Viel Stress für Erzieher im Osten

Betreuungsschlüssel durchweg schlechter als in den alten Ländern

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine aktuelle Studie gibt den streikbereiten Erziehern weitere Argumente an die Hand. Vor allem im Osten müssen sich zu wenige Fachkräfte um zu viele Kinder kümmern.

Deutschlands Erzieherinnen und Erzieher sind sauer. So sauer, dass sie jüngst mit großer Mehrheit den Schlichterspruch im Tarifstreit ablehnten und weiter streiken wollen. Zu mies die Bezahlung, zu gering die Anerkennung. Nicht zu vergessen die Arbeitsbelastung. Eine am Montag veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass bundesweit aber immer noch Tausende Erzieherinnen fehlen. Deutlichstes Indiz sind die Betreuungsschlüssel, die wiedergeben, um wie viele Kinder sich eine Fachkraft im Durchschnitt kümmern muss. Demnach kommen derzeit auf eine vollzeitbeschäftigte Kita-Fachkraft durchschnittlich 4,4 ganztags betreute Krippenkinder oder 9,5 Kindergartenkinder. Zwei Jahre zuvor war eine Erzieherin noch durchschnittlich für 4,8 Krippenkinder oder 9,8 Kindergartenkinder zuständig. Doch diese Zahlen geben nur den Bundesdurchschnitt wieder. Beim genaueren Blick auf die Statistik offenbart sich ein enormes Ost-West-Gefälle auf. Während sich eine Erzieherin in einer Kita Mecklenburg-Vorpommerns im Schnitt um mehr als 14 Kinder kümmern muss, hat ihre Kollegin in Stuttgart mehr Zeit für jedes einzelne Kind: Hier liegt das Verhältnis bei 1 zu 7,7. Damit hat man im Südwesten das Optimum nur knapp verfehlt. So empfiehlt die Bertelsmann-Stiftung ein Betreuungsverhältnis, demzufolge eine Erzieherin für höchstens drei unter Dreijährige oder 7,5 Kinder ab drei Jahren zuständig sein sollte.

Anruf beim Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern. Im zuständigen Sozialministerium verweist man auf unterschiedliche Standards bei der Erfassung in den einzelnen Bundesländern. »Wir zählen wirklich nur die Fachkräfte, die Kinder betreuen, während andere Bundesländer alle Angestellten einer Kita mit reinrechnen«, so ein Sprecher von Landessozialministerin Birgit Hesse (SPD) gegenüber »neues deutschland«. Heißt: Der Nordosten ist zwar nicht besser, als in der Studie dargestellt, die anderen sind aber schlechter.

Rechnen sich die anderen Länder ihre Betreuungsquote also schön? Im Kultusministerium des Spitzenreiters Baden-Württembergs weist man das zurück. »Wir rechnen nur mit Fachkräften«, sagte eine Sprecherin am Montag dem »nd«. Dafür würden eindeutige Kriterien gelten. Offenbar ist der Schlüssel bei den unter Dreijährigen im Ländle sogar noch besser als der von Bertelsmann errechnete Wert von 3,1. In einer Studie des Bundes vom Mai sei man sogar auf einen Schlüssel von 2,9 gekommen, betonte die Referentin. Doch warum liegt der Westen hier vorn? Der Sprecher des Sozialministeriums Mecklenburg-Vorpommerns erinnerte an die Kosten, die man an die Eltern weiterreichen müsste. Laut einer Studie schlage eine Verbesserung des Schlüssels um zwei Kinder pro Jahr mit »einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag« zu Buche. Geld, das die Ostländer nicht haben oder nicht investieren wollen.

Der Westen hat zudem einen weiteren Vorteil: Weitaus weniger Eltern schicken ihre Kinder in die Krippe. Im Westen besuchen 22,7 Prozent aller Kinder unter drei eine Krippe, im Osten sind es mehr als 46 Prozent.

Für die Erzieherinnen in den neuen Ländern bedeutet das mehr Stress: »Ungünstige Personalschlüssel wirken sich nicht nur für die Kinder negativ aus, sondern erhöhen auch die Belastung der Kita-Fachkräfte«, schreiben die Autoren der Studie. Folge der erhöhten Arbeitsbelastung seien »hohe gesundheitliche Risiken für diese Berufsgruppe«.

Noch komplizierter wird es für viele Fachkräfte, weil in kaum einem Bundesland klar geregelt ist, wie viel Arbeitszeit für Aufgaben neben der pädagogischen Arbeit mit den Kindern reserviert ist. »Team- und Elterngespräche, Dokumentation und Fortbildung machen in der Praxis mindestens ein Viertel der Aufgaben einer Erzieherin aus«, so die Autoren der Studie. Während Vollzeitkräfte hierfür in der Regel ausreichend Zeit einplanen könnten, »geraten die Teilzeitkräfte unter Druck«. Immerhin 41 Prozent des Kita-Personals arbeitet weniger als 32 Stunden wöchentlich. Zudem seien 41 Prozent der Fachkräfte unter 25 befristet angestellt. Ver.di-Bundesfachgruppenvorsitzende Angelika Spautz bestätigte gegenüber »nd« die Zahlen. Zwar habe sich die Lage in letzter Zeit leicht verbessert, doch noch immer würden vor allem Freie Träger die Stellen zeitlich begrenzen. »Möglich wird das durch das Teilzeitbefristungsgesetz, das es Arbeitgebern erlaubt, die Stellen ohne Grund auf zwei Jahre zu befristen«, so Spautz.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) räumte am Montag in Berlin ein, »dass wir bei der Qualität der Kindertagesbetreuung noch einen längeren Weg vor uns haben«. Deshalb sollten die frei werdenden Mittel aus dem vom Bundesverfassungsgericht gekippten Betreuungsgeld für eine verbesserte Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt werden.

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