Die Lederhose als Politpackung

Es ist Oktoberfest und wer glaubt, die Tracht sei dem Volke entsprungen, der irrt

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf der Wiesn lässt sich heutzutage ein großes Kostümfest beobachten. Die dort getragenen Trachten haben nur bedingt etwas mit bayerischer Tradition zu tun.

In München hat das Oktoberfest begonnen. In dieser Zeit sind zwischen Memmingen und Milwaukee, zwischen Berchtesgaden und Berlin wieder die Menschen in Dirndl und Lederhosen unterwegs. Diese Art der Bekleidung hat heute viel mit dem Spiel der Geschlechter und der Koketterie vergangener Zeiten zu tun. Sie ist genauso umrankt von Mythen, wie die Tracht auch politisch instrumentalisiert wurde und wird.

Als US-Präsident Barack Obama im Juni dieses Jahres beim G7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs auf Schloss Elmau weilte, war auch ein Fototermin in der Gemeinde Krün im Landkreis Garmisch-Partenkirchen angesagt: Der Präsident zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Weißwurst, Weißbier und Brezen. Mit dabei waren die Honoratioren von Krün in Lederhosen, Trachtenjanker und mit Gamsbart am Hut. Das sei ihr zu viel »Disneyland«, kritisierte damals SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi den Frühschoppen. Gebirgsschützen, Musiker und Trachtler fühlten sich lächerlich gemacht. Deswegen verfassten sie ein Schreiben an die Politikerin: »Bei diesem Frühschoppen hat sich Krün in einer Weise dargestellt, wie dies an allen Festtagen geschieht: Man zieht sein Festtagsgewand (keine Verkleidung!) an.« Lange hat Josef Winzinger jun., Vorsitzender des Trachtenvereins in Krün, auf eine Antwort warten müssen. Erst Anfang September kam ein Brief aus der SPD-Zentrale. Darin erklärte die Generalsekretärin, sie habe niemandem zu nahe treten wollen und schätze Bayern, hätte aber gerne mehr das Innovative im Vordergrund gesehen. »Für uns ist das damit geklärt«, sagt Trachtler Josef Winzinger, »wir sind nicht nachtragend.«

Die Macht der Tracht: 1900 Einwohner hat Krün und davon sind immerhin 360 im Trachtenverein. Im Bayerischen Trachtenverband mit seinen fast 1000 Vereinen sind 165 000 Erwachsene und 100 000 Jugendliche organisiert. Aufgegliedert ist der Trachtenverband in 22 Gauverbände (drei weitere sind vor einigen Jahren ausgetreten), wovon der größte Gauverband 1 in Oberbayern 117 Vereine zählt. Der Trachtenverband ist auch Mitglied in der »Bürgerallianz Bayern«, einem überparteilichen Zusammenschluss, der sich gegen »Überregulierung« und »übermäßiges Verwaltungshandeln« richtet. Die Bürgerallianz besteht aus 20 Verbänden mit insgesamt 1,7 Millionen Mitgliedern, darunter der »Bayernbund«, der »Bayerische Blasmusikverband«, der »Bund der Steuerzahler« und der »Bayerische Jagdverband«.

Szenenwechsel nach Benediktbeuern in das Trachtinformationszentrum des Bezirks Oberbayern. Dort werden an die 5000 historische Textilien, aber auch alte Fotos und Grafiken, Bücher und Trachtenschmuck gesammelt. »Tracht ist eine Idee«, sagt Zentrumsleiter Alexander Wandinger, »Tracht ist eine Mode mit Vorstellung von Tradition.« Er versteht Tracht als etwas historisch gewordenes, als ein kulturelles Phänomen. »Das Bild, das uns das Fernsehen von der Tracht vermittelt, hat mit der Tracht ungefähr so viel zu tun wie Asterix und Obelix mit dem wirklichen Leben der Gallier«, meint Wandinger.

Mit den Mythen rund um die Tracht räumt auch die Historikerin und Filmemacherin Katarina Schickling auf. So waren die Lederhosen nie die Alltagshose der Bauern, sie wurden nur von Jägern getragen. Auch das Dirndl war nie das typische Gewand einer Magd. Für das Arbeiten wäre dies viel zu unpraktisch. Das Dirndl war vielmehr die Erfindung von Städterinnen, die zur Sommerfrische auf das Land fuhren und schicke Kleider mit Schürzen kombinierten. Überhaupt sei die Vorstellung, Tracht habe etwas mit einer bestimmten Region und mit Althergebrachten zu tun, ein Irrtum: »Die Tracht ist in Wahrheit ein Phänomen des 19. Jahrhunderts.« Als das Königreich Bayern gegründet wurde, bestand es aus unterschiedlichen Teilen, die wenig miteinander zu tun hatten. Die Wittelsbacher wollten dem Land eine Identität geben und so wurden die angeblichen Trachten der Landesteile »erfunden«. Trachtenvereine gibt es erst seit 1883. Und die seien, so Trachtenexperte Wandinger, damals sogar an den Zielen der Arbeiterbewegung orientiert gewesen. Im Nationalsozialismus suchte man dann nach der deutschen »Ur-Tracht« und nutzte die Kleidung zur Diskriminierung von Juden.

So ist der Dirndl- und Lederhosen-Boom auf dem Oktoberfest auch erst ein Phänomen seit weniger als zwei Jahrzehnten. Noch in den 1980er Jahren waren auf der Wiesn kaum Trachten zu sehen. Doch warum sind vor allem Jüngere so fasziniert von dieser Art Bekleidung? Für die Buchautorin Hannelore Schlaffer sind die Volksfeste mittlerweile zu Kostümfesten geworden, in denen vor allem die jungen Frauen mit Geschlechterrollen spielen können. Statt der Einheitskleidung aus Jeans und T-Shirt geht es um Rüschen und Röcke, lässt sich im Dirndl kokettieren: »Der Busen ist der kleinste Nenner, der die Gefühle aller Menschen vereinigt, und nirgends zeigt er sich so schön und unschuldig wie im Dirndl.«

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