Volkswagenchef Winterkorn tritt zurück
Abgas-Skandal: Regierung wusste von Täuschungs-Software / Krisensitzung des VW-Präsidiums in Wolfsburg / Auch London fordert EU zu Untersuchung von VW-Skandal auf
Update 17.10 Uhr: Volkswagenchef Winterkorn tritt zurück / Konzern erstattet Strafanzeige
Angesichts der Affäre um Abgasmanipulationen tritt Volkswagenchef Martin Winterkorn zurück. Als Vorstandsvorsitzender übernehme er die Verantwortung für die bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren, erklärte Winterkorn am Mittwoch in Wolfsburg. »Volkswagen braucht einen Neuanfang - auch personell.« Mit seinem Rücktritt mache er den Weg dafür frei.
Das Präsidium des VW-Aufsichtsrats hat in einer Erklärung zum Rücktritt von Konzernchef Martin Winterkorn und den Folgen des Abgas-Skandals Stellung genommen. Die Erklärung im Wortlaut:
»1. Das Präsidium nimmt die Vorgänge mit großer Betroffenheit zur Kenntnis. Seine Mitglieder sind sich nicht nur des eingetretenen wirtschaftlichen Schadens bewusst, sondern vor allen Dingen auch des Verlustes an Vertrauen bei vielen Kunden weltweit.
2. Die Mitglieder des Präsidiums sind sich darin einig, dass mit aller Entschlossenheit die Vorgänge aufgeklärt werden und dafür Sorge getragen wird, dass Verfehlungen geahndet werden. Zugleich sind die Mitglieder des Präsidiums entschlossen, dafür Sorge zu tragen, dass ein glaubwürdiger Neuanfang mit aller Entschiedenheit angepackt wird.
3. Mit großem Respekt haben die Mitglieder des Präsidiums das Angebot des Vorstandsvorsitzenden, Professor Dr. Martin Winterkorn, zur Kenntnis genommen, von seinem Amt zurückzutreten und um eine Aufhebung des Vertrages zu bitten. Die Mitglieder des Präsidiums stellen fest, dass Herr Professor Dr. Winterkorn keine Kenntnis hatte von der Manipulation von Abgaswerten. Seine Bereitschaft, die Verantwortung zu übernehmen und damit ein deutliches Signal in das Unternehmen hinein und nach außen zu senden, wird von dem Präsidium mit größter Hochachtung zur Kenntnis genommen. Herr Professor Dr. Winterkorn hat sich um Volkswagen unschätzbare Verdienste erworben. Mit seinem Namen ist der Aufstieg des Unternehmens zu einem Weltkonzern verbunden. Die Mitglieder des Präsidiums danken Herrn Professor Dr. Winterkorn für seine überragende Leistung in den vergangenen Jahrzehnten und für die Bereitschaft in der derzeit kritischen Situation Verantwortung zu übernehmen. Diese Einstellung ist beispielhaft.
4. Vorschläge zu personellen Neubesetzungen werden bis zur Sitzung des Aufsichtsrates am kommenden Freitag vorliegen.
5. Die Mitglieder des Präsidiums erwarten in den nächsten Tagen weitere personelle Konsequenzen. Die konzerninternen Untersuchungen laufen derzeit auf Hochtouren. Alle Beteiligten an diesen Vorgängen, die einen unermesslichen Schaden für Volkswagen angerichtet haben, werden mit aller Konsequenz belangt.
6. Die Mitglieder des Präsidiums haben beschlossen, durch das Unternehmen Strafanzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Braunschweig zu erheben. Es steht nach Ansicht des Präsidiums fest, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, die auch strafrechtlich relevant sein können. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werden seitens des Volkswagen Konzerns in aller Form unterstützt.
7. Die Mitglieder des Präsidiums schlagen dem Aufsichtsrat der Volkswagen AG vor, einen Sonderausschuss zu bilden, unter dessen Leitung die weitere Aufklärung erfolgen wird sowie die notwendigen Konsequenzen vorbereitet werden. Der Sonderausschuss wird sich hierzu externer Beratung bedienen. Nähere Einzelheiten hierzu sollen in der Aufsichtsratssitzung am Freitag entschieden werden.
8. Den Mitgliedern des Präsidiums ist bewusst, dass es sich bei der Bewältigung der entstandenen Vertrauenskrise um eine längerfristige Aufgabe handelt, die hohe Konsequenz und einen langen Atem erfordert.
9. Die Mitglieder des Präsidiums werden sich gemeinsam mit der Belegschaft und dem Vorstand dieser Aufgabe engagiert stellen. Volkswagen ist ein großartiges Unternehmen, das auf der Leistung von Hunderttausenden Menschen beruht. Wir betrachten es als unsere Aufgabe, dass dieses Unternehmen in jeder Hinsicht wieder das Vertrauen seiner Kunden zurückgewinnt.« dpa/nd
Er sei bestürzt darüber, was in den vergangenen Tagen geschehen sei, erklärte der 68-Jährige im Anschluss an eine Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums am Konzernsitz in Wolfsburg. »Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren«, fügte er hinzu.
Als Vorstandschef übernehme er jetzt die Verantwortung für die bekanntgewordenen Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren. Er habe daher den Aufsichtsrat gebeten, mit ihm »eine Vereinbarung zur Beendigung meiner Funktion« als Vorstandsvorsitzender zu treffen. »Ich tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin«, erklärte Winterkorn.
Winterkorn habe keine Kenntnis von der Manipulation der Abgaswerte gehabt, sagte Huber weiter. Das Präsidium des Aufsichtsrats habe Winterkorns Rücktrittsentscheidung deshalb »mit großem Respekt« entgegengenommen. Über die Vorschläge zur personellen Neubesetzung von Winterkorns Posten werde am Freitag im Aufsichtsrat beraten. Nähere Angaben machte er nicht. Als möglicher Nachfolger von Winterkorn ist Porsche-Chef Matthias Müller schon länger im Gespräch.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagte vor den Journalisten, das Präsidium habe beschlossen, durch das Unternehmen Strafanzeige zu erstatten. Das Gremium habe »den Eindruck, dass strafrechtlich relevante Handlungen eine Rolle« gespielt hätten. Das Unternehmen werde dafür sorgen, dass die Verantwortlichen für die Abgas-Affäre »hart belangt werden«. Zudem werde Volkswagen einen Sonderausschuss gründen, der die Aufklärung konsequent vorantreiben werde. Dabei solle auch auf externe Berater zurückgegriffen werden.
VW werde dafür sorgen, »dass diese Affäre vollständig und schnell aufgeklärt wird«, sagte Weil. Das Vertrauen in das Unternehmen müsse »sehr schnell« wieder hergestellt werden. »Das darf bei Volkswagen nie wieder passieren.« Niedersachsen hält 20 Prozent an Volkswagen.
Update 15.20 Uhr: Bosch weist Mitverantwortung für Abgas-Skandal zurück
Das betreffende Bauteil im VW-Skandal stammt von Bosch, doch der deutsche Autozulieferer weist jede Mitverantwortung für Manipulationen an der Abgaswermessung zurück: »Wir fertigen die Komponenten nach Spezifikation von Volkswagen, die Verantwortung für Applikation und Integration der Komponenten liegt bei VW«, erklärte das Unternehmen in der Süddeutschen Zeitung. Zudem gehe aus den Unerlagen der US-Umweltbehörde EPA hervor, dass Volkswagen die für die Manipulation notwenige Software selbst programmiert habe.
Update 13.10 Uhr: Strafanzeigen gegen VW gestellt
Der VW-Konzern gerät wegen der Abgas-Affäre nun auch in Deutschland ins Visier der Justiz. Mehrere Bürger hätten aufgrund der manipulierten Messungen bei Dieselfahrzeugen Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig erstattet, sagte ein Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums am Mittwoch in Hannover. Derzeit laufe die strafrechtliche Bewertung noch. Zum genauen Umfang und zu den in den Anzeigen formulierten Vorwürfen äußerte er sich nicht.
Update 12.00 Uhr: Grüne: Regierung wusste von Abschaltungssoftware / Umwelthilfe wirft Regierung Mängel bei Kontrolle von Abgaswerten vor
Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, hat der Bundesregierung massive Nachlässigkeiten bei der Kontrolle von Abgaswerten vorgeworfen. Über Jahre hinweg habe die Regierung »kein einziges Mal die Angaben der Automobilindustrie kontrolliert«, sagte Resch am Mittwochmorgen im Deutschlandfunk. Lediglich die Unterlagen der Hersteller seien auf Plausibilität geprüft worden, Messungen habe es nicht gegeben.
Die Bundesregierung wisse zudem »seit vielen Jahren«, dass die Angaben der Hersteller zu den Emissionswerten deutlich von dem abwichen, was die Fahrzeuge tatsächlich in die Luft bliesen. Das Problem betrifft in Deutschland laut Resch nicht nur VW; »einige andere Hersteller« würden »das Gleiche tun«. Die Deutsche Umwelthilfe oder auch das Umweltbundesamt hätten die Regierung »fortwährend« auf die Diskrepanzen aufmerksam gemacht.
Auch die Grünen im Bundestag warfen der Regierung vor, mindestens seit Juli dieses Jahres von Abweichungen gewusst zu haben. Dies gehe aus einer Anfrage der Partei an das Bundesverkehrsministerium hervor, erklärte die Bundestagsfraktion. In der AFP vorliegenden Antwort der Bundesregierung heißt es, sie teile »die Auffassung der Europäischen Kommission, dass das Konzept zur Verhinderung von Abschalteinrichtungen sich in der Praxis bislang nicht umfänglich bewährt hat«. Eine Abschalteinrichtung zur Kontrolle von Schadstoffausstößen steht im Mittelpunkt der Affäre um Volkswagen.
Das Bundesverkehrsministerium wies die Vorwürfe zurück. Ihm lägen »keinerlei Erkenntnisse über den Einsatz von Abschalteinrichtungen vor. Andere geäußerte Vermutungen sind falsch«, teilte das Ministerium am Dienstagabend mit.
Update 11.00 Uhr: Auch London fordert EU zu Untersuchung von VW-Skandal auf - »Vertrauen in Abgas-Tests ist unerlässlich«
Im Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen hat auch die britische Regierung die Europäische Kommission zu Untersuchungen aufgefordert. Es sei unerlässlich, dass die Öffentlichkeit Vertrauen in Abgas-Tests für Fahrzeuge habe, erklärte am Dienstagabend Verkehrsminister Patrick McLoughlin. Er habe die Kommission in Brüssel aufgefordert, sich »dringend« darum zu kümmern.
Zuvor hatte auch Frankreich die EU zu Untersuchungen aufgefordert; andere Länder kündigten eigene Prüfungen an. Die USA leiteten strafrechtliche Ermittlungen gegen VW ein.
Volkswagen stattete seine Dieselautos mit einer Software aus, mit der Vorgaben zur Luftreinhaltung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos erfüllt wurden. Die Dieselfahrzeuge stießen folglich im regulären Straßenverkehr mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus als erlaubt. Betroffen sind nach Angaben von VW elf Millionen Dieselautos weltweit.
Zivilklage gegen VW in Brasilien
Gegen Volkswagen ist in Brasilien eine Zivilklage wegen seines Verhaltens während der Militärdiktatur in dem südamerikanischen Land eingereicht worden. VW habe während der Diktatur in den Jahren 1964 bis 1985 die Folter und illegale Festnahme von Mitarbeitern hingenommen, begründete das Arbeiterforum für Wahrheit, Gerechtigkeit und Reparation am Dienstag seine Klage in São Paulo.
Diesel-Skandal: Krisensitzung des VW-Präsidiums in Wolfsburg
Das fünfköpfige Aufsichtsratspräsidium von Europas größtem Autobauer Volkswagen berät in Wolfsburg bei einer Krisensitzung über Konsequenzen aus dem Diesel-Skandal. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Mittwochmorgen aus Teilnehmerkreisen. Der genaue Ort der Zusammenkunft blieb zunächst geheim. Nach dpa-Informationen findet das Treffen auf dem Werksgelände statt.
An der Sitzung nehmen der Interimsvorsitzende des Präsidiums, Berthold Huber, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Großaktionärs-Vertreter Wolfgang Porsche sowie Betriebsratschef Bernd Osterloh und dessen Stellvertreter Stephan Wolf teil.
Im Mittelpunkt stehen personelle Konsequenzen aus der Affäre um manipulierte Messungen beim Schadstoffausstoß von Dieselmotoren. Dabei geht es auch um die berufliche Zukunft von VW-Chef
Martin Winterkorn. Dieser steht infolge des Skandals, der nach Konzernangaben elf Millionen Fahrzeuge betrifft, massiv unter Druck. Die für diesen Freitag geplante vorzeitige Vertragsverlängerung für den bestbezahlten Dax-Manager ist nach wie vor ungewiss.
Am Dienstag hatte sich Winterkorn für die Manipulationen entschuldigt und eine umfassende Aufklärung angekündigt. Dabei hatte er aber auch deutlich gemacht, dass er seinen Posten nicht aufgeben möchte.
Unterdessen setzte sich am Mittwochmorgen an der Frankfurter Börse der Abwärtstrend der vergangenen Tage ungebremst fort. Die VW-Vorzugsaktien gaben um knapp fünf Prozent nach. Der Kurs der Titel hatte am Montag und Dienstag bereits rund ein Drittel eingebüßt.
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