Jeder Siebente ist funktionaler Analphabet
Viele Jahre saß bei Tim-Thilo Fellmer »immer die Angst im Nacken, aufzufliegen«. Der Grund: Er konnte kaum lesen und schreiben. Heute gilt der einstige Analphabet als Musterbeispiel, wie sich das im Beruf und im Alltag belastende Defizit überwinden lässt: Der 47-jährige Hesse schreibt Kinderbücher wie »Fuffi der Wusel«, wirbt in Vorträgen für Alphabetisierung. Der »Weltalphabetisierungstag 2015« an diesem Dienstag macht auf ein zu wenig beachtetes Massenphänomen aufmerksam.
Rund 7,5 Millionen »funktionale Analphabeten« in Deutschland - woher stammt diese hohe Zahl?
Aus der »leo.-Level-One-Studie« der Uni Hamburg von 2011. Danach gibt es bundesweit doppelt so viele Menschen mit erheblichen Lese- und Schreibproblemen wie zuvor angenommen. Obwohl meistens zur Schule gegangen, können 14 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 bis 64 wegen begrenzter Lese- und Schreibfähigkeiten »nur eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben.«
Wie wird Analphabetismus definiert?
In der heutigen Wissensgesellschaft gelten Menschen als »funktionale Analphabeten«, wenn sie zwar Buchstaben, Wörter und einfache Sätze lesen und schreiben können, jedoch Mühe haben, zusammenhängende Texte zu lesen und zu verstehen. 58 Prozent davon haben Deutsch als erste Sprache gelernt (4,4 Millionen). Männer sind mit 60 Prozent häufiger betroffen als Frauen. Analphabetismus im engeren Sinne betrifft laut Studie in Deutschland gut vier Prozent der Erwerbsfähigen - etwa 2,3 Millionen Menschen. Sie können nur einzelne Wörter lesen, verstehen und schreiben - nicht aber ganze Sätze. Rund 300 000 Erwachsene hierzulande können nicht mal ihren Namen richtig schreiben.
Wieso sind Menschen trotz Schulbildung vom »funktionalen Analphabetismus« betroffen?
Gründe können soziale Probleme oder mangelnde Unterstützung in der Schule sein. Oft konnten schon die Eltern nicht ausreichend lesen oder schreiben.
Was bewirkt der Welttag der Alphabetisierung?
Damit erinnert die UNESCO Jahr für Jahr am 8. September an ein globales Problem: »Lesen und schreiben zu können, ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Dies zu erlernen, ist in vielen Regionen der Welt jedoch noch immer ein Privileg. Weltweit können 774 Millionen Menschen nicht lesen und schreiben, fast zwei Drittel von ihnen Frauen und Mädchen.« dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.