Disstress in Mönchengladbach
Alexander Ludewig erinnert die negative Entwicklung der Borussia unter Trainer Lucien Favre an die Zeit des Schweizers in Berlin. Er empfiehlt: Druckabbau.
Lucien Favre ist ein höflicher und intelligenter Mensch. Seine charmante Art hat ihm unter den Fußballfans in Deutschland viel Sympathie eingebracht. Auch, weil er ein hervorragender Trainer ist. Vor acht Jahren kam der in der französischsprachigen Schweiz geborene Favre nach Berlin, trainierte etwas mehr als zwei Jahre Hertha BSC. 2011 übernahm er Mönchengladbach.
Erst Berlin, jetzt die Borussia: Die Parallelen sind unübersehbar. Favre führte Hertha in die Europa League. Die Erwartungshaltung stieg, der Klub aber ließ die besten Spieler ziehen. Nach sechs Niederlagen in der Bundesliga wurde er entlassen.
Bevor Favre nach Gladbach kam, war der Klub ein Abstiegskandidat. Nun spielt er erstmals in der Vereinsgeschichte in der Champions League. Das erste Spiel, am Dienstagabend beim FC Sevilla, ging 0:3 verloren. Es war die fünfte Niederlage in Folge, in der Liga steht die Borussia punktlos am Tabellenende. Auch weil der Klub wichtige Leistungsträger nicht halten konnte.
Aber auch, weil bislang zuverlässige Spieler Anfängerfehler machen. Drei Elfmeter verursachte die Borussia gegen Sevilla. Torwart Yann Sommer, überragend in der Vorsaison, legte sich den Ball zum 0:3 selbst ins Tor. Die gesamte Mannschaft ist verunsichert. Eigentlich ist es Favres Aufgabe, die Eigendynamik des Misserfolgs zu brechen. Aber auch er ist von ihr erfasst. Vielleicht noch mehr als die Spieler, weil er die Verantwortung hat. Und weil er ein sehr sensibler Mensch ist.
Disstress - so wird in der Psychologie negativer Stress bezeichnet, der vor allem durch von außen kommenden Leistungs- und Zeitdruck entsteht. Mögliche Folgen: gestörte Konzentration, Denkblockaden, Burnout. Hertha-Insider berichteten 2009 von kompletter Überforderung und Ratlosigkeit Favres. Als der Schweizer am vergangenen Sonntag das 0:3 gegen den HSV analysieren sollte, war er kaum zu verstehen. In der eigenen Erklärungsnot fiel er zudem wohl unfreiwillig in seinen französischen Akzent zurück.
Borussia Mönchengladbach sollte jetzt den Druck so weit wie möglich abbauen und das auch öffentlich kommunizieren. Weg von den ausgegebenen Saisonzielen, kein Ultimatum. So hilft man Lucien Favre am besten. Und so kann man vielleicht auch einen Trainer halten, der seine außerordentlichen Fähigkeiten oft genug bewiesen hat. Garantiert ist auch nicht, dass die Spieler unter einem neuen Coach die Verunsicherung ablegen. Hertha BSC stieg 2010 abgeschlagen als Tabellenletzter ab.
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