»Schutz«-Gesetz knebelt schon

In Spanien verhängen Behörden Strafen gegen Bürger, um sie mundtot zu machen

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Provinz Valencia hat eine Frau ein Polizeiauto fotografiert - auf dem Behindertenparkplatz stehend. Nach dem neuen »Ley mordaza« (Knebelgesetz) soll sie dafür nun 800 Euro Strafe zahlen.

Das »Gesetz zum Schutz der Bürger« trat im Juli in Spanien in Kraft. Doch statt Schutz steht Strafe für die im Vordergrund, die ihre Meinung äußern. Beispiele zeigen, wie die Behörden, ohne richterliche Kontrolle, diese neue Waffe einsetzen. »Ley mordaza« (Knebelgesetz) nennen die Gegner es und dieser Name beschreibt es besser. Ein im Ort Petrer entstandener Fall bewegt derzeit das Land: Eine Frau hatte vergangene Woche im Süden von Valencia per Foto dokumentiert, wie Polizisten der Kleinstadt auf einem Behindertenparkplatz stehen. Sie veröffentlichte das Bild bei dem sozialen Netzwerk Facebook mit dem Hinweis: »Man parkt, wo es einem gerade passt, und bekommt keine Strafe.« Dafür wurde die Frau von den Polizisten angezeigt und die Behörden verhängten innerhalb von nur 48 Stunden eine Geldstrafe von mehr als 800 Euro wegen »schweren Verstoßes« gegen das vermeintliche Bürger-Schutz-Gesetz.

Damit wird der Knebel noch drastischer eingesetzt, als es sich Gegner einst ausgemalt hatten. Benutzt wird ein Paragraf, der eigentlich Demonstranten abhalten soll, zum Teil schwere Übergriffe der Sicherheitskräfte zu dokumentieren. Damit konnten in Strafverfahren Verdächtige immer wieder entlastet werden. Nun drohen ihnen Geldstrafen zwischen 600 und 30 000 Euro, wenn »Bilder oder Daten« von »Mitgliedern der Sicherheitskräfte« benutzt werden, »die deren Sicherheit oder die ihrer Familie gefährden«. Worin die Gefahr im Fall des Fotos von Petrer bestehen soll, ist völlig unklar. Die Polizisten sehen jedoch ihre »Ehre« verletzt, weil sie in Ausübung ihres Amts hätten parken müssen, wo es gerade möglich war, begründeten sie ihre Anzeige.

Es handelt sich nicht um eine Überreaktion lokaler Behörden. Immer mehr solcher Fälle werden bekannt. So bekam Eduardo Díaz Ende Juli sogar persönlich Besuch von der Polizei in Güímar auf Teneriffa. Er staunte, als ihm erklärt wurde, dass ihm eine Geldstrafe von bis zu 600 Euro droht. Er hatte ebenfalls auf Facebook Bürgermeisterin und Polizei der Kleinstadt im Norden der Insel kritisiert. Der 27-Jährige gehört einer Gruppe an, die satirisch die Lokalpolitik kommentiert. In diesem Fall ging es darum, dass die Lokalpolizei größere Diensträume bekam. »Die Polizei bekommt viel Raum, während der Sozialdienst in Drecklöcher verbannt wird«, spielte er auf die Kürzungen der Bürgermeisterin Luisa Castro Dorta von der konservativen Partido Popular (PP) an.

Díaz hält es für »unglaublich«, dass er die »öffentliche Ordnung gestört oder die Sicherheit der Bürger gefährdet« haben soll. Beides sind Beispiele, mit denen bis in die Vereinten Nationen (UN) das Gesetz kritisiert wird. Der UN-Sonderberichterstatter für Grundrechte, Maina Kiai, hatte erklärt, schwammige Formulierungen öffneten Tür und Tor für eine »unverhältnismäßige« Anwendung, Einschränkungen der Meinungsfreiheit oder Kriminalisierung friedlicher Proteste.

Aber die höchste Strafe droht bisher San Juan de Coria. Die ebenfalls von der PP regierte Gemeinde in der Extremadura hätte es sich nicht träumen lassen, dass sich das Knebelgesetz einmal gegen sie richten könnte. Doch bei der festlichen Stierhatz im Juli wurde das Tier nach eineinhalb Stunden Kesseltreiben per Gewehrschuss von einem ausgewählten Bürger niedergestreckt, während auf dem Platz gefeiert wurde. Die Tierschutzpartei Pacma erstattete daraufhin Anzeige, weil das Tragen und die Nutzung einer Waffe bei öffentlichen Spektakeln nun als schwerer Gesetzesverstoß gilt. Bis zu 30 000 Euro soll die Gemeinde bezahlen, weil das Vorgehen von ihr und der lokalen Polizei geduldet wurde. Pacma spricht von einer »schrecklichen« Quälerei für den Stier. Dazu würden Menschen durch den »Waffeneinsatz« gefährdet. Der Bürgermeister José Manuel García Ballesteros (PP) verteidigt hingegen das Vorgehen und will Einspruch einlegen, wenn die Strafe festgesetzt ist.

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