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»Asylkritische Personen« jagten Polizisten

Zu wenige ungenügend ausgerüstete Beamte vor der Asylbewerber-Unterkunft in Heidenau- nur Unvermögen der Führung?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Dresden hat faktisch zwei Polizeipräsidenten - schickte aber nur eine Hundertschaft, um den Rassistenmob in Heidenau davon abzuhalten, über Flüchtlinge herzufallen. Personalmangel oder Kalkül?

Dresden, Riesa, Freital, Meißen ... dass in Heidenau die »Stimmung« weiter hochkocht, war lange vor Ankunft der Flüchtlingsbusse an der Unterkunft im ehemaligen Baumarkt klar. Ende der Woche konnte man beobachten, wie die Anzahl der Blockierer von 200 auf vermutlich 600 wuchs und immer mehr militante Rechtsextremisten den »Bürgerprotest« in die Hand nahmen. In sozialen Netzwerken ließen sie keinen Zweifel über ihre Absichten.

Und wie reagierte die Polizeiführung in Dresden? Sie schickte 136 Beamte, anfangs sogar ohne Schutzschilde. Später waren es dann 170 - doch weiter ohne Wasserwerfer und Räumfahrzeuge, die man in Stellung bringt, wenn Demokraten Nazidemos zu blockieren drohen oder gegen G7-Allmacht demonstriert wird. Dummheit? Warum gab man den Polizeitruppe keine sogenannten BFE-Trupps an die Seite? Solche Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten greifen sich Rädelsführer und sorgen dafür, dass Straftaten von der Justiz beweissicher verfolgt werden können. In Heidenau hatten nahkampferfahrene Nazis die Oberhand.

Hagen Husgen, Chef der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen, beklagt in diesem Zusammenhang die Stellenstreichungen der vergangenen Jahre und moniert gegenüber »nd«, dass bis 2025 weitere 1000 Beamtenstellen gestrichen werden sollen. Sicher ein wichtiges Argument. Husgen ist wütend. Jeder vierte in Heidenau eingesetzte Beamte ist nach den Nazigewaltorgien ob zum Teil schwerer Verletzungen dienstunfähig. »Verheizt hat man die Kollegen«, sagt Husgen. Das stimmt offenbar.

Sachsen hat sieben Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, also siebenmal mehr für solche Lagen ausgebildete und ausgerüstete Beamte wie in Heidenau. Sicher waren viele auch an diesem Wochenende wieder bei Risikospielen der Dritten Fußball-Liga eingesetzt. Kann Personalnotstand als Entschuldigung reichen? Nein, denn die Führung kann sogenannte Aufrufhundertschaften in anderen Polizeidirektionen zusammentrommeln. Das unterblieb ebenso wie die Bitte an benachbarte Länder - denkbar sind Thüringen, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt -, Verstärkung bereitzustellen. Denkbar wäre auch der Einsatz von Bundespolizei gewesen, schließlich ist die - wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière jüngst sagte - gefordert, aber nicht überfordert.

Seinem Landesinnenminister und CDU-Parteifreund Markus Ulbig, der in den vergangenen Wochen beim Thema Asylbewerber grundsätzlich versagte, darf man getrost auch in Sachen Polizei jegliche Kompetenz absprechen. Nicht aber der zuständigen Polizeidirektion in Dresden. Während der eine Chef, der eher aus dem Bereich Kriminalpolizei kommt, sich auf die Rente vorbereitet, war der jüngere andere Chef der Bereitschaftspolizei in Sachsen. Ulrich Bornmann hat beste Beziehungen ins Innenministerium und gilt nicht als »Weichei«. Sein Nachfolger bei der Bereitschaftspolizei war Leiter des Führungsstabes, ist also einer von Ulbigs Leuten. Und solche erfahrene Polizeiführer haben die Lage in Heidenau wirklich nicht richtig analysiert? Sie konnten das politische Umfeld in der Sächsischen Schweiz nicht deuten, wo die NPD stark ist und gewaltorientierte rechtsextreme »Kameraden« seit Jahrzehnten bestens organisiert sind? Oder sollte die Polizei benutzt werden, um zeigen: Der Rechtsstaat ist am Ende angesichts der »Asylantenflut«? In dem Fall muss »die Politik« reagieren. Grenzen dicht, Asylbewerber raus, mehr sichere Drittstaaten - derartige Forderungen sind längst in schwarzen Regierungskreisen von Ländern und im Bund akzeptiert und ein Geschenk an »die Straße«.

Für diese These sprechen Polizeimeldungen. Obwohl die Beamten von rechtsextremen Schlägern zum Teil lebensgefährlich attackiert worden sind, obwohl es sich nach eigenen Äußerungen in Heidenau um schweren Landfriedensbruch handelte, stand man laut Polizeipräsidium Dresden lediglich Personen gegenüber, »die sich asylkritisch äußerten«.

Die Sprachregelung scheint Sachsen-Standard zu sein. Siehe sächsisches Landesamt für Verfassungsschutz. »Die überwiegende Mehrzahl asylkritischer Veranstaltungen im Freistaat Sachsen wird von nichtextremistischen Gruppen initiiert und getragen«, analysiert der Geheimdienst aktuell. Rechtsextremisten bieten sich nur »als Unterstützer bei der Organisation und Durchführung asylkritischer Veranstaltungen an«. Sie versuchten, »Einfluss auf Ziel und Art des asylkritischen Protestes zu gewinnen«.

Gordian Meyer-Plath ist Präsident des Landesamtes. Er führte einst in Brandenburg selbst einen wegen Mordversuchs verurteilten Neonazi als V-Mann. Der Einsatz solcher Vertrauensleute sei unverzichtbar, beharrt der Geheimdienstchef. Was hat seine 170-Beamten-Behörde also in den letzten Monaten über die zunehmende Militanz der Neonazis gegen Asylbewerber herausgefunden? Und was hat man der Polizei mitgeteilt? Welche Schlussfolgerungen zog man daraus bei der regelmäßig stattfindenden Sicherheitslage im Ministerium, an der alle relevanten Entscheider teilnehmen?

Meyer-Plath zitiert gern den griechischen Philosophen Aristoteles: »Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.« Nun also: Welchen Kurs steuert man in Sachsen?

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