Rollenwechsel
Bei der Basketball-EM liegen deutsche Hoffnungen auf einem alten und einem jungen Star
22 Jahre lang haben deutsche Basketballfans auf ein großes Turnier im eigenen Land warten müssen. Einer von ihnen saß 1993 als Teenager in der Münchner Olympiahalle und schrie seine Helden zum überraschenden EM-Titel. Von Samstag an werden ihm selbst 12 500 Anhänger zujubeln: Dirk Nowitzki kehrt mit 37 noch einmal zur Nationalmannschaft zurück. Dass er wie seine Vorbilder Europameister wird, glaubt eigentlich niemand. Auch Nowitzki nicht, und trotzdem quälte er sich nach vier Jahren Pause wieder durch eine harte Turniervorbereitung. »Wenn die EM woanders stattgefunden hätte, wäre das kein Thema mehr gewesen«, sagt er. Die Basketballstadt Berlin habe gereizt und endlich mal ein wichtiges Turnier zu Hause. »Alle fünf Spiele sind schon ausverkauft. Das ist noch einmal ein Riesenerlebnis.«
Nur zum Spaß ist Nowitzki natürlich auch nicht dabei. Die deutschen Basketballer wollen sich für Olympia 2016 in Rio qualifizieren. Dort würde auch der NBA-Meister von 2011 gern noch mal hin, doch dafür muss mindestens EM-Platz sieben her. Die Finalisten qualifizieren sich direkt, fünf weitere Teams bekommen noch eine Chance im kommenden Jahr.
Das Überstehen der Vorrunde des paneuropäischen Turniers - die Vorrundengruppen sind auf Berlin, Montpellier, Zagreb und Riga verteilt - ist Pflicht, um das Ziel zu erreichen. Doch die Berliner Gruppe ist zweifellos die schwierigste: Island, Vizeweltmeister Serbien, Ex-Weltmeister Spanien, Italien und die Türkei warten. »Minimalziel muss sein, mindestens auf Platz vier aus der Gruppe rauszukommen. Die Fans müssen uns tragen«, fordert Nowitzki. »Wir sind nicht die Favoriten in dieser Gruppe«, ergänzt Bundestrainer Chris Fleming.
Zum Auftakt geht es an diesem Samstag gegen den vermeintlich leichtesten Gegner Island, doch Fleming warnt: »Alle sprechen immer davon, wie schwach Island sein wird. Das ist aber gar nicht der Fall.« Trotzdem strich der Trainer die letzten beiden Trainingseinheiten: Die Vorrunde mit fünf Spielen in sechs Tagen werde anstrengend genug, sagt er.
»Wir müssen kratzen und beißen«, gibt Superstar Nowitzki den Ton vor. Ausgerechnet der Mann, der bis zu seinem NBA-Sieg mit den Dallas Mavericks vor vier Jahren stets als zu weich beschrieben wurde, gibt jetzt also den Einpeitscher. »Dirk hat eine ganz große Führungsrolle. Da ist er unheimlich wichtig für uns«, weiß Fleming. Für die meisten Punkte ist der Würzburger mittlerweile nicht mehr zuständig. »Ich bin nicht mehr so drauf wie vor zehn Jahren. Ich muss Erfahrung reinbringen, hier und da mal einen Wurf reinschießen«, forciert Nowitzki seine eigene Degradierung sogar selbst. »Wir aber keine Zweifel, dass er gut spielen wird, wenn es darauf ankommt«, hofft Fleming trotz allem auf ein paar heroische Momente des Altmeisters.
Taktgeber und Punktesammler soll nun der 16 Jahre jüngere Dennis Schröder sein. »Der Coach, Dirk und das Team vertrauen mir. Ich nehme das gerne an«, sagt der 21-jährige Aufbauspieler der Atlanta Hawks, den seit seinem Durchbruch in der abgelaufenen NBA-Saison nichts mehr aus der Ruhe zu bringen scheint: »Nervosität spüre ich nicht.«
Nowitzki ist jedenfalls längst begeistert von seinem Nachfolger: »Wir hatten in Deutschland noch nie einen Aufbauspieler, der so extrem athletisch ist und das Spiel so an sich reißen kann. Das müssen wir für uns nutzen.« Starallüren, die Nowitzki immer fremd waren, zeigt Schröder bislang noch nicht, auch wenn ihn Trainer Fleming immer mal wieder ans Zurücklaufen nach einer Offensivaktion erinnern muss. »Das haben wir in Atlanta nie so gemacht, von daher vergesse ich das schon einmal. Dann stoppt er das Training und macht mich erst einmal zur Sau«, berichtete Schröder jüngst vom Trainingsalltag.
Letztlich haben Deutschlands Basketballer nur eine Chance, wenn das Zusammenspiel zwischen Nowitzki und Schröder funktioniert. Dazu müssen Center Tibor Pleiß, der nach der EM zu den Utah Jazz ebenfalls in die NBA wechselt, Kapitän Heiko Schaffartzik und andere Rollenspieler an ihrer Leistungsgrenze spielen. Denn trotz der Zusage Nowitzkis hat das deutsche Team ausgerechnet auf den größeren Positionen bittere Ausfälle zu beklagen: Maximilian Kleber, Daniel Theis, Elias Harris, Maik Zirbes fehlen allesamt verletzt. Doch immerhin zeigen sie, dass der deutsche Basketball auch ohne Nowitzki eine Zukunft hat.
Mindestens ein Turnier lang ist der aber noch dabei, und wer weiß: Auch 1993 starteten Deutschlands Basketballer als krasse Außenseiter in die Heim-EM, verloren mittendrin drei Spiele, gewannen aber am Ende den Titel. Sie mussten dabei sogar auf ihren damals besten Spieler Detlef Schrempf verzichten, waren ansonsten jedoch eine verschworene und eingespielte Mannschaft. »Wenn alles perfekt läuft und der Funke von den Fans überspringt, kann man von der Begeisterung getragen werden«, sagt Stephan Baeck. Er war 1993 dabei und ließ sich tragen. Sein Fan Nowitzki würde es ihm sicher gern noch mal nachmachen.
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