunsten der Pressefreiheit entschieden worden«.
Auch im Falle der Journalisten von netzpolitik.org sei der Straftatbestand des Landesverrats nicht verwirklicht, betonte Sensburg. Aber die Prüfung dieses Vorwurfs habe zugelassen werden müssen. In der Affäre um die Landesverrats-Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Online-Portals netzpolitik.org ist die Forderung laut geworden, Journalisten durch eine Gesetzesänderung von der Verfolgung wegen dieses Deliktes auszunehmen.
Update 12.10 Uhr: Keine Sondersitzung des Rechtsausschusses im Bundestag
Der Rechtsausschuss des Bundestages wird sich an diesem Freitag nicht mit der Affäre um den »Netzpolitik«-Blog beschäftigen. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne), kritisierte den Beschluss. Sie sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), am Donnerstag in Berlin, die große Koalition habe nicht verstanden, dass zur Demokratie Transparenz, Parlamente und die Pressefreiheit gehörten.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte am Mittwochabend einen entsprechenden Antrag der grünen Fraktion abgelehnt, wie am Donnerstagmorgen mitgeteilt wurde. Zuvor hatten die beiden Koalitionsfraktionen Union und SPD erklärt, sie hielten eine Sondersitzung nicht für notwendig.
»Das setzt den Skandal nur weiter fort, dass die Koalitionsfraktionen uns mit einer regulären Sitzung irgendwann im September abspeisen will«, sagte Künast. Was der Präsident des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen mit einer Strafanzeige zum Zwecke der Einschüchterung begonnen habe, »wird fortgesetzt, indem jetzt eine Sondersitzung abgelehnt wird«.
Rechtsausschuss des Bundestages wird sich an diesem Freitag nicht mit der Affäre um den »Netzpolitik«-Blog beschäftigen. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne), kritisierte den Beschluss. Sie sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), am Donnerstag in Berlin, die große Koalition habe nicht verstanden, dass zur Demokratie Transparenz, Parlamente und die Pressefreiheit gehörten.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte am Mittwochabend einen entsprechenden Antrag der grünen Fraktion abgelehnt, wie am Donnerstagmorgen mitgeteilt wurde. Zuvor hatten die beiden Koalitionsfraktionen Union und SPD erklärt, sie hielten eine Sondersitzung nicht für notwendig.
»Das setzt den Skandal nur weiter fort, dass die Koalitionsfraktionen uns mit einer regulären Sitzung irgendwann im September abspeisen will«, sagte Künast. Was der Präsident des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen mit einer Strafanzeige zum Zwecke der Einschüchterung begonnen habe, »wird fortgesetzt, indem jetzt eine Sondersitzung abgelehnt wird«.
Union gegen Maas, SPD gegen Maaßen
Berlin. Die Staatsaffäre um Ermittlungen gegen Journalisten wegen Landesverrats hat bisher den Generalbundesanwalt Harald Range seinen Posten gekostet. Nun streiten die Koalitionsparteien über das Gebaren von Justizminister Heiko Maas und Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Die Opposition verlangt weitere personelle Konsequenzen - und eine umfassende Reform.
»Ich kann das Verhalten von Minister Maas nicht nachvollziehen«, ging Berlins Justizsenator Thomas Heilmann von der CDU in der »Rheinischen Post« den SPD-Bundesminister an. »Entweder er versteht sich als vorgesetzte Behörde des Generalbundesanwalts, dann hätte er aber schon seit zwei Monaten eingreifen müssen. Oder er ist wie ich der Meinung, dass Politik nicht über politische Strafverfahren entscheiden darf, dann hätte er auch jetzt nicht eingreifen dürfen«, so Heilmann.
Maas hatte von den Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen zwei Journalisten von netzpolitik.org wegen Landesverrats seit mindestens dem 27. Mai gewusst und so, sieht es die Union, darauf Einfluss genommen. In den Reihen von CDU und CSU dies nun zunehmend kritisch gesehen. Nach der Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range durch Maas prüft die Berliner Staatsanwaltschaft nun auch den Anfangsverdacht einer Strafvereitelung im Amt. Mehrere Anzeigen gegen den Minister seien eingegangen, diese würden geprüft, sagte Staatsanwaltschafts-Sprecher Martin Steltner am Mittwoch.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich an die Seite von Maas gestellt. Der Minister genieße in dieser Frage die volle Unterstützung der Kanzlerin, sagte Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Mittwoch in Berlin. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung sehe vor, dass für derartige Personalentscheidungen die Stellungnahme der Kanzlerin eingeholt werden müsse. »In diesem Zusammenhang hat die Bundeskanzlerin keine Einwände gegen das Vorgehen des Bundesjustizministers geäußert«, sagte Wirtz.
Die Frage, ob Verfassungsschutzpräsident Maaßen ebenfalls das volle Vertrauen der Kanzlerin habe, wollte Wirtz nicht beantworten - oder konnte es nicht. »Es ist im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums, diese Frage«, sagte die Sprecherin. Derweil nimmt der Druck auf Maaßen zu, jedenfalls Seitens der SPD und der Opposition.
SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel sagte, die Ermittlungen gegen Journalisten wegen Landesverrats seien »ein schwerwiegender Fauxpas, den der Generalbundesanwalt zu verantworten hat«. Er sehe nun aber Verfassungsschutzpräsident Maaßen im Zentrum der Affäre. »Es entsteht zunehmend der Eindruck, dass vor allem der Verfassungsschutzpräsident Maaßen auf dünner Rechtsgrundlage ein Exempel an einem kleinen Blog statuieren wollte«, so Schäfer-Gümbel der »Rheinischen Post«.
Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, nannte die Entlassung von Maaßen »überfällig, er hat die ganze Landesverratsaffäre mit seiner Anzeige erst angestoßen«. Scharfe Kritik äußerte der Linkenchef auch am Bundesinnenminister. Dem »Handelsblatt« sagte Riexinger, de Maizière habe Maaßen nicht rechtzeitig gestoppt.
Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast, sagte der »Saarbrücker Zeitung«, die ganze Affäre habe mit einer Anzeige des Verfassungsschutzpräsidenten begonnen, »der offensichtlich nicht akzeptieren wollte, dass Journalisten investigativ tätig sind und die Machenschaften seiner Behörde aufdecken«. Daher sei auch ein Rücktritt von ihm nicht auszuschließen. »Maaßen hat offenbar ein gestörtes Verhältnis zu den demokratischen Grundprinzipien«, kritisierte Künast. »Deshalb fordern wir ja auch eine vollständige Aufklärung der Angelegenheit.«
Der Vizefraktionschef der Linken im Bundestag, Jan Korte, sagte, »die Entlassung von Generalbundesanwalt Range war zwar folgerichtig, ein substanzieller Beitrag zur Aufklärung der vom Bundesamt für Verfassungsschutz ausgelösten Affäre war sie nicht«. Die Verantwortung liege »letztlich bei Innenminister de Maizière und Verfassungsschutzpräsident Maaßen«, so Korte, der forderte, deren Rolle in der Affäre »jetzt dringend« aufzuklären. Er erwarte »von allen Beteiligten, jetzt die Karten auf den Tisch zu legen und den Schriftwechsel, insbesondere Weisungen und Genehmigungen zu der Affäre öffentlich zu machen, bevor es wieder Wikileaks und andere machen müssen«.
Damit ist auch die mögliche Verantwortung des Innenministers angesprochen. Der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil nannte das Verhalten des CDU-Politikers Thomas de Maizière (CDU) ein »Wegducken«. Sowohl die Rolle des Bundesinnenministers als auch des Verfassungsschutzpräsidenten müssten nun aufgeklärt werden, sagte er der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Günter Krings (CDU), äußerte dagegen Verständnis für das Vorgehen von Maaßen geäußert. »Die Weitergabe des Wirtschaftsplans des Verfassungsschutzes, aus dem alle Arbeitsschwerpunkte und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten dieser Sicherheitsbehörde ersichtlich sind, stellt eine neue Dimension des Durchstechens von Geheimnissen dar«, sagte Krings der »Rheinischen Post«.
Auch Bundesinnenminister Thomas de Mainiziere hatte Maaßen bereits den Rücken gestärkt. Der Verfassungsschutzchef habe sich »völlig korrekt« verhalten, sagte Ministeriumssprecher Tobias Plate. Das betreffe die Anzeige seiner Behörde gegen unbekannt und das Gutachten zur Frage des Staatsgeheimnisses. »Das wird auch bis hinauf zum Bundesinnenminister selbst so gesehen«, betonte Plate.
Die Linkenpolitikerin Halina Wawzyniak hat als Konsequenz aus der Landesverratsaffäre einen fünf Punkte umfassenden Katalog an Sofortmaßnahmen gefordert. So müssten Journalisten aus dem Straftatbestand des Landesverrats ausgenommen und ein umfassender Whistleblowerschutz eingeführt werden. Auch müsse nun gesetzlich festgeschrieben werden, dass Blogger unter den Zeugenschutz der Strafprozessordnung fallen. Wawzyniak forderte zudem, die politische Einflussnahme auf den Generalbundesanwalt gesetzlich auszuschließen. »Dazu wird es auch erforderlich sein, die Stellung des Generalbundesanwaltes als politischen Beamten zu beenden«, so die Juristin. Wawzyniak forderte zudem, den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung abzulehnen. Insbesondere der geplante Straftatbestand der Datenhehlerei »darf so nicht beschlossen werden«.
Auch Linkenchef Riexinger brachte gesetzgeberische Konsequenzen ins Spiel. »Um der künftigen Strafverfolgung von Journalisten durch die Geheimdienste einen Riegel vorzuschieben, müssen Journalisten aus dem Straftatbestand des Landesverrats ausgenommen werden.« FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki lehnt Gesetzesänderungen jedoch ab. »Wenn die staatlichen Behörden die institutionellen Garantien der Pressefreiheit achten, brauchen wir auch keine Schutzklauseln für Journalisten«, sagte er. Das Problem sei vielmehr, dass Maaßen »die grundgesetzlich zugesicherte Aufgabe der Medien, Versäumnisse oder Missstände aufzudecken, offensichtlich nicht vollumfänglich anerkennt und Innenminister de Maizière dies zumindest billigt, während der Bundesjustizminister Maas die Pressefreiheit trotz rechtlicher Vorbehalte erst schützt, nachdem der öffentliche Druck zu groß geworden ist«. Agenturen/nd
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