70 Jahre gelebte Solidarität

Am Samstag feiert die Volkssolidarität Jubiläum mit einem Fest im Tierpark

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 4 Min.
André Lossin ist seit dem 1. April 2014 Geschäftsführer der »Volkssolidarität« des Landesverbandes Berlin. Davor war er bis 2012 sechs Jahre Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Für »nd« sprach mit ihm Florian Brand über gelebte Solidarität, Willkommenskultur und Begegnungen mit Geflüchteten. Das Festprogramm findet von 14 bis 22 Uhr auf zwei Bühnen im Tierpark neben dem Schloss Friedrichsfelde statt.

Am Samstag feiert die Volkssolidarität ihr 70-jähriges Bestehen mit einem Fest im Tierpark. Auf welche Höhepunkte darf man gespannt sein?

In jedem Fall auf die großen Auftritte, unter anderem der Prinzen um 17.30 Uhr, dann die Abba-Show und das GlasBlasSing Quintett und natürlich gibt es viele andere kleine Auftritte. Wir haben zwei Bühnen, auf denen auch unsere eigenen Chöre, zum Beispiel der Chor der fröhlichen Rentner, auftreten. Und wir haben ein breites Angebot für Kinder dabei, wie den Kinderzirkus Cabuwazi, ein Märchenzelt oder eine Kletterwand. Insgesamt gibt es 22 große Stände, an denen wir uns mit den Landesverbänden und dem Bundesverband präsentieren. Auch unsere Partner mit denen wir eng zusammenarbeiten, stellen sich dort vor.

Wie ist die Volkssolidarität entstanden?

Die Volkssolidarität ist ein Sozial- und Wohlfahrtsverband, der seine Wurzeln im Ostteil Deutschlands hat. Sie wurde am 17. Oktober 1945 gemeinsam von Kommunisten, Sozialdemokraten, Sozialisten und Christen und Gewerkschaftlern gegründet, um die Millionen von Menschen, die durch den Nazikrieg vertrieben worden sind, zu versorgen. Das hat sich über die Jahrzehnte natürlich verändert. Mittlerweile leben wir zum Glück in einem Land, das seit damals keinen Krieg mehr erlebt hat, jetzt aber ein Zufluchtsort wird für hunderttausende von Menschen aus verschiedenen Kriegsgebieten. Auch Roma und Sinti werden vor allem in Südosteuropa immer noch verfolgt und suchen hier Zuflucht. Wir als großer Verband wollen und müssen diese Menschen unterstützen. Das ist die Selbstverständlichkeit der Volkssolidarität.

Wie helfen Sie konkret, beispielsweise in Berlin, wo gerade vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) die Lage katastrophal ist?

In Marzahn-Hellersdorf betreiben wir den bezirklichen Migrationssozialdienst, der sich um Flüchtlinge mit Status kümmert. In Marzahn sind wir auch für die Willkommenskultur rund um die Unterkunft am Blumberger Damm zuständig, also für Begegnungen oder Anwohner-Dialoge. Wir sind auch in der Unterkunft in der Carola-Neher-Straße präsent. Wir bilden mit anderen Vereinen Bündnisse, um die Willkommenskultur vor Ort zu organisieren. Man muss sich den Dingen stellen und über die Frage diskutieren, warum die Menschen hier sind, wie sie versorgt werden müssen, was das bedeutet, wenn da eine Flüchtlingseinrichtung hinkommt usw. Wir haben zu unserem Fest am Samstag beispielsweise 100 Flüchtlinge aus dem Blumberger Damm eingeladen, mit uns zu feiern. Wir wollen, dass sie eine schöne Zeit mit uns haben und einander kennen lernen. Wir hatten vergangene Woche ein Fest im unserem Stadtteilzentrum Marzahn-Mitte, wo unsere älteren Mitglieder mit den Geflüchteten getanzt haben. Das war schon sehr bewegend. Das, finde ich, das ist gelebte Solidarität. Das ist genau das, was wir wollen.

Wie sozial ist Berlin aus Ihrer Sicht, angesichts der aktuellen Lage?

So eine große Hilfsbereitschaft finde ich sehr erstaunlich. Wie aktiv die Menschen sind, wie spontan und wie sie sich organisieren, das ist unglaublich. Es gibt natürlich auch Auffälligkeiten, rechte Demagogen und Nazis, die in der Stadt unterwegs sind. Hier muss man wachsam sein und sich dem energisch entgegenstellen. Aber wir hatten beispielsweise am Tag der offenen Tür in der Flüchtlingsunterkunft am Blumberger Damm unter den Besuchern mehr als hundert Menschen, die sich spontan für eine ehrenamtliche Aufgabe gemeldet haben. Hier existiert eine große Hilfsbereitschaft.

Helfer haben es teilweise gar nicht so leicht, beispielsweise vor dem LAGeSo, wo Ehrenamtliche die Arbeit verrichten, die eigentlich die Behörden machen sollten und trotzdem immer wieder bürokratische Steinchen in den Weg gelegt bekommen oder, wie in anderen Bezirken, sogar von Neonazis bedroht werden. Welche Probleme sehen Sie da?

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales ist erster Anlaufpunkt für Flüchtlinge, die Berlin erreichen. Dort sprechen jeden Tag viele hunderte Menschen vor. Ich bin sicher, dass die LAGeSo-Mitarbeiter sehr dankbar dafür sind, dass ehrenamtliche Helfer mit anpacken. Denn das müssen wir jetzt alle tun. In Flüchtlingsunterkünften können Helfer ganz anders arbeiten. Da etabliert sich über einen längeren Zeitraum ein Zusammenleben und da entstehen auch Freundschaften, wenn die Menschen bleiben können. Helfer sind in dieser Situation wichtig. Beispielsweise, wenn es darum geht, mit Kindern zu spielen, Menschen zu Behörden zu begleiten oder ihnen Deutsch beizubringen. Sie tragen entscheidend dazu bei, dass Flüchtlinge zügig in unserer Gesellschaft ankommen, hier eine Wohnung und einen Job finden. Wir müssen uns darauf einstellen, dass viele von ihnen hierbleiben und wir damit umgehen müssen. Das ist ein Lernprozess. Und ich bin positiv gestimmt, dass wir das auch miteinander schaffen werden.

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