Mit der Wahrheit auf den Weg zum Frieden
Kolumbiens Regierung und die FARC-Guerilla einigen sich über die Aufarbeitung der Verbrechen durch die Justiz
Es ist eine der konfliktträchtigsten Fragen bei den kolumbianischen Friedensverhandlungen in Havanna überhaupt: der Umgang mit den unzähligen Verbrechen im jahrzehntelangen bewaffneten internen Konflikt nach einem Friedensabkommen. In weißen Hemden, mit gewichtiger Mine, reichten sich gestern Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos und FARC-Comandante «Timochenko» die Hand zur gerade in Havanna getroffenen Vereinbarung. Die markiert einen Durchbruch auf dem Weg zum endgültigen Friedensabkommen, welches, so Santos, in spätestens einen halben Jahr unterschrieben werden soll. Für Rodrigo Londoño Echeverri, alias Timochenko, war dabei besonders wichtig, dass alle Verbrechen und nicht nur die der 1964 gegründeten FARC-Guerilla aufgeklärt werden sollen.
Aufklärung steht dabei für die beiden Repräsentanten der Konfliktparteien ganz oben auf der Prioritätenliste. Juan Manuel Santos will Kolumbien befrieden und fit für internationale Direktinvestitionen machen will. Der 56-jährige Timochenko, Oberbefehlshaber der FARC, hat bei den zähen Verhandlungen immer darauf gepocht, dass die von Armee und Paramilitärs verübten Straftaten gleichfalls juristisch aufgearbeitet werden müssen.
Juristisch steht das Land damit vor einer immensen Aufgabe, denn die Ermittlungsbehörden sind auf derartige Aufgaben bisher nicht vorbereitet, so der Staatsanwalt und Chef der Gewerkschaft im Justizsektor, Asonal Juicial, Luis Fernando Otalvaro. «Es fehlt an Mitteln, an Personal und politischem Rückhalt, um zu ermitteln, aufzuklären und zu verurteilen. Obwohl die Regierung schon lange weiß, dass ein Friedensprozess mit der FARC für die Justiz mit zusätzlichen Aufgaben verbunden ist, wurde die Etats nicht aufgestockt» moniert der 60-jährige Jurist. Gleichwohl begrüßt er, dass der Prozess in Havanna Fortschritte macht und dafür hatte jüngst auch Papst Franziskus bei seinem Kuba-Besuch geworben.
Für viele Opfervertreter ist die historische Wahrheit ohnehin das A und O. «Wir wollen wissen, wo unsere Verschwundenen sind, wollen Aufklärung, aber die Bestrafung der Täter ist längst nicht immer realistisch», so Yaneth Bautista, die als eine der Opfervertreterinnen im letzten Jahr in Havanna war. Sie weiß nur zu gut, was es heißt Ermittlungen gegen Militärs und Paramilitärs anzustrengen, hat zahlreiche Morddrohungen erhalten seit sie mit der «Fundación Nydia Erika Bautista» die derzeit bekannteste Hilfsorganisation für Angehörige von Verschwundenen gegründet hat.
Der Teufel steckt wie so oft im Detail, denn die Verhandlungsführer haben sich zwar auf das Prinzip geeinigt, dass die Opfer ein Recht auf die Wahrheit haben, zugleich gilt für politische Straftaten eine Amnestie für die FARC-Kämpfer. Sie müssen mit bis zu 20-jährigen Haftstrafen rechnen. Zeigen sie sich jedoch reuig lautet das maximale Strafmaß acht Jahre, die unter gewissen Voraussetzungen auch im Hausarrest «abgesessen» werden können.
Um der historischen Wahrheit Genüge zu tun und um auch schnell zu Urteilen zu kommen, sollen Schnellgerichte - eventuell auch mit Partizipation internationaler Juristen - eingerichtet werden. «Die Sonderjustiz ermöglicht es uns, nach vorne zu schauen und die Vergangenheit hinter uns zu lassen», erklärte FARC-Chef «Timochenko» in Havanna.
Das System soll es allen Konfliktparteien erlauben, die Wahrheit offen zu legen, so die beiden Verhandlungsführer. Mit der Festlegung des moderaten Strafmaßes kamen die Verhandlungsführer der kolumbianischen Regierung der FARC entgegen, allerdings gab es ähnliche Regelungen bei der Demobilisierung der Paramilitärs 2005 und 2006.
Wie die Urteile, die für viele FARC- und ELN-Guilleros in Abwesenheit verhängt wurden, jedoch korrigiert werden sollen, ist bisher noch nicht en detail bekannt. Das Abkommen kritisierte der ehemalige Präsident und derzeitige Oppositionsführer und rechte Hardliner Álvaro Uribe Vélez umgehend vehement. Er warf der Regierung vor, «den Terroristen alle Möglichkeiten zur politischen Beteiligung» eröffnet zu haben, ohne die Verantwortlichen der Gräueltaten auszuschließen«. Der erzkonservative Uribe hatte Verhandlungen mit der Guerilla immer abgelehnt und ihm werden auch heute noch enge Bindungen zu den nach wie vor aktiven Paramilitärs nachgesagt.
Die FARC-Guerilla hatte im Jahr 1964 den bewaffneten Kampf gegen Großgrundbesitzer und die Regierung aufgenommen. In dem ein halbes Jahrhundert dauernden Konflikt, an dem auch andere linke Rebellengruppen, ultrarechte Paramilitärs und Drogenhändler beteiligt waren, wurden nach amtlichen Angaben etwa 220 000 Menschen getötet. Sechs Millionen Menschen flohen vor der Gewalt.
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