Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Berlin und Bayern

Behörden schieben immer mehr Menschen ab / Über 8.000 Abschiebungen im ersten Halbjahr / Zunahme von 42 Prozent gegenüber Vergleichszeitraum im vergangenen Jahr / Kommunen fordern EU-Flüchtlingsgipfel

  • Lesedauer: 7 Min.

Update 15.00 Uhr: Rechter Täter war Polizei offenbar bereits bekannt
Zu den dreu mutmaßlich festgenommen Tätern des Brandanschlags auf die Flüchtlingsunterkunft in Marzahn-Hellersdorf gibt es inzwischen weitere Details. Die beiden Männer sowie eine Frau wurden vom Berliner Landeskriminalamt inzwischen verhört. Einer der männlichen Täter soll den Beamten bereits im Zusammenhang mit anderen rechtsradikalen Straftaten bekannt sein.

Update 14.26 Uhr: Innenminister Herrmann will Brand in Asylheim schnell aufklären
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dringt nach dem erneuten Brand in einem bayerischen Flüchtlingsheim auf schnelle Aufklärung. »Bislang steht noch nicht fest, ob es sich beim Brand in der Asylbewerberunterkunft in Neustadt an der Waldnaab um einen Brandanschlag handelt. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund kann jedoch nicht ausgeschlossen werden«, sagte er am Freitag. »Fest steht: Wir werden alles unternehmen, um den Brand aufzuklären.«

Update 13.05 Uhr: Zahl der neuen Asylbewerber aus Albanien halbiert
Die Zahl der neu ankommenden Asylbewerber aus Albanien hat sich nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mehr als halbiert. Mitte Juli seien noch 4300 Neuzugänge aus dem Land in einer Woche verzeichnet worden. In der vergangenen Woche seien es nur noch 2000 gewesen, sagte ein Sprecher der Behörde am Freitag in Nürnberg.

Das Bundesamt führt dies auf mehrere Maßnahmen zurück: Die Verfahren von Asylbewerbern vom Westbalkan werden seit einigen Wochen schneller bearbeitet, und es werden mehr Entscheidungen getroffen. In den Herkunftsländern wurde zudem verstärkt Öffentlichkeitsarbeit betrieben. »Inzwischen ist hier ein ganz deutlicher Effekt sichtbar«, sagte der Bamf-Sprecher.

Update 12.35 Uhr: Deutsche halten hohe Flüchtlingszahl für verkraftbar
Die Mehrheit der Deutschen ist laut einer Umfrage der Meinung, dass die Bundesrepublik die große Zahl von ankommenden Flüchtlingen verkraften kann. Dies gaben 60 Prozent der Befragten im aktuellen ZDF-»Politbarometer« an. Das waren etwas mehr als im Vormonat Juli, als 54 Prozent diese Ansicht vertraten, wie der Sender am Freitag mitteilte. 37 Prozent sehen dies nicht so.

Fast drei Viertel der Bürger sind demnach dafür, dass es bei der Unterbringung von Flüchtlingen und der Abwicklung der Asylverfahren Unterschiede geben sollte - je nachdem, welche Chance jemand auf ein Bleiberecht hat. 23 Prozent sprechen sich dagegen für eine Gleichbehandlung aller Flüchtlinge aus. Der Vorschlag, diesen Menschen weniger Geld- und dafür mehr Sachleistungen zu geben, stößt mehrheitlich auf Zustimmung (69 Prozent), 26 Prozent lehnen das ab.

Update 12.00 Uhr: Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf
Stefan Kosmoß, SPD-Bezirksbürgermeister des Berliner Bezirks Marzahn-Hellersdorf, hat den versuchten Anschlag auf das Flüchtlingsheim am Blumberger Damm verurteilt: »Es ist unmenschlich Menschen in Fluchtsituationen zu verfolgen und zu verängstigen. Es ist unsere Aufgabe, den Flüchtlingen eine sichere Aufnahme und einen ungestörten Aufenthalt während ihres Asylverfahrens zu gewährleisten.«

Update 10.10 Uhr: Brandanschlag auf Asylunterkunft in Neustadt an der Waldnaab
Kaltland zeigt sein rassistisches Gesicht: Auch im bayerischen Neustadt an der Waldnaab hat es in der Nacht zum Freitag einen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft gegeben. Wie der Bayerische Rundfunk berichtet, sei um 3.20 Uhr ein Notruf bei der Polizei eingegangen. Im Erdgeschoss der früheren Gaststätte haben Möbel geglimmt. Wie der »BR« berichtet, hatte ein in dem Heim wohnender Asylbewerber in der Nacht zwei Männer beobachtet, wie sie durch ein Fenster im Erdgeschoss flüchteten. Eine weitere Person habe vor dem Haus auf die mutmaßlichen Brandstifter gewartet. Von den insgesamt 20 im Haus lebenden Menschen wurde niemand verletzt, die Feuerwehr konnte den Brandherd schnell löschen.

Update 9.50 Uhr: Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkunft in Berlin
Der Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf hätte übel enden können: In der Nacht zum Freitag scheiterte eine Unbekannte nur knapp mit ihrem Versuch, die Asylunterkunft am Blumberger Damm in Brand zu setzen. Wie die »Berliner Zeitung« berichtet, habe ein Sicherheitsdienst gegen 23.45 Uhr eine Gruppe beobachtet, die neun mit Stoff umwickelte brennende Holzlatten über den Zaun warf. Glücklicherweise verfehlten die Männer ihr Ziel, das brennende Holz landete nur auf der gründfläche vor dem Gebäude, wo ein Bewohner das Feuer schnell löschen konnte. Wie die Polzei erklärte, konnte drei Männer zwischen 21 und 41 Jahren als mutmaßliche Täter festnehmen.

Zuletzt war in Marzahn-Hellersdorf eine deutliche Zunahme rassistischer Vorfälle registriert worden. Allein im ersten Halbjahr 2015 seien dort 84 rechtsradikale Vorfälle bekanntgeworden, teilte die Antirassistische Registerstelle an der Alice Salomon Hochschule Berlin am Samstag mit. Dies sei eine Verdopplung der Fallzahlen, im ganzen Jahr 2014 seien dort 85 rassistische Vorfälle erfasst worden.

Einen Schwerpunkt unter den Ortsteilen sei Marzahn-Mitte, knapp 70 Prozent der registrierten Vorfälle hätten dort stattgefunden, hieß es weiter. Die monatelangen Proteste gegen das Flüchtlingsheim in der Gegend und die Agitation der rechtsradikalen »Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf« schürten im Bezirk und in der Umgebung des Heims seit mehr als neun Monaten eine Atmosphäre der Angst.

Allein in den ersten beiden Wochen nach der Eröffnung des Wohnheims am Blumberger Damm sei kaum ein Tag ohne einen Vorfall im Umfeld vergangen, hieß es weiter. Nach dem Einzug seien mindestens zwei gewalttätige Angriffe auf Asylsuchende aus dem Heim registriert worden, die bislang nicht öffentlich gemacht worden seien. Die Registerstelle macht vor allem Mitglieder der rechtsextremen »Bürgerbewegung« für die Vorfälle verantwortlich.

Behörden schieben immer mehr Menschen ab

Berlin. Vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen nimmt auch die Zahl der Abschiebungen drastisch zu. Die Bundesländer haben im ersten Halbjahr laut Innenministerium bundesweit 8.178 Abschiebungen gezählt – das sind 42 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2014. Fast 67 Prozent der Abgeschobenen in der ersten Jahreshälfte stammten aus Westbalkanstaaten. Darunter waren etwa 2.500 Kosovaren und etwa 1.500 Albaner. Im Vorjahreszeitraum hatte der Anteil der Abgeschobenen vom Westbalkan noch bei knapp 43 Prozent gelegen.

Baden-Württemberg zählte den Angaben nach bereits im ersten Halbjahr in etwa so viele Abschiebungen wie im gesamten Vorjahr (1.080). Im Juli kamen dort noch mal 197 Fälle hinzu. In Bayern gab es in den ersten sechs Monaten (1.646) sogar deutlich mehr Abschiebungen als im Gesamtjahr 2014 (1.007).

Die Bundesländer nehmen - je nach Einwohnerzahl und Steuereinnahmen - unterschiedlich viele Flüchtlinge auf. Die großen Länder Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen liegen dabei an der Spitze - insofern gibt es dort auch mehr Abschiebungen. Aber auch in kleineren Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern - bei der Verteilung von Flüchtlingen unter den Ländern auf einem der hinteren Ränge – nahmen die Abschiebezahlen zu. In Mecklenburg-Vorpommern waren es im ersten Halbjahr 180, allein im Juli dann 76. 2014 hatte man dort insgesamt 315 Fälle gezählt.

Derweil haben die Kommunen einen EU-Sondergipfel zur Flüchtlingspolitik gefordert. »Der alte Kontinent ist längst zum Ziel von Millionen Flüchtlingen geworden. Darauf muss Europa genauso engagiert und bestimmt reagieren wie bei der Griechenlandkrise«, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, der »Passauer Neuen Presse«. Die EU-Regierungschefs müssten eine Quotenregelung für die Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedsstaaten, europaweit verbindliche menschenwürdige Standards für Flüchtlinge sowie einen Masterplan zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Balkanstaaten vereinbaren, um die Zuwanderung aus diesen Ländern zu reduzieren. »Die Freizügigkeit in Europa ohne Grenzkontrollen wird ohne eine europäische Asyl- und Zuwanderungspolitik keine Chance haben«, sagte Landsberg.

Es könne nicht sein, dass Deutschland als der größte Nettozahler der EU mit Schweden zusammen die Hauptlast der Zuwanderung tragen müsse, argumentierte Landsberg. Insbesondere seien jene Staaten gefordert, »die bisher kaum Flüchtlinge aufnehmen und entweder durch Abschreckungsmaßnahmen die Menschen fernhalten wollen oder sie ohne Registrierung nach Deutschland weiterreisen lassen«. Den Ländern, die mit der Aufnahme und Registrierung von Flüchtlingen aufgrund ihrer eigenen geringen Wirtschaftskraft überfordert sind, müsse mit einem europäischen Flüchtlingsmanagement bei Registrierung, Versorgung und Unterbringung gezielt geholfen werden. nd/Agenturen

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