Mogeleien schaden Umwelt und Gesundheit
Verbände: Aus VW-Krise muss nicht nur die Industrie, sondern auch die Politik Lehren für die Zukunft ziehen
Wolfsburg. Die Umweltorganisation Greenpeace hat am Freitag in Wolfsburg gegen die Verharmlosung der Umwelt- und Gesundheitsfolgen durch Autohersteller demonstriert. Vor dem Werkstor forderten Aktivisten »Schluss mit Lügen«. VW habe die Bevölkerung über die Gesundheitsgefahr seiner Dieselwagen belogen, sagte Greenpeace-Mobilitätsexperte Daniel Moser. VW müsse auch die in Deutschland betroffenen Autos zurückrufen und wenn nötig stilllegen. Vor einer Woche war bekanntgeworden, dass VW die Software von rund elf Millionen Dieselfahrzeugen weltweit so manipuliert hatte, dass die Autos die Abgastests in den USA bestanden, aber im Straßenverkehr weiter zu hohe Emissionen ausstießen.
Moser erklärte, Umweltverbände wiesen schon lange darauf hin, dass die offiziellen Angaben von Autokonzernen zu Schadstoffen und Verbrauch in der Realität deutlich höher lägen. Die Hersteller hätten mit ihrer Lobbymacht Testzyklen durchgesetzt, die mit dem regulären Betrieb kaum mehr etwas gemeinsam hätten.
Der ökologische Verkehrsclub VCD kritisierte ebenfalls die Mogeleien. Nach am Freitag veröffentlichten Zahlen des International Council of Clean Transportation (ICCT) lägen die CO2-Emissionen und damit die Spritverbräuche neuer Pkw-Modelle in Europa im Durchschnitt um 40 Prozent höher als die Herstellerangaben. Laut ICCT beruhen die Abweichungen hauptsächlich auf der Ausnutzung von Schlupflöchern bei Tests. Michael Müller-Görnert vom VCD sagte, wenn die Politik nicht handle, sei bis 2020 mit einem Anstieg der Abweichungen auf bis zu 50 Prozent zu rechnen.
Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Martin Burkert (SPD), sieht ebenfalls die öffentliche Hand und den Gesetzgeber in der Pflicht. Burkert sagte der ARD, dass die Abgaswerte nicht mehr in Labors sondern auf der Straße gemessen werden müssten. Zweitens müsse wieder das Kraftfahrtbundesamt für die Abgasprüfungen zuständig sein. Die von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ins Leben gerufene Kommission müsse nun elf Millionen Fahrzeuge und andere Hersteller überprüfen. Daraus könnten auch Gesetzesänderungen folgen. Im Bundestag fand am Freitag eine Aktuelle Stunde zum Abgasskandal statt.
Die Opposition forderte mehr Anstrengungen von der Industrie: Die Grünen-Bundestagsfraktion verlangte in einem Brief an den Präsidenten des Branchenverbands VDA, Matthias Wissmann, eine Offenlegung von Verbrauchs- und Abgaswerten.
Verbraucherschützer forderten unterdessen die Einführung von Gruppenklagen in Deutschland. VW habe Verbraucher massiv getäuscht, erklärte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) am Freitag. In Deutschland fehlten bislang jedoch rechtliche Möglichkeiten, um die Ansprüche vieler Geschädigter durchzusetzen. Gruppenverfahren seien nicht mit Sammelklagen wie in den USA vergleichbar. Verbraucher sollten nur Ansprüche geltend machen können, die jedem zustünden und auch individuell durchsetzbar wären.
VW drohen auch in anderen Ländern als den USA juristische Folgen. Nach mehreren europäischen Staaten verlangten am Freitag Australien und Indien eine Aufklärung des Abgasskandals. Australiens Regierung erklärte, sie erwarte »rasch« Antworten von Volkswagen und der Tochter Audi. Danach werde die Regierung entscheiden, ob und welche Maßnahmen sie ergreifen werde. Sollte auch in VWs in Australien eine Manipulationssoftware eingebaut sein, werde die Regierung dafür sorgen, dass betroffene Modelle zurückgerufen und neue nicht mehr im Land verkauft werden.
Die indische Regierung ordnete laut einem Bericht der Wirtschaftszeitung »Mint« eigene Tests von Volkswagen-Modellen an, deren Ergebnisse binnen einer Woche vorliegen sollen.
In China produzierte Fahrzeuge von VW sollen dagegen nicht betroffen sein. Wie die zwei großen Joint Ventures von VW am Freitag in Shanghai mitteilten, sind ihre Produkte nicht in den Skandal verwickelt. Dieselfahrzeuge spielen für VW in China zudem nur eine geringe Rolle. Agenturen/nd
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