Berliner Romantik
Bokowskis Erzählungen
Herta … ick gloob, ick hab’ mir verliebt!« - »Wat haste?« - »Mir verliebt!« - »Biste dir sicher?« - »Klar bin ick mir sicher. Sowat merkt man doch!« - »Woran merkst’n ditte?« - »Na, die Pumpe, Herta! Wie’s da so rumpelt! Und der Magen, als hättick Miniermotten inner Wampe! Und die Rübe! Janz heiß is’ mir obenrum.« - »Ach Rita, so war dit bei dem Rudi doch auch damals!« - »Na, siehste!« - »War aber keene Liebe! War Krebs.«
Wie soll man diese Art des so zeitlosen und die Weltliteratur bestimmende Themen wie Eros und Thanatos abhandelnden Berliner Kurzdramoletts nennen? Vielleicht ›Berliner Romantik‹.
Dann müsste man sagen: Auf dem Gebiet der Berliner Romantik ist Paul Bokowski so etwas wie ein Experte. Kaum einer, der sich da besser auskennt als er: mit Dingen wie dem Charme des jungen Berliner Feminismus (»Du bist so eine verfickte Hure, du Hurensohn!«) oder heißen Dates in der Großstadt und schnellem Sex mit eingewanderten Schwaben (»›Küssen wär’ ein guter Anfang, Zärtlichkeiten lieb’ ich sehr!‹ / Brüllt’ der Schwab’: ›Geschlechtsverkehr!‹«).
Überdies ist er ein genauer Beobachter jenes Berliner Alltags, der in den lächerlichen Hochglanzbroschüren und dem allgegenwärtigen PR-Geschwätz von der »Metropole Berlin« schon lange nicht mehr vorkommt: des Alltags derer, die ihre Lebenszeit in Hinterhöfen, Kellerbars, vor U-Bahnhof-Eingängen, Billigsupermärkten und an Straßenecken herumbringen. Bokowskis komische Erzählungen haben ihrer Sprache, die elaboriert, elegant ist, viel zu verdanken. Seine Sprache ist anschaulich, zitiert Erzählstile des 19. Jahrhunderts (» … im gütigen Nebel des Vergessens versunken« usw.), und gleichzeitig ist sie erfolgreich vom Sprachschaum der versuhrkampten Jungdichter und prätentiosem Wortgeklingel gereinigt: »Heutzutage ist mir diese spröde Verbitterung, die ich tagein, tagaus mit mir herumtrage, zu einem engen, fast unverzichtbaren Freund geworden.« In einer Zeit wie der unseren, wo der Smiley und der gereckte Daumen jede komplexere sprachliche Äußerung ersetzen, möchte man sich bei klaren, schönen Sätzen wie diesen aus Dankbarkeit für jede Silbe in den Staub werfen.
Die »Berliner Zeitung« bezeichnete - man ist schließlich geübt in der Technik der Erzeugung von Aufmerksamkeit - den jungen Autor, wohl weil er eine Brille trägt und Großstadtthemen verhandelt, kürzlich als den »Woody Allen des Wedding«. Was natürlich Blödsinn ist, aber auch nicht ganz falsch: Denn Bokowski ist ein Großmeister des Komischen von der Sorte, wie man hierzulande wenige hat.
Seine Kurzprosa und seine Dialoge liest er, der jeden Donnerstag auf einer eher karg ausgestatteten Bühne steht, seit vielen Jahren regelmäßig einem geneigten Publikum vor und bekommt dafür zahlreiche Lacher. Die Bühne, die er sich mit den anderen aus der »Vorlese-Boygroup« Brauseboys, der er angehört, teilt, befindet sich in einem kleinen Saal, der gut versteckt im armen Berliner Bezirk Wedding in einem Hinterhof liegt. Gehen Sie halt mal hin.
Paul Bokowski: »Alleine ist man weniger zusammen«, Manhattan-Verlag, 159 S., 12,99 €.
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