Wagenknecht kritisiert Koalition: Auf Kosten der Armen
Zweifel an Schuldenbremse wachsen: Solidarität oder Schwarze Null? Linken-Landeschefin Henning-Wellsow warnt vor »Zusammenbruch des gesellschaftlichen Lebens« / Auch Stimmen aus CSU und SPD gegen umstrittenes Kreditverbot
Update 10 Uhr: Wagenknecht: Koalition macht Integration auf Kosten der Armen
Linksfraktionsvize Sahra Wagenknecht hat der Bundesregierung vorgeworfen, die Integration von Flüchtlingen auf Kosten von Sozialschwachen in Deutschland zu finanzieren. »Nicht die Wohlhabenden, vor allem die Ärmeren werden betroffen sein, wenn zur Finanzierung von Integration andere Budgets gekürzt werden«, sagte Wagenknecht am Donnerstag im Bundestag. »Wer so etwas zulässt, der vergiftet das Klima in unserem Land.« Die Bundesregierung müsse weitere Mittel bereitstellen und auch zum Abrücken vom ausgeglichenen Haushalt bereit sein. Ansonsten würden rechte Ressentiments geschürt. »Ist Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, die schwarze Null wirklich so heilig, dass Sie dafür in Kauf nehmen, braune Nullen beim Stimmenfang zu unterstützen?« Mieten drohten zu steigen, Geringverdiener bekämen es zu spüren, wenn Flüchtlinge zu Lohndumping missbraucht würden.
Zweifel an Schuldenbremse wachsen
Berlin. Die Lage der öffentlichen Haushalte wird nicht besser. Auch der Anspruch, eine wachsende Zahl von Flüchtlingen menschenwürdig unterzubringen, ist nicht kostenlos umzusetzen. Die Landeschefin der Linken in Thüringen hat deshalb jetzt die in der Thüringer Landeshaushaltsordnung verankerte Schuldenbremse infrage gestellt. »Die Schuldenbremse halte ich für falsch«, sagte sie der »Thüringischen Landeszeitung«. In der finanziellen Situation, in der sich derzeit alle Länder befänden, müsse grundsätzlich über dieses Instrument nachgedacht werden.
Die Schuldenbremse verbietet es den Ländern ab dem Jahr 2020, neue Kredite aufzunehmen. Zur Vorbereitung müssen viele Landesregierungen bereits vorher erhebliche Kürzungen vornehmen. Es mache »volkswirtschaftlich keinen Sinn«, neue Kredite für immer auszuschließen. Ansonsten müsse Thüringen durch den Wegfall der Solidarpaktgelder Ende 2019 eine halbe Milliarde im Haushalt einsparen. »Das wäre der Zusammenbruch des gesellschaftlichen Lebens«, zeigte sich die Linke überzeugt. Hennig-Wellsow fordert angesichts der weiter steigenden Flüchtlingszahlen eine deutliche Aufstockung der Finanzhilfe für die Länder. »Der Bund müsste zehn bis zwölf Milliarden Euro rausrücken«, sagte sie.
Angesichts der steigenden Ausgaben zur Flüchtlingsunterbringung hatte zuvor schon der Bundesvorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger die Abschaffung der Schuldenbremse gefordert. Es sei unverantwortlich, Geld für Kitas, Schulen, Krankenhäuser und Pflegeheime zu kürzen. Unter dem »Zwang zur schwarzen Null« könnten die Kommunen nicht für eine geordnete Aufnahme und Integration geflüchteter Familien sorgen.
Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte sich offen für eine Lockerung der Schuldenbremse gezeigt. »Ich glaube nicht, dass die Schuldenbremse in allen Bundesländern eingehalten werden kann«, wurde Seehofer in der »Süddeutschen Zeitung« zitiert. »Bei den Kosten für die Unterbringung sind wir schon an der Belastungsgrenze. Wir müssen aber auch jetzt sofort die Integrationsbemühungen massiv verstärken, um soziale Spannungen zu vermeiden.«
Ähnliche Zweifel an der Schuldenbremse hatten die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger und Bildungsminister Ulrich Commerçon (beide SPD) geäußert. Z»Es ist eine völlig neue Situation, mit der wir jetzt konfrontiert sind«, betonte Rehlinger auf dpa-Anfrage. Die jüngste Entwicklung gebe Anlass, »die Schuldenbremse neu zu bewerten«.
Der evangelische Sozialexperte Uwe Becker war mit den Worten zitiert worden, eines der gravierendsten föderalen Probleme der Zukunft sei eine öffentliche Verarmung. »Die ohnehin klammen Kommunen werden mit nationalen und internationalen Ordnungsproblemen überfrachtet«, kritisierte der Pfarrer, der ab September als Professor an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum Diakoniewissenschaft, Sozialethik und Verbändeforschung lehrt. Durch die Schuldenbremse werde sich das Problem noch verstärken.
Der Sprecher der SPD-Linken im Bundestag, Matthias Miersch, hatte gegenüber »nd« erklärt, die Schuldenbremse stelle die öffentlichen Haushalte »vor große Herausforderungen. Wir wollen nicht, dass der Staat sich aus elementaren Bereichen der Daseinsvorsorge zurückzieht und dort auf private Investitionen angewiesen ist. Deswegen müssen wir darüber diskutieren, wie wir die Einnahmeseite verbessern können.« Agenturen/nd
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