46 Abgeordnete blieben lieber im Urlaub
Bundestag stimmt für Kreditprogramm für Griechenland: Opposition kritisiert Versagen der Merkel-Regierung / Schlagabtausch zwischen Linksfraktion und SPD / Schäuble nennt SYRIZA einen »schwierigen Fall«
Update 13.30 Uhr: Wer hat wie abgestimmt?
Der Bundestag hat am Mittwoch wie erwartet dem dritten Kreditprogramm für Griechenland zugestimmt - in einer Sondersitzung des Parlaments gaben am Mittwoch 453 Abgeordnete grünes Licht. Das Abstimmungsergebnis wurde nachträglich korrigiert. Während Parlamentspräsident Norbert Lammert zunächst 454 Ja-Stimmen verkündet hatte, waren in der kurz darauf verbreiteten Liste des Bundestags nur noch 453 Ja-Stimmen verzeichnet. Nach Angaben der Pressestelle hatte sich beim Erstellen der Namensliste gezeigt, dass aus zunächst nicht geklärter Ursache eine Stimmkarte zuviel in der Abstimmungsurne gelandet war. Allerdings kommt es immer wieder einmal vor, dass Abstimmungsergebnisse im Detail korrigiert werden müssen. Es gab 113 Gegenstimmen und 18 Enthaltungen. 46 Parlamentarier nahmen nicht an der Abstimmung teil. Wie votierten die einzelnen Fraktionen?
CDU und CSU
228 Ja
63 Nein
3 Enthaltungen
17 nicht abgegeben
SPD
173 Ja
4 Nein
16 nicht abgegeben
Linksfraktion
45 Nein
7 Enthaltungen
12 nicht abgegeben
Grüne
52 Ja
1 Nein (Christian Ströbele)
8 Enthaltungen
2 nicht abgegeben
Update 13.15 Uhr: Merkel fehlen 83 Abgeordnete aus den eigenen Reihen
In der Unionsfraktion haben ersten Berichten über die namentliche Abstimmung 63 Abgeordnete mit Nein votiert, drei enthielten sich, 17 Parlamentarier haben ihre Stimme nicht abgegeben. Damit ist der Widerstand gegen den Kurs von Kanzlerin und Bundesfinanzminister in der Griechenland-Frage so große wie nie zuvor. In der Linksfraktion entschieden sich sieben Abgeordnete für eine Enthaltung.
Update 12.10 Uhr: Bundestag stimmt drittem Kreditprogramm für Griechenland zu
In einer Sondersitzung des Parlaments gaben am Mittwoch 454 Abgeordnete grünes Licht für das neue Kreditprogramm für Griechenland. Es gab 113 Gegenstimmen und 18 Enthaltungen. Insgesamt zählt der Bundestag 631 Abgeordnete – das heißt, 46 Parlamentarier nahmen nicht an der Abstimmung teil. Die Liste der namentlichen Voten wird zeigen, aus welchen Fraktionen. Beobachter rechneten damit, dass es vor allem Unionsabgeordnete gewesen sein könnten, die damit ein Nein umgehen wollten.
Update 11.10 Uhr: Petition zur Schuldenstreichung von über 92.000 unterstützt
Eine Petition, die sich für die Streichung von Griechenlands Schulden und eine europäische Schuldenkonferenz stark macht, wird inzwischen von über 92.000 Menschen mitgezeichnet. »Jahrelang wurde in Griechenland gekürzt, gespart und gestrichen. Die Folgen: Die Wirtschaft brach ein, die Menschen verarmten und die Schulden stiegen weiter«, heißt es in der Petition. »Diese falsche Politik hat die Krise in Griechenland so stark vertieft, dass sich das Land ohne Schuldenerleichterung unmöglich erholen kann.« Man fordere daher »eine europäische Konferenz, auf der ein Schuldenerlass für Griechenland und andere Länder, die einen benötigen, vereinbart wird«, ein »Ende der erzwungenen Kürzungsmaßnahmen, die Ungleichheit und Armut in Europa und der ganzen Welt verursachen« sowie »die Erarbeitung von Regeln durch die Vereinten Nationen, damit Staatsschuldenkrisen in der Zukunft schnell, fair und unter Einhaltung der Menschenrechte gelöst werden können«. Die Petition wird auch von der durch mehr als 45 Nichtregierungsorganisationen unterstützte Initiative »Cancel Greek Debt« mitgetragen.
Update 10.55 Uhr: Opposition: Merkel-Regierung hat versagt
Die Opposition hat der Bundesregierung Versagen in der Griechenland-Politik vorgeworfen. Deutschland habe in der Krise bislang keinen einzigen Euro bezahlen müssen, sagte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi am Mittwoch in der Bundestagsdebatte zum neuen Kreditprogramm für Athen. Wenn die Bundesrepublik aber zu einem späteren Zeitpunkt doch noch zahlen müsse, wäre dies der verfehlten Politik der Regierung geschuldet.
Gysi verwies darauf, dass Deutschland nach Einschätzung von Experten in der Krise wegen niedriger Zinsen bereits 100 Milliarden Euro eingespart habe. Zahlen müssten dies die Sparer durch die Entwertung ihrer Einlagen, kritisierte der Linken-Fraktionschef. Sollte der griechische Staat pleite gehen, werde das zu einer Verarmung der dortigen Bevölkerung führen. Auch in Deutschland werde es dann zu einem »Verarmungsprozess« kommen. Deshalb müssten die Krisenländer wirtschaftlich aufgebaut werden. Wenn nun aber in Griechenland etwa die Renten gekürzt würden, werde dadurch lediglich die Binnennachfrage geschwächt.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte in der Debatte: »In diesem Paket steckt eine Menge Wunschdenken.« Er verwies auf die erwarteten 50 Milliarden Euro an Privatisierungserlösen. »Sie wissen selber, dass es das nie geben wird«, wandte er sich an die Koalition. Benötigt würden Schuldenerleichterungen, wie es der Internationale Währungsfonds (IWF) fordere. Die Auflagen für Griechenland müssten so gestaltet werden, dass die griechische Wirtschaft wieder funktionieren könne, sagte Hofreiter weiter. »Die Reformen müssen nicht besonders hart sein, sondern besonders wirkungsvoll.« Allerdings werde die Grünenfraktion trotz der damit verbundenen sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten in Griechenland dem Paket mehrheitlich zustimmen. Damit werde Solidarität mit Griechenland und den Menschen dort geübt.
Update 10.20 Uhr: Schlagabtausch zwischen Linksfraktion und SPD
Die Debatte im Bundestag ist zu einem beträchtlichen Teil eine Auseinandersetzung um das Votum der Linksfraktion: Für die hat Fraktionschef Gregor Gysi ein mehrheitliches Nein angekündigt, weil das neue Kreditprogramm keinen Beitrag zum Aufbau der Wirtschaft Griechenlands leiste und zudem sozial verheerende Auswirkungen haben könne. Nennenswerte Investitionen etwa in Bildung, Solar- oder Schiffsindustrie könnten immer noch nicht vorgenommen werden, kritisierte Gysi. Vielmehr würden etwa Sozial- und Rentenleistungen und damit Kaufkraft weiter abgebaut.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warf der Linksfraktion daraufhin wegen deren angekündigte Ablehnung des Kreditprogramms vor, »ihrer Schwesterpartei SYRIZA in Griechenland in den Rücken« zu fallen. Statt den Regierungschef Alexis Tsipras auf seinem Weg zu unterstützen, lege Linksfraktionschef Gysi einen argumentativ ganz schwachen »Eiertanz« hin, faktisch unterstütze die Linksfraktion die Position des »linksradikalen« Flügels von SYRIZA.
Bei der Rede des SPD-Abgeordneten Carsten Schneider ging es weiter im Schlagabtausch zwischen SPD und Linksfraktion – deren Abgeordneter Klaus Ernst mischte sich mit einer Nachfrage ein, Schneider antwortete darauf.
Update 9.30 Uhr: Taz fragt nach Kritik der Linkspartei an SYRIZA
»Wirklich wichtig ist es nicht, wie die Linkspartei über das Griechenland-Paket abstimmt«, schreibt die »taz« in einem Kommentar – interessiert sich aber für die Position der Linken zur SYRIZA-Politik. »Die Kritiker der Austeritätspolitik haben europaweit die besseren Argumente, scheitern aber regelmäßig – von Lafontaine über Hollande bis SYRIZA–, wenn sie an die Regierung kommen. Warum aber soll man auf eine Linke hoffen, die keinen Plan hat, was sie in der Regierung tun kann? Und warum sollen Wähler auf eine deutsche Linke setzen, die die Fehler ihrer griechischen Schwesterpartei nicht debattiert?«
Update 9.20 Uhr: Schäuble nennt Gläubiger-Auflagen »im Interesse Griechenlands«
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat im Bundestag um Zustimmung zu den neuen Milliardenkrediten und den damit verbundenen umstrittenen Auflagen geworben. Dies sei »im Interesse Griechenlands und im Interesse Europas«, sagte Schäuble in einer Regierungserklärung. Griechenland sei in der Eurogruppe »von Anfang ein schwieriger Fall«, aber dann bis Ende vergangenen Jahres auf gutem Weg gewesen. Dann habe Ministerpräsident Alexis Tsipras jedoch Versprechungen gemacht, die er nicht halten könne. »Jetzt muss er das Gegenteil von dem machen, was er versprochen hatte.«
Update 9.15 Uhr: Worüber wird im Bundestag abgestimmt?
Worüber abgestimmt wird? Erstens über einen 144 Seiten umfassenden Antrag zur »Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages für eine Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands nach dem Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)«, in dem auch eine deutsche Übersetzung des »Memorandums« enthalten ist. Zudem gibt es einen Anhang zum umstrittenen Privatisierungsfonds (69 Seiten) sowie einen Entschließungsantrag der Grünen.
Update 9 Uhr: Debatte im Bundestag begonnen
Mit einer Regierungserklärung des Bundesfinanzministers hat die Sondersitzung des Bundestags zum neuen Kreditprogramm für Griechenland begonnen.
Teile der Union und Linkspartei wollen OXI sagen
Berlin. Der Bundestag wird am Mittwochmorgen in einer Sondersitzung über das neue Kreditprogramm für Griechenland und die damit verbundenen umstrittenen Auflagen debattieren - eine Zustimmung ist sicher, mit ein wenig Spannung wird erwartet, wie viele Abgeordnete der Union gegen die Linie von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel votieren. Auch die Linkspartei wird wohl mit überwiegender Mehrheit mit Nein votieren, allerdings aus anderen Gründen als die so genannten »Abweichler« in der Union.
Bei einer Probeabstimmung in der Unionsfraktion gaben 56 Abgeordnete von CDU und CSU eine Nein-Stimme ab, vier weitere enthielten sich, wie Teilnehmer am Dienstagabend berichteten. Für Kritik sorgte in den vergangenen Tagen in den Reihen der Union unter anderem, dass der Internationale Währungsfonds seine Beteiligung an dem dritten Kreditprogramm offen gelassen hat - was die Unionsspitze zuvor als Bedingung für eine Zustimmung zum Paket ausgegeben hatte.
Merkel sagte Teilnehmern zufolge in der Fraktion, die SYRIZA-geführte Regierung sei angetreten, um wesentliche Prinzipien der Krisenpolitik zu konterkarieren. Deshalb sei es richtig gewesen, hart zu bleiben und »die Dinge kontrovers zu behandeln«. Im dritten Programm seien engmaschige Kontrollen installiert. Die Kanzlerin versicherte den Unionsabgeordneten jedoch, dass sie »keine Zweifel« habe, dass sich der IWF noch beteiligen werde. Auch Schäuble äußerte sich den Angaben zufolge dementsprechend. Er werbe mit »völliger Überzeugung« dafür, dem Kreditprogramm zuzustimmen, sagte Schäuble nach Angaben von Teilnehmern in der Sitzung.
Bei der letzten Griechenland-Abstimmung im Juli hatten 60 Unionsabgeordnete mit Nein gestimmt, fünf weitere enthielten sich. Unionsfraktionschef Volker Kauder hatte diese Abgeordneten scharf kritisiert - war dafür aber selbst in die Schusslinie geraten.
Die Linkspartei lehnt das Programm ab: Zwar enthalte das Paket auch positive Elemente, aber »die Katastrophe ist, dass die Abhängigkeit von der Troika noch verschärft wird«, sagte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi mit Blick auf die Institutionen der internationalen Gläubiger. Ebenfalls »eine Katastrophe« seien die als Auflage für neue Kredite vereinbarten Rentenkürzungen und die Erhöhung der Mehrwertsteuer in Griechenland.
Einige Abgeordnete hatten im Vorfeld der Sitzung überlegt, sich dennoch zu enthalten. Linken-Vize Axel Troost und Bundesschatzmeister Thomas Nord hatten mit zwei weiteren Parlamentariern in einem Papier darauf hingewiesen, dass das jüngste Hilfspaket »Chancen - wenn auch begrenzt - für politische Korrekturen der Gläubigerlinien« enthalte. Auch Stefan Liebich wird sich enthalten: »Ich sehe, dass diese Regierung versucht, das Beste aus dieser schwierigen Situation zu machen und da möchte ich ihr keine zusätzlichen Steine in den Weg legen. Ich kann das 'Nein' der Kollegen verstehen, aber ich bin zu einer anderen Entscheidung gekommen«, wird er in der ARD zitiert.
Die SPD befürwortet nach den Worten von Fraktionschef Thomas Oppermann das neue Programm für Griechenland. »Ich rechne mit großer Zustimmung in der SPD-Fraktion«, sagte Oppermann. Es sei besser als die beiden bisherigen Programme, da es »Impulse für soziale Gerechtigkeit« setze.
Insgesamt positiv äußerte sich trotz erheblicher Kritik an der Ausgestaltung des Programms Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. »Die Alternative zu einem dritten Hilfspaket wäre der Grexit«, warnte Hofreiter vor einem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Das Paket sei aber unehrlich, weil es zu wenige Wachstumsschancen biete und weil »der IWF und alle Menschen, die sich damit im Detail auskennen, wissen, dass Griechenland diese Schuldenlast dauerhaft nicht tragen kann«.
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, begrüßte das Kreditprogramm grundsätzlich: »Damit ist ein Grexit vom Tisch«, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch die verhandelten Erleichterungen beim Schuldendienst seien hilfreich. »Allerdings vermisse ich jeglichen Wachstumsimpuls, der die hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen und Griechenland aus der humanitären Katastrophe helfen würde«, sagte Hoffmann.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warnte vor unkalkulierbaren Risiken. »Mit dem dritten Hilfspaket bahnen Union und SPD den Weg in die Transferunion«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. »Statt umfassende Reformvorleistungen Griechenlands einzufordern, wurden diese auf den Herbst vertagt.« Es sei offen, ob sich Ministerpräsident Tsipras im Herbst noch an seine Zusagen erinnern werde. Ebenso offen sei die vor allem auch von Deutschland erhoffte Beteiligung des IWF. »Am Ende könnten Neuwahlen und chaotische Zustände in Griechenland stehen«, sagte Lindner. Agenturen/nd
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