Oberste Richterin wird Übergangsregierungschefin in Athen

Umfrage sieht SYRIZA bei 24, ND bei 22 Prozent / Varoufakis will europäisches Netzwerk gründen / Lafazanis: Werden nicht zögern, den Euro zu verlassen / Tsipras wirbt für neues SYRIZA-Mandat

  • Lesedauer: 10 Min.

Update 17.55 Uhr: Umfrage sieht SYRIZA bei 24, ND bei 22 Prozent
SYRIZA-Chef Alexis Tsipras hat am Mittwochabend um ein neues Wählermandat bei den bevorstehenden Neuwahlen geworben und eine Koalition mit der konservativen Nea Dimokratia oder der sozialdemokratischen Pasok ebenso abgelehnt wie mit der liberalen To Potami. Beobachter erklärten, Tsipras habe damit ausschließen wollen, dass er in einer solchen Konstellation Premier sein werde – darüber, ob es eine Zusammenarbeit unter einem anderen Regierungschef geben könne, sei nichts gesagt. Für die absolute Mehrheit, die man bei SYRIZA nicht nur erhofft, sondern auch als möglich betrachtet hat, stehen die Chancen derzeit aber wohl eher schlecht.

Seit der Abspaltung von Teilen des linken Flügels der Linkspartei ist erst eine reguläre Umfrage veröffentlicht worden – und 15 Prozent sind noch unentschlossen, 5 Prozent wollen keiner Partei ihre Stimme geben. SYRIZA kommt in der am Mittwoch veröffentlichten Umfrage auf 24 Prozent, die Nea Dimokratia auf 22 Prozent. Die sozialdemokratische Pasok, die kommunistische KKE und die neue »Volkseinheit« (Laiki Enotita) von Panagiotis Lafazanis kommen alle auf jeweils 4,5 Prozent. Die Umfrage wurde vom Meinungsforschungsinstitut »Interview« für den nordgriechischen Regionalsender Vergina TV erstellt.

Die rechtsradikale Chryssi Avgi würde demnach mit 6 Prozent rechnen können – und erneut drittstärkste Kraft werden. To Potami kann sich mit 5,5 Prozent den vierten Platz ausrechnen. Die nationalistische Anel, bisher Koalitionspartner von SYRIZA, muss mit 3 Prozent in der Umfrage um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. 4 Prozent erhält dagegen die Enosi Kentrou (Zentrumsunion), die, so heißt es bei der »Griechenland-Zeitung«, »vor allem bei der jüngeren Generation auf Zuspruch zu stoßen scheint«.

Update 15.55 Uhr: Oberste Richterin wird Übergangsregierungschefin in Athen
In Griechenland ist die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes am Donnerstag zur Übergangsregierungschefin nominiert worden. Vassiliki Thanou werde im Laufe des Tages ihren Amtseid ablegen und solle die voraussichtlich im September anstehenden Neuwahlen vorbereiten, teilte das Präsidialamt in Athen mit. Sie werde im Laufe des Tages ihren Amtseid ablegen und solle die voraussichtlich im September anstehenden Neuwahlen vorbereiten, teilte das Präsidialamt in Athen mit.

Ministerpräsident Alexis Tispras war vergangene Woche zurückgetreten, nachdem er seine Mehrheit im Parlament im Streit um den Kurs bei den Verhandlungen mit den internationalen Gläubigern verloren hatte. Gemäß der Verfassung gab Präsident Prokopis Pavlopoulos nach dem Rücktritt von Tsipras zunächst der konservativen Partei Nea Dimokratia als zweitgrößter Fraktion den Auftrag zur Regierungsbildung. Als dies nicht gelang, ging der Auftrag an die drittgrößte Gruppe, die linke SYRIZA-Abspaltung Volkseinheit. Weil auch diese mit der Regierungsbildung scheiterte, wurde nun die Präsidentin des Obersten Gerichts mit der Leitung einer Übergangsregierung betraut, um Neuwahlen vorzubereiten.

Update 9.15 Uhr: Lafazanis: Zögern nicht, den Euro zu verlassen
Der Chef der SYRIZA-Abspaltung »Volkseinheit« (Laiki Enotita), Panagiotis Lafazanis, hat Alexis Tsipras vorgeworfen, »alle inhaltlichen und programmatischen Festlegungen von SYRIZA aufgegeben« zu haben. Abermals kritisierte der Wortführer der bisher in der Linkspartei aktiven Strömung Linke Plattform den Kurs des zurückgetretenen Premiers. Tsipras habe einen Kreditvertrag unterschrieben, der die destruktive Politik der Austerität fortsetze und mit Lohn- sowie Rentenkürzungen einen »endgültigen Schlag für die griechische Wirtschaft« bedeuten werde, so Lafazanis gegenüber dem Sender CNBC. Lafazanis kritisierte unter anderem das Ja zu den Privatisierungen und die Steuererhöhungen. Die Auflagen der Gläubiger würden die Probleme Griechenlands keinesfalls lösen.

Seine »Volkseinheit« mache es sich deshalb zum Ziel, das umstrittene Memorandum mit den Gläubiger-Auflagen zu stoppen und einen »neuen, unabhängigen, souveränen und fortschrittlichen Weg« einzuschlagen. Ganz oben auf der Forderungsliste von Laiki Enotita stehe dabei, die Gehälter und Renten wieder auf das vor 2010, dem Beginn der Kürzungspolitik, bestehende Niveau anzuheben. Zudem wolle man Banken und private Monopole verstaatlichen. Die »Volkseinheit« wolle »die besten Traditionen des SYRIZA-Programms« bewahren. Man wolle diese »radikalere Verpflichtungen einhalten«, Ziel sei eine dezentrale Wirtschaft, in der Gewerkschaften, Arbeiterräte, Genossenschaften und die Kommunen das Sagen hätten. Wenn es notwendig werde, für die Umsetzung des Programm aus dem Euro auszusteigen, »werden wir nicht zögern«, wieder eine eigene Landeswährung einzuführen, so Lafazanis. Er glaube nicht, dass dadurch »die Hölle für Griechenland« anbreche, wie dies »die Propagandisten der Eurozone« behaupten würden.

Update 9 Uhr: Varoufakis wirbt für europäisches Netzwerk
Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat seine Idee zur Gründung eines pan-europäischen Netzwerkes konkretisiert. Er werde nicht in das Rennen um die Neuwahlen einsteigen, sagte er im Rundfunk der australischen ABC. Er werde aber »politisch aktiv bleiben, vielleicht aktiver, als ich bisher gewesen bin«. Es reiche aber nicht mehr aus, sich auf nationalstaatlicher Ebene in parteipolitischen Auseinandersetzung aufzureiben, um dann mit seiner an europäische Grenzen zu stoßen. »Ich denke, wir sollten versuchen, ein europäisches Netzwerk aufzubauen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt sich zu einer gesamteuropäischen Partei entwickeln kann«, so Varoufakis. Ausdrückliches Ziel dieses Netzwerkes solle die Demokratisierung des Euro sein, hatte der Ökonom bereits vor einigen Tagen im französischen Frangy-en-Bresse bei einer Rede erklärt. Es gehe um eine »gemeinsame Koalition von Helsinki bis Lissabon, von Dublin bis Athen«, die es sich zum Ziel setze, aus einem Europa des »Wir, die Regierungen« ein Europa des »Wir, die Menschen« zu machen. Dabei sei es ein gebot des Realismus, die bestehenden europäischen Institutionen so zu verändern, dass sie den Interessen der breiten Bevölkerungen dienen.

Tsipras wirbt für neues SYRIZA-Mandat

Berlin. In Griechenland soll Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos am Donnerstag vorgezogene Wahlen proklamieren und eine geschäftsführende Interimsregierung einsetzen. Als wahrscheinliches Datum für Neuwahlen gilt der 20. September. Es wird erwartet, dass der Chef der neuen Linkspartei »Volkseinheit« (Laiki Enotita), Panagiotis Lafazanis, nach dreitägiger Sondierung zur Bildung einer Regierung am Vormittag sein Mandat niederlegt. Der Vorsitzende der Konservativen, Evangelos Meimarakis, war bereits vor Lafazanis daran gescheitert, eine Mehrheit im griechischen Parlament zu bekommen. Die Übergangsregierung muss von einem der höchsten Richter des Landes geführt werden und bleibt bis zur Bildung eines neuen Kabinetts geschäftsführend im Amt.

Der Ex-Regierungschef und SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras hatte vor einer Woche seinen Rücktritt erklärt und damit den Weg zu Neuwahlen eingeleitet. Am Mittwochabend rief er seine Landsleute auf, ihm ein neues Mandat zu erteilen. Zudem erklärte er, er wolle nicht mit den früheren Regierungsparteien Nea Dimokratia und Pasok koalieren, ebenso wenig mit der liberalen To Potami. Wenn die Griechen die alten Parteien an der Regierung haben wollten, die das Land ruiniert haben, dann sei das ihre Wahl. SYRIZA werde aber »nicht die zurückbringen, die das Volk hinausgeworfen hat«.

Zuvor hatte der bisherige Energieminister Panos Skourletis erklärt, seine Partei könne bei den Neuwahlen die absolute Mehrheit erreichen. Gegenüber dem Sender Mega TV wies der SYRIZA-Politiker zudem Spekulationen zurück, die Linkspartei könne eine Zusammenarbeit mit den »Alt-Parteien« Nea Dimokratia oder Pasok anstreben. Gleiches gelte für die liberale Partei To Potami. Eine glaubwürdige Kooperation sei nur auf der Basis von programmatischen Übereinstimmungen möglich. Diese sehe er mit den drei Parteien nicht, so Skourletis.

Er brauche mehr Zeit, um zu regieren, sagte Tsipras in dem Interview des griechischen Privatsender Alpha. Die etablierten Parteien hätten 40 Jahre lang regiert, er nur knapp sieben Monate. Bislang habe er sich hauptsächlich auf die Verhandlung mit den Gläubigern konzentriert. Nun sei die Zeit gekommen, im Inland zu handeln, sagte Tsipras. Er wolle das Land wieder auf Wachstumskurs bringen. So müssten Steuerhinterziehung und Korruption bekämpft werden. Tsipras erklärte zudem, es sei eine Illusion gewesen, zu glauben, die Eurozone sei nicht so unflexibel auf Austerität festgelegt.

Zu der SYRIZA-Abspaltung »Volkseinheit« sagte er, er sei verletzt, dass Kollegen, die noch vor ein paar Wochen vor einem Bankenkollaps gewarnt hätten, ihn nun dafür kritisierten, einen solchen verhindert zu haben. SYRIZA habe den Leuten versprochen, gegen das Memorandum zu kämpfen - »und das ist, was wir tun«.

Tsipras lobte in dem Interview seinen Finanzminister Efklidis Tsakalotos. Ohne ihn hätte es keine Vereinbarung mit den Gläubigern gegeben, so der SYRIZA-Chef. Er lobte zwar auch den früheren Finanzminister Yanis Varoufakis, erklärte aber, dieser habe nach einem grandiosen Anfang zunehmend das Vertrauen der Gläubiger verloren. Er sei »ein guter Ökonom, aber kein guter Politiker«, so Tsipras.

Unterdessen war noch unklar, ob Tsakalotos erneut auf der SYRIZA-Liste zur Neuwahl antritt. Eine erneute Kandidatur auch von Ex-Regierungssprecher Gavriil Sakellaridis war am Mittwoch zunächst noch offen. Wie das Analyseportal macropolis.gr berichtet, hätten sich beide Politiker noch nicht entschieden, ob sie erneut antreten wollen. Zur Erklärung heißt es bei macropolis.gr, Sakellaridis und Tsakalotos gehörten der SYRIZA-Strömung »53+« an, die unzufrieden mit der Entscheidung von SYRIZA-Chef Alexis Tsipras sei, ohne vorherige Konsultationen auf einem Parteitag per Rücktritt auf Neuwahlen zugesteuert zu sein.

Die »53+« (nicht zu verwechseln mit den 53 nun aus dem Zentralkomitee von SYRIZA zurückgetretenen Mitgliedern der Linken Plattform) hatten Ende Juli einen Parteitag zur strategischen Neuorientierung gefordert. Die »53+« werden meist als linker Teil des Zentrums der Linkspartei bezeichnet. »In der Wirklichkeit haben sich unsere Grundpositionen als falsche erwiesen, dass eine alternative Wirtschaftspolitik im Rahmen der bestehenden Eurozone toleriert würde und dass die demokratischen Errungenschaften in Europa ausreichen könnten, um die Strangulation einer ganzen Bevölkerung zu verhindern«, hatte es seinerzeit in einer Erklärung der »53+« geheißen.

Zugleich hatten sich die »53+« gegen »Abrechnung und Spaltung« in der Partei nach dem Euro-Gipfel und der Akzeptanz der umstrittenen Gläubiger-Auflagen ausgesprochen. Genau dies ist aber nun bei SYRIZA an der Tagesordnung. Erst hatte sich die Linke Plattform mit der Neugründung der »Volkseinheit« abgespalten, nun wird auch über eine mögliche Parteineugründung von Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou berichtet. Konstantopoulou sei dazu auch in Gesprächen mit dem früheren Europaabgeordneten und populären Antifaschisten Manolis Glezos. Die Zeitung »Efimerida ton Syntakton« berichtet, Konstantopoulou plane, mit der »Volkseinheit« von Panagiotis Lafazanis zu kooperieren. Diese hatte sich vor wenigen Tagen aus Teilen des linken Flügels der SYRIZA-Fraktion gebildet und strebt ebenfalls eine Parteigründung sowie den Antritt bei den Neuwahlen an.

Am Mittwoch erklärten 53 Mitglieder des Zentralkomitees ihren Rücktritt, darunter auch der Europaabgeordnete und frühere Vizeaußenminister Nikos Chountis sowie Stathis Kouvelakis, einer der Vordenker der SYRIZA-Abspaltung »Volkseinheit«. In einer Erklärung der 53 Politiker, die der Linken Plattform angehören, hieß es, »als Mitglieder des Zentralkomitees können wie einem neuen Memorandum nicht zustimmen, das einer ohnehin schon gebeutelten Bevölkerung den letzten Schlag versetzt«.

Kritik wurde auch daran laut, dass SYRIZA-Chef und Premier Alexis Tsipras seine Entscheidung für Neuwahlen durch Rücktritt ohne vorherige Beratungen mit dem Führungszirkel der Linkspartei getroffen habe. Die gegenwärtigen Entwicklungen in SYRIZA werde »in düsteren Farben« in die Geschichte der griechischen Linken eingehen. Hintergrund sind ist die Ablehnung der Politik von Tsipras duruch einen Teils des linken Flügels von SYRIZA. Mitte Juli hatten sich bereits 109 Mitglieder des Führungszirkels von SYRIZA gegen die umstrittene Vereinbarung mit den Gläubigern ausgesprochen - das Zentralkomitee zählt insgesamt 201 Mitglieder. vk/mit Agenturen

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