Griechenlands Krise in der Krise
Zehntausende Flüchtlinge kommen ins Land / Dramatische Zustände für die Migranten / Behörden und Hilfsorganisationen überfordert / Tsipras appelliert an europäische Solidarität
Berlin. Es ist die »Krise in der Krise«, so hat es Premier Alexis Tsipras mit Blick auf das ohnehin schon durch Kürzungsauflagen und Schuldenprobleme gebeutelte Griechenland bezeichnet: Allein im Juli sind mindestens 49.550 Flüchtlinge in Griechenland angekommen, so viele wie im gesamten Vorjahr. Im ganzen ersten Halbjahr 2015 waren es 124.000 Menschen, 63 Prozent von ihnen stammten aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Auf dem Weg über das Mittelmeer nach Europa riskieren viele ihr Leben.
Eine wichtige Route der vor Not, Elend und Krieg Flüchtenden führt durch die Ägäis nach Griechenland. Dort ist die Lage nach den Worten des zuständigen UN-Flüchtlingskommissars, Giorgos Tsarbopoulos, dramatisch. Die Behörden und die Hilfsorganisationen seien überfordert, sagte er im griechischen Rundfunk. Die meisten Flüchtlinge hätten auf kleinen Booten über die Türkei die griechischen Inseln Lesbos, Chios, Kos und Samos angesteuert.
Ministerpräsident Tsipras sagte am Freitag im griechischen Staatsfernsehen (ERT), es sei kein alleiniges Problem von Griechenland. Daran werde sich zeigen, ob es ein Europa der Solidarität gebe oder jeder sich nur um seine Grenzen kümmere. »Griechenland erlebt eine Krise in der Krise«, sagte er. »Wir tun alles, was wir können, um diese Menschen menschlich zu behandeln.« Die EU müsse sofort handeln.
Tsipras räumte nach einer Kabinettssitzung ein, die Flüchtlingskrise überfordere sein Land. Es sei außer mit einer Wirtschaftskrise auch mit einer humanitären Krise konfrontiert. Athen werde aber Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Flüchtlinge ergreifen. So sollten die auf den Inseln in der östlichen Ägäis an der Grenze zur Türkei gestrandeten Flüchtlinge künftig schneller auf das Festland gebracht werden. Der Staatsminister für Regierungskoordination, Alekos Flambouraris, werde sich um alle diese Fragen kümmern.
Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte, Griechenland habe bereits jetzt die Zusicherung, bis 2020 rund 260 Millionen Euro aus dem sogenannten Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) zu erhalten. Für die Auszahlung der ersten Tranche müsse das Land aber noch einige der vereinbarten Bedingungen erfüllen. Weitere 166 Millionen Euro für Griechenland sind nach Angaben aus Brüssel dem Fonds für die innere Sicherheit (ISF) eingeplant. Die ISF-Gelder sind dafür vorgesehen, den Grenzschutz der Mitgliedstaaten zu stärken.
Insgesamt wurden laut der so genannten Grenzschutzagentur Frontex bis Ende Juli fast 130 500 Migranten an den Außengrenzen Griechenlands gezählt - fünfmal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Registrierung der Flüchtlinge ist angesichts der hohen Zahl der Ankömmlinge und der zum Teil chaotischen Bedingungen vor Ort äußerst schwierig. Der überwiegende Teil der Flüchtlinge kam nach Frontex-Angaben aus Syrien und Afghanistan, auch der Anteil pakistanischer Migranten sei deutlich gestiegen.
Zur Bewältigung der Flüchtlingskrise fordert nach Griechenland nun auch Mazedonien rasche Hilfe von der Europäischen Union. Der mazedonische Innenminister Mitko Cavkov sagte der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« mit Blick auf den Nachbarn Griechenland, die EU sei in der Pflicht, weil das »Problem« in Mazedonien aus einem EU-Mitgliedsstaat importiert werde. Sein Land verfüge über keine ausreichenden Kapazitäten, um alle Flüchtlinge zu erfassen. Hilfsorganisationen schätzen, dass jeden Tag mehr als 2.000 Menschen die griechisch-mazedonische Grenze überqueren. Übertragen auf die Bevölkerungszahl in Deutschland sei das, als wenn jeden Tag 80.000 Menschen in die Bundesrepublik kämen, sagte Cavkov. Skopje fühle sich »von der EU im Stich gelassen«.
Der Minister erhob zugleich schwere Vorwürfe gegen Griechenland. Von dort würden die Flüchtlinge in Bussen organisiert bis an die Grenze zu Mazedonien gebracht. Ein Mitarbeiter Cavkovs sprach gegenüber der Zeitung von einer absurden Situation: Einerseits gelangten Menschen aus der EU ungehindert nach Mazedonien, andererseits unterstütze die EU Serbien dabei, diese Menschen von der Weiterreise in ihre eigentlichen Zielländer abzuhalten. Agenturen/nd
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