Apples smarte Dinger und die fallende Profitrate
Die Kopfarbeit von heute wirft Fragen zu der Marxschen Krisentheorie auf. Von Simon Poelchau
Das iPhone6 ist schon ein geiles Teil. Jeder will es haben, jeder berappt bis zu Tausend Euro für das schicke Smartphone. Notfalls steht man Schlange vorm nächsten Apple-Store um eins dieser begehrten Dinger zu bekommen. Allein in der Weihnachtszeit 2014 verkaufte der Konzern 74,5 Millionen dieser Geräte. Im gesamten Berichtsjahr 2014 waren es insgesamt fast 170 Millionen iPhones, die über die Ladentische gingen. Und das neue iPhone6s, das Apple im September vorstellen will, soll noch ein größerer Verkaufsschlager werden: 85 bis 90 Millionen der neuen Smartphones hat das Unternehmen aus dem Silicon Valley schon mal in Auftrag gegeben.
Vor allem ist das iPhone6 aber eines: Eine scheinbar nicht enden wollende Geldquelle für den kalifornischen Konzern. Allein in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres machte Apple einen Gewinn von 18 Milliarden Dollar - so viel hatte noch kein Unternehmen in einem Quartal verdient. Für Apple war das ein Gewinnsprung von über 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Doch was hätte der Theoretiker des Kapitals, der Erfinder des wissenschaftlichen Sozialismus, Karl Marx zum iPhone gesagte, hätte er es noch miterleben dürfen? Wäre es für ihn einfach eine weitere Fetischform des Kapitals gewesen? Oder hätte er gar Teile seiner Mehrwert- und Krisentheorie revidiert?
Es geht nämlich um den tendenziellen Fall der Profitrate. Die Kernaussage dieses zentralen Stücks Marxscher Theorie lautet: Das Kapital untergräbt unaufhörlich selbst seine eigenen Möglichkeiten, Profit zu machen, indem es in der Produktion immer mehr Maschinen im Vergleich zur Arbeitskraft verwendet. Denn nur die lebendige menschliche Arbeit kann im Produktionsprozess Mehrwert und somit letztlich auch Profit schaffen. Da nun ihr Anteil sinkt, sinke zwangsweise auch die Profitrate. Andauernde Krisen seien die Folge. So manch ein Marxist hatte deshalb schon die Hoffnung, dass die Kapitalisten bald gar keinen Profit mehr machen würden, die kapitalistische Produktionsweise sich von selbst abschaffe. Dass die Revolution geschehe, ohne dass die Revolutionäre dafür etwas tun bräuchten.
Die Debatte, ob sich das Kapital selbst fertig macht, ist spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise wieder aktuell. Sie stürzte Europa in eine seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nie mehr erlebte Rezession. In dieser Situation machte die neoliberale Politelite Europas das Einzige, was sie gelernt hat, um die Profitrate wieder nach oben zu treiben: Durch eine rigide Sparpolitik senkte sie den Wert der Ware Arbeitskraft und machte damit alles noch viel schlimmer, weil die Menschen, die die produzierten Waren kaufen sollten, fast kein Geld mehr hatten.
Der Marxist und Blogger Michael Roberts etwa wird nicht müde, auf seiner Seite Argumente zu bringen, dass die Profitraten eigentlich nur eine Richtung kennen - nämlich die nach unten. Mit aufwendigen Berechnungen und vielen Grafiken versucht er seine These zu untermauern, dass dieses Marxsche Gesetz unumstößlich gilt und die nächste Rezession immer gleich bevorsteht.
Ein weiterer linker Theoretiker, der mit seiner Überzeugung für viel Furore sorgt, dass der Kapitalismus bald Geschichte ist, ist der englische Journalist Paul Mason. Im »Guardian« erklärte er seine Sicht der Dinge jüngst in einem Essay mit dem vielsagenden Titel »Das Ende des Kapitalismus hat begonnen«. Weniger ökonomistisch lautet seine These, dass der Kapitalismus mit der technologischen Revolution seine eigenen Grundlagen zerstöre. Was nämlich heutzutage - in Zeiten, in denen die Automation der Produktion immer weiter voranschreitet - wirklich Wert schaffe, sei nicht mehr die menschliche Arbeit, sondern Wissen. Und dieses Wissen könne ohne Kosten unendlich häufig reproduziert werden, was seinen Wert gen Null fallen lasse.
Auf der anderen Seite der Debatte stehen Theoretiker wie der Wertkritiker Michael Heinrich, der schon seit längerem dafür bekannt ist, mit so manchem marxistischen Dogma aufräumen zu wollen. Seine Kritik an der Theorie über die fallende Profitrate hat er schon mehrfach dargestellt. Im Grunde genommen läuft sie darauf hinaus, dass es nicht ausgemacht sei, dass die sogenannte organische Zusammensetzung des Kapitals - also das Verhältnis von Maschinen und Co. zur Arbeitskraft - so schnell steige, dass dies die Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht mehr auffangen könne, und deswegen die Profitrate falle.
Was hat dies aber mit Apple und seinem iPhone zu tun? Der Erfolg des intelligenten Telefons ist nicht vom Himmel gefallen. Und er ist nicht allein der Geniestreich des verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs oder seines Nachfolgers als Unternehmenschef, Tim Cook. Es ist das Werk langer harter Arbeit einer Vielzahl von Händen und vor allem Köpfen. Wagt man nämlich einen Blick auf den Geschäftsbericht 2014 des Konzerns, dann fällt neben den Gewinn- und Absatzzahlen noch eine ganz andere Zahl auf: Über sechs Milliarden US-Dollar gab das Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr für Forschung und Entwicklung aus. Es ist der zweitgrößte Ausgabenposten überhaupt und wächst kontinuierlich an.
Denn im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts geht es nicht allein darum, irgendein Produkt kostengünstig auf den Markt zu bringen. Es geht darum, das Produkt schlechthin, die Ware, die jeder haben will, zu verkaufen. Und die Konkurrenz ist groß. »Auf Grund der extrem unbeständigen und auf Wettbewerb beruhenden Natur der Sektoren, in denen das Unternehmen tätig ist, muss das Unternehmen ständig neue Produkte, Dienstleistungen und Technologien einführen, bestehende Produkte und Dienstleistungen verbessern, und die Nachfrage der Konsumenten nach neuen und verbesserten Produkten stimulieren«, schreibt Apple in seinem Geschäftsbericht. Deswegen müsse das Unternehmen erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung tätigen. Und deswegen tüfteln Hunderte von Ingenieuren, Designern, Hard- und Software-Entwicklern an dem nächsten iPhone oder der Apple Watch.
Dabei ist Apple bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das bedeutende Kapitalmittel in Forschung und Entwicklung steckt. Alleine in Deutschland investierten die Unternehmen im Jahr 2013 knapp 54 Milliarden Euro in diesen Bereich. Zusammen mit Mitteln von Staat flossen insgesamt rund 80 Milliarden Euro oder fast drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung.
Und hier kommt die Debatte um den tendenziellen Fall der Profitrate wieder ins Spiel: Was ist, wenn diese Ausgaben in Forschung und Entwicklung eine Möglichkeit fürs Kapital wären, zumindest zeitweilig dieser Tendenz entgegenzuwirken? Nicht allein, indem Forschung und Entwicklung die Produktivität der menschlichen Arbeitskraft so sehr vermehrt, dass obwohl immer weniger Arbeit im Vergleich zu den Produktionsmitteln angewandt wird, die Profitrate trotzdem nicht sinkt. Diese Möglichkeit der Gegentendenz hatte Marx zumindest im Kopf.
Sondern das iPhone macht eine noch viel wesentlichere Frage auf. Nämlich die, wie die Arbeit der vielen Ingenieure, Designer und Entwickler zu bewerten ist. Wo ist ihre Arbeit vergegenständlicht? Fließt sie ein in die sogenannten Produktivkräfte, gehört sie also wie Maschinen, Werkzeuge und Rohmaterialien zum konstanten Kapital? Dann würde die Arbeit dieser Kopfarbeiter dem tendenziellen Fall der Profitrate nur bedingt entgegenwirken. Gleichzeitig aber stecken die Unternehmen heutzutage Unsummen in ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilung, um ihre Profitraten oben zu halten.
Da liegt die Idee für einen Marxisten dieser Tage nahe, diese Kopfarbeit als variables Kapital, als lebendige Arbeit, zu werten. Dadurch würde diese als mehrwertbildende Arbeit mit ins Produkt eingehen und das Verhältnis zwischen Produktionsmitteln und Arbeitskraft zugunsten der Arbeitskraft verschieben. Zumindest in der Theorie würde dadurch die Profitrate wieder steigen, weil einerseits mehr Mehrwert geschaffen wird und andererseits die sogenannte organische Zusammensetzung geringer wäre, als angenommen. Zudem könnte erklärt werden, warum manche Konzerne trotz Dauerkrise offenbar weiterhin Rekordgewinne einfahren.
Will man marxistischer Puritaner sein, hat dieser Ansatz jedoch einen Haken. Man findet ihn im zweiten Band des Kapitals. Dort behandelt Marx die Unterscheidung zwischen sogenanntem fixen und zirkulierenden Kapital, die auch bürgerliche Ökonomen zumindest ansatzweise kennen. Fixes Kapital sind demnach Maschinen und Werksgebäude; sie geben ihren Wert nur nach und nach an die Produkte ab. Demgegenüber steht das zirkulierende Kapital, das seinen Wert vollständig in das Produkt abgibt. Zu ihm zählt Marx neben Roh- und Hilfsstoffen eben auch die Arbeitskraft, die nicht nur Wert abgibt, sondern auch neuen Wert schafft. »Wie verschieden die Arbeitskraft sich also auch sonst, mit Bezug auf die Wertbildung, zu den kein fixes Kapital bildenden Bestandteilen des konstanten Kapitals verhält, diese Art des Umschlags ihres Werts hat sie mit ihnen gemein im Gegensatz zum fixen Kapital«, schreibt nämlich Marx ziemlich eindeutig.
Und auch im Maschinenfragement von 1858, in dem Marx die Bedeutung der Wissenschaft für den Kapitalismus herausstellt, sieht er diese vor allem als eine Möglichkeit der Rationalisierung des Produktionsprozess. Und außerdem - was noch viel wichtiger ist - legt der Text nahe, dass die in der Forschung vergegenständlichte Arbeit nicht etwas ist, was zur gesellschaftlich notwendigen Arbeit gehöre. Stattdessen ist sie dort etwas, das in »verfügbarer Zeit« - quasi in der kapitalistischen Freizeit - stattfindet.
Jedoch könnte es aus marxistischer Sicht durchaus legitim sein, die Kopfarbeit, die in Forschung und Entwicklung angewandt wird, quasi als fixes variables Kapital anzusehen. Im Vergleich zu heute bewegte sich der technische Fortschritt zu Marx' Zeiten quasi im Schneckentempo.
Damals gab es noch keine professionelle Forschung in den Unternehmen, heute hat jedes größere mittelständische Unternehmen eine Entwicklungsabteilung. Vor allem zeigte sich bei Marx der technische Fortschritt vornehmlich in der Entwicklung des Produktionsprozesses. Neue Maschinen wurden erfunden, mit denen mehr Waren in kürzerer Zeit und billiger gefertigt werden konnten.
Das Beispiel iPhone zeigt jedoch, dass heutzutage der Produktionsprozess gar nicht mehr entscheidend für den Erfolg einer Ware ist. So hat Apple genauso wie sein größter Konkurrent Samsung die eigentliche Montage der Smartphones an Firmen wie Foxconn ausgelagert. Erbitterte Gegner, die sich auf den wichtigen Märkten auch schon mal juristisch bekämpften, lassen ihre Waren quasi in derselben Halle produzieren. Vielmehr geht es Apple, Samsung und Co. eben darum, ein Produkt zu erschaffen, das jeder haben will. Und genau deswegen stecken sie den Großteil ihrer Energie nicht mehr in die Verbesserung des Produktionsprozesses, sondern viel mehr in die des Produktes selbst. Doch ist relativ eindeutig, dass die Kopfarbeit des einzelnen Ingenieurs oder Designers sich nicht direkt im einzelnen iPhone widerspiegelt. Vielmehr verteilt sich die Arbeit und Mehrarbeit der Kopfarbeiter in Form von Patenten und ähnlichem nur allmählich auf die einzelnen Produkte - eben beim klassischen fixen Kapital.
Damit gäbe es ein weiteres - zugegebener Maßen undogmatisches - Argument gegen das Gesetz der tendenziellen Profitrate. Zudem würde gleichzeitig die Arbeit der Ingenieure, Designer und Co. in marxistischen Kategorien erfasst. Schließlich spielt diese Art der Kopfarbeit schon seit längerem eine immer wichtigere Rolle im Verwertungsprozess.
Eingefleischte Krisentheoretiker können indes beruhigt sein: Dauerhaft werden sinkende Profitraten wohl nicht damit aufgehalten werden. Die Konkurrenz zwingt Apple und Co., regelmäßig neue Produkte auf den Markt zu bringen, die die alten Lizenzen und Patente sowie die darin vergegenständlichte Kopfarbeit entwerten. Zudem befinden sich derzeit auch weite Teile des Kapitals in einer Profitabilitätskrise, was sich in dem gegenwärtig extrem niedrigen Zinsniveau widerspiegelt. Dies jedoch nicht, weil zu wenig Kapital in Arbeitskraft und zu viel in Produktionsmittel angelegt ist, sondern weil es derzeit allgemein viel zu wenig profitable Anlagemöglichkeiten für zu viel freies Kapital gibt.
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