Probleme der Politologen
Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus – ja, was denn nun? Klärung einer Begriffsverwirrung
Mit AfD und Pegida haben unsere Politologen ein Problem. Sie wissen nicht, wie sie diese Bewegungen einschätzen sollen. Für die einen sind sie nur »populistisch«; für andere dagegen schon »radikal«; und eine dritte Gruppe der Politologen schätzt sie als »extremistisch« ein. Mit dieser unterschiedlichen Einschätzung ist eine unterschiedliche Wertung verbunden. Populistisch ist schlimm, radikal ist schlimmer und am schlimmsten soll extremistisch sein.
Sprachgeschichtlich ist diese unterschiedliche Wertung nicht zu begründen. Alle drei Begriffe stammen aus dem Lateinischen. Populistisch aus »populus« (Volk); radikal aus »radix« (die Wurzel) und extremistisch aus »extremus« (der äußerste). Für die Römer waren »populus«, »radix« und »extremus« keine negativ konnotierten Begriffe. Dem römischen Beispiel sind wir zumindest in unserer im Alltag gebrauchten Sprache gefolgt. Wir verurteilen keineswegs jeden, der sich populistisch, d.h. volkstümlich gibt, radikal ist, d.h. den Problemen an die Wurzel geht oder extreme, d.h. außerordentliche Taten vollbringt. Für Politologen sind populistisch, radikal und extremistisch dagegen negativ wertende politische Kampfbegriffe.
Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn man mit diesen politischen Kampfbegriffen die wirklichen und richtigen politischen Gegner bekämpfen würde. Heute sind das die Faschisten und Rassisten. Doch gerade sie trifft man nicht, wenn man sie als populistisch, radikal oder extremistisch einstuft. Faschisten und Rassisten sind nämlich nicht für, sondern gegen das Volk – sowohl gegen das eigene wie gegen andere Völker. Sie sind reaktionär und nicht radikal. Vor allem aber sind sie keineswegs nur auf den extremistischen Rändern, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft anzutreffen.
Hinzu kommt, dass mit den politischen Kampfbegriffen populistisch, radikal und extremistisch jeweils zwei ganz unterschiedliche, ja antagonistische politische Phänomene attackiert werden. Mit populistisch sowohl der Rechtspopulismus wie der Linkspopulismus; mit radikal sowohl der Rechtsradikalismus wie der Linksradikalismus; und mit extremistisch sowohl der Rechtsextremismus wie der Linksextremismus. Damit wird permanent und mit Absicht die Linke mit der Rechten nicht nur verglichen, sondern geradezu gleichgesetzt. Warum ist es zu dieser Verwechslung von links und rechts gekommen? Warum sollen alle Gefahren nur von den äußersten linken und rechten Rändern des politischen Spektrums drohen? Warum ist die imaginäre Mitte dieses politischen Spektrums immer fein raus? Schließlich und vor allem: Warum haben und wollen wir das alles nicht erkennen?
Weil, so meine schon fast banal wirkende Antwort auf diese Fragen, wir alle einem von Politologen fabrizierten Trugbild aufgesessen sind. Es orientiert sich an der Sitzordnung in einigen europäischen Parlamenten. Hier sind die Abgeordneten der linken und rechten Parteien auf den linken und rechten Bankreihen eines halbkreisförmigen Parlamentssaals platziert worden. Die halbkreisförmige Sitzordnung des Parlamentssaals ist den wiederum halbkreisförmigen Schaubildern zugrunde gelegt worden, die von den jeweiligen Parteiensystemen gemacht worden sind. Beim Betrachter dieser Schaubilder kann sich der Eindruck aufdrängen, als ob sich die linken und rechten Ränder dieses Halbkreises einander annähern würden.
Um diesen Eindruck zu verfestigen, haben einige Politologen ein weiteres Schaubild entworfen. Es ist in Gestalt eines Hufeisens gehalten. Damit wird suggeriert, dass sich die auf den linken und rechten Teilen des Hufeisens angesiedelten extremistischen Parteien angleichen würden. Dies ist kein Scherz. Diese Politologen meinen es bitter ernst. Sie verkaufen diesen Blödsinn als wissenschaftliche Hufeisentheorie.
Nein, danke! Lasst uns mit euren absolut blöden Hufeisenspielen in Ruhe! – könnte man sagen. Doch das geht leider nicht. Die Probleme der Politologen stellen auch für uns ein Problem dar. Insbesondere für diejenigen unter uns, die sich so wacker und mutig gegen den »Rechtsextremismus« wenden. Dadurch handeln sie sich unweigerlich den Vorwurf ein, »Linksextremisten« zu sein. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, die richtigen Namen für die wirklichen Probleme zu gebrauchen und Faschismus und Rassismus bekämpfen, anstatt über Populismus, Radikalismus und Extremismus zu schwadronieren.
Wolfgang Wippermann ist Historiker und Kritiker der Totalitarismusforschung.
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