Katalonien: CUP ruft zu Ungehorsam auf

Parteichef Baños: Katalanen sollen Gesetze von Madrid missachten / Volkspartei PP spricht Unabhängigkeitslager den Erfolg ab: Das Plebiszit wurde verloren / Wahlbeteiligung bei 77 Prozent / Podemos erreicht elf Sitze: »Enttäuschend«

  • Lesedauer: 5 Min.

Update 12.30 Uhr: NZZ: Madrid muss Katalanen entgegenkommen
Die »Neue Zürcher Zeitung« kommentiert den Ausgang der Wahl so: »Es gibt kein eindeutiges Votum für staatliche Eigenständigkeit, aber auch kein jubelndes Bekenntnis zum Verbleib in Spanien. (...) Die spanische Verfassung versteht Spanien nicht als 'Gefängnis der Völker'. Sie verbietet auch nicht die Debatte über grundlegende Fragen des spanischen Staates, und sie lässt sich nötigenfalls ändern. Wenn der künftigen Regierung in Madrid wirklich an der Einheit Spaniens gelegen ist, muss sie überlegen, wie sie den Katalanen entgegenkommen will, so dass diese sich in Spanien ernst genommen und anerkannt fühlen. Noch wichtiger als politische und finanzielle Forderungen sind in der gegenwärtigen verfahrenen Lage psychologische Befindlichkeiten.«

Update 9.20 Uhr: Kommentare in den Zeitungen
»El País« aus Madrid schreibt zum Wahlergebnis in Katalonien: »Die katalanischen Separatisten errangen einen Wahltriumph, erlitten aber eine Niederlage, wenn man die Wahl als ein Plebiszit versteht. Die Befürworter einer Abspaltung Kataloniens von Spanien gewannen die meisten Sitze, erhielten aber nicht annähernd die Hälfte der Stimmen. Sie werden weiterhin die Regierung der Region bilden. Eine andere Konstellation ist praktisch unmöglich. Die spanische Zentralregierung darf den Wahlausgang nicht ignorieren, sondern muss rasch reagieren. Sie muss Wege des Dialogs ebnen und den eindringlich vorgetragenen Wunsch der Katalanen nach einer Veränderung berücksichtigen. Madrid darf sich nicht länger darauf beschränken, den Gerichten die Initiative zu überlassen.«

Der italienische »Corriere della Sera« analysiert: »Europa, das gerade die Kraft findet, seine Krisen zu überwinden - die griechische Herausforderung, den historischen Migranten-Notfall - kann sich keine gefährlichen Brüche erlauben, wie den, der gestern in Katalonien geschehen ist. Die desintegrierenden Vorstöße sind weniger denn je hinnehmbar. Der katalanische Nationalismus, fälschlich auf Modernität getüncht, hätte vielleicht in der Vergangenheit mehr Verständnis finden und seinen Egoismus mit dem Alibi der Selbstbestimmung maskieren können. Heute nicht mehr. In einem vom Populismus erschütterten Europa ist absolut kein Platz mehr für Abenteuer. Und natürlich nicht für gefährliche Präzedenzfälle.«

Katalonien: CUP ruft zu Ungehorsam auf

Berlin. Nach dem Sieg des Unabhängigkeitslagers bei der Regionalwahl in Katalonien hat die linksradikale CUP zu zivilem Ungehorsam gegenüber der spanischen Zentralregierung aufgerufen. Der Wahlausgang habe Kataloniens »Souveränität« deutlich gemacht, sagte CUP-Spitzenkandidat Antonio Baños am Sonntag vor Anhängern in Barcelona. »Ab morgen kann und sollte das Gesetz von den Katalanen missachtet werden«, fügte er mit Blick auf Vorgaben aus Madrid hinzu. Dies betreffe »ungerechte Gesetze«. »Heute wurde die Republik geboren«, beschwor Baños ein unabhängiges Katalonien. Im Kurzmitteilungsdienst Twitter schrieb er: »An den spanischen Staat, ohne Groll: Auf Wiedersehen.« Auf Barcelonas Straßen feierten zahlreiche Befürworter der Unabhängigkeit. »Das ist genial, unbeschreiblich, überwältigend«, sagte der 18-jährige Publizistik-Student Arnau Font.

Die antikapitalistische CUP errang nach Auszählung von 97 Prozent aller Stimmen bei der Wahl am Sonntag zehn der 135 Sitze im katalanischen Regionalparlament. Die Wahlbeteiligung erreichte den Rekordwert von 77 Prozent. Das Bündnis Junts pel Sí (Zusammen für das Ja), dem auch die linksnationalistische Partei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC, Republikanische Linke) und andere Organisationen angehören, kam auf 62 Sitze, so dass die Unabhängigkeitsbefürworter die absolute Mehrheit im Parlament haben. Ihr prozentuale Stimmenanteil lag den Angaben zufolge aber nicht über 50 Prozent - sondern bei 47,8 Prozent der Stimmen.

Unabhängigkeitslager in Katalonien vor absoluter Mehrheit
Newsblog zur Regionalwahl: Bündnis Junts pel Sí über 40 Prozent / Die linksradikale CUP wird fast so stark wie das linke Bündnis, an dem Podemos beteiligt ist

Die in Madrid regierende konservative Volkspartei (PP) sprach den Unabhängigkeitsbefürwortern den Erfolg deshalb auch ab. Die »Mehrheit der Katalanen« habe gegen eine Unabhängigkeit gestimmt, erklärte PP-Sprecher Pablo Casado mit Blick auf den Stimmenanteil der Befürworter von unter 50 Prozent. »Wir werden die Einheit Spaniens weiter verteidigen«, fügte er hinzu.

»Diejenigen, die nach Sitzen gewonnen haben, haben nicht nach Stimmen gewonnen, also haben sie das Plebiszit verloren«, sagte auch der Chef der spanischen Sozialisten, Pedro Sánchez, die 16 Sitze errangen. Seine Partei setzt sich für mehr Autonomie ein, lehnt eine Unabhängigkeit Kataloniens aber ab.

Kataloniens Regionalpräsident Artur Mas kündigte allerdings die Fortsetzung seines Unabhängigkeitskurses an. »Das Ja hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen«, sagte Mas zum Wahlausgang vor seinen Anhängern. Sein Bündnis habe damit eine »enorme Legitimität voranzugehen mit unserem Projekt« der Unabhängigkeit Kataloniens. Mas hatte angekündigt, Katalonien im Falle eines Sieges bis 2017 in die Unabhängigkeit führen zu wollen.

Vor Mas' Bündnis und der CUP dürften allerdings noch schwierige Koalitionsverhandlungen liegen, da die CUP die Sparpolitik des konservativen Regionalpräsidenten ablehnt. Auch über die Strategie zur Erlangung der Unabhängigkeit könnte es Streit geben.

Das Lager der Gegner einer Abspaltung Kataloniens wird nun von der Partei Ciudadanos geführt. Mit einer Steigerung von neun auf 25 Sitze wurde Ciudadanos zweitstärkste Kraft im katalanischen Parlament. Inès Arrimada von der liberalen Partei erklärte mit Blick auf die Unabhängigkeitsbefürtworter: »Die Katalanen haben ihnen den Rücken zugewendet.« Die linke Podemos errang im Bündnis mit Grünen und anderen Linken den vorläufigen Angaben zufolge elf Sitze, was ihr Chef Pablo Iglesias als »enttäuschend« bezeichnete. Die PP, in Madrid immerhin Regierungspartei, verschlechterte sich in Katalonien von 19 auf elf Sitze.

Auf Katalonien, dessen Einwohner etwa 16 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, entfällt etwa ein Fünftel der spanischen Wirtschaftsleistung und rund ein Viertel der Exporte. Besonders laut wurden die Rufe nach staatlicher Souveränität im Zuge der Finanzkrise und der im Jahr 2008 geplatzten Immobilienblase in Spanien. Im November 2014 verhinderte die Zentralregierung ein Unabhängigkeitsreferendum per Klage vor dem Verfassungsgericht. Die autonome Region mit 7,5 Millionen Einwohnern sieht sich von der Zentralregierung in Madrid gegängelt und wirtschaftlich ausgenutzt. Die spanische Regierung hatte im Vorfeld gewarnt, eine Abspaltung Kataloniens von Spanien sei nicht nur verfassungswidrig, sondern würde auch den Verlust der EU-Mitgliedschaft und des Euro für Katalonien bedeuten. Ferner sei die Auszahlung der Renten in Gefahr. Agenturen/nd

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