Die wollen doch arbeiten
Arbeitsmarkt und Flüchtlinge brauchen sich: Bundesagentur versucht, Unternehmen auf die Sprünge zu helfen
»Die wollen doch gar nicht arbeiten!« Fremdenfeindliche Hetzparolen wie diese sind nicht nur in den vergangenen Wochen immer wieder zu hören. Dass sie inhaltlich falsch sind, spielt da keine Rolle: Viele Flüchtlinge leiden neben Kriegstraumata, der Sorge um Angehörige in der Heimat und den verbalen wie körperlichen Angriffen hierzulande am meisten unter fehlenden Zukunftsaussichten. Sie wollen arbeiten, sich einbringen, Schule, Ausbildung oder Studium nicht umsonst abgeschlossen haben. Stattdessen müssen sie oft wochen- oder monatelang auf Entscheidungen der Behörden warten. Die Unsicherheit über Asylstatus, Wohnort oder den Verbleib von Partnern lähmt. Zudem sind die Regelungen für eine Arbeitsaufnahme kompliziert, viele Betriebe schrecken davor zurück.
Um ihnen die Scheu zu nehmen, haben die Bundesagentur für Arbeit (BA), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine gemeinsame Handreichung für Unternehmen erarbeitet. Wer Flüchtlinge beschäftigen möchte, findet hier die entsprechenden rechtlichen Regelungen; wer bisher noch nicht darüber nachgedacht hat, viele Gründe, warum er das dringend tun sollte.
Die Broschüre wirbt mit sozialen und beruflichen Kompetenzen der Geflüchteten wie Flexibilität, Interkulturalität und Mehrsprachigkeit. Das zahle sich am Arbeitsplatz und für das Firmenklima aus. In einem Land, in dem sozialer Status, Herkunft und Zeugnisse oft eine größere Rolle bei der Stellenbesetzung spielen als die reale fachliche Eignung, ist die Forderung an die Arbeitgeber, bei der Stellenbesetzung »neue Wege zu gehen«, fast progressiv zu nennen.
Bedarf für die Broschüre ist da: »Es kamen zur Genüge Anfragen von Firmen«, sagte ein BA-Sprecher gegenüber »nd«. Viele würden gern Flüchtlinge beschäftigen, wüssten aber nicht, wie sie es praktisch machen sollen. Auch ein Sprecher des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) in Berlin sagte dem »nd«, die Unternehmen suchten teils händeringend nach Personal, besonders in bestimmten Berufsgruppen. Die Wirtschaft sei bereit, Flüchtlinge sowohl auszubilden als auch in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu müssten aber rechtliche Probleme geklärt, Deutschkenntnisse vorhanden und Abschlüsse vergleichbar sein. Die Forderung des baden-württembergischen IHK-Chefs Peter Kulitz, für Geflüchtete den Mindestlohn auszusetzen, unterstützt der Berliner Dachverband dagegen nicht. Das sei eine Einzelmeinung, sagte der Sprecher.
Der Unternehmensverband fordert aber Planungssicherheit: Flüchtlinge dürften während der Ausbildung sowie zwei Jahre danach nicht abgeschoben werden. Momentan können etwa Geduldete nach ihrer Lehre nur dann auf eine befristete Aufenthaltserlaubnis hoffen, wenn »sie eine ihrem Abschluss entsprechende und für ihren Lebensunterhalt ausreichend bezahlte Stelle finden«.
Der Status der Geflüchteten ist eines der Hauptprobleme. So dürfen anerkannte Flüchtlinge ohne Einschränkung arbeiten. Menschen mit noch nicht bewilligtem Asylantrag sowie Geduldete mit abgelehntem Antrag, die aber nicht abgeschoben werden dürfen, können dagegen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts nicht arbeiten. Danach sind sie auf das Ermessen von Ausländerbehörde und BA angewiesen. Bei Jobangeboten haben Deutsche, EU-Bürger oder Flüchtlinge mit Aufenthaltsstaus Vorrang.
Angesichts der auf die steigende Zahl der Flüchtlinge unzureichend vorbereiteten Behörden dürfte es um so wichtiger sein, die Unternehmen mit ins Boot zu holen. Arbeit sei »der Schlüssel für eine gute Integration«, das sieht auch BA-Chef Frank-Jürgen Weise so. »Über Arbeit lernt man Sprache. Arbeit heißt, dass die Menschen eine Beschäftigung haben, finanziell unabhängig werden, und Arbeit heißt auch, Menschen in der kleinen Lebensgemeinschaft des Betriebes und der Kommune kennenzulernen.«
Die Grundlage dafür bleibe die Sprache, so der DIHK-Sprecher. Dafür wie für andere Integrationsleistungen wird aber Geld gebraucht. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) muss laut der »Rheinischen Post« zusätzlich rund drei Milliarden Euro für 2015 und 2016 beantragen. Sowohl die Kosten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz als auch Hartz-IV-Ausgaben für anerkannte Flüchtlinge ohne Job werden aus dem Etat ihres Ministeriums bezahlt. Auch die BA benötigt deutlich mehr Geld.
Die Broschüre findet sich unter dasND.de/integration
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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