Das neue Reich der Mittelschicht

Laut einer Studie der Allianz steigen die Vermögen in China besonders schnell an

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.
China wird häufig als neuer Prototyp einer turbokapitalistischen Gesellschaft dargestellt. Doch in der Volksrepublik ist der Reichtum weitaus gleicher verteilt als in den etablierten Industrienationen.

Die Mittelschicht des 21. Jahrhunderts findet man nicht den USA, Deutschland, Frankreich oder Griechenland. Man findet sie im Reich der Mitte. »Mittlerweile rekrutieren sich etwa zwei Drittel der globalen Vermögensmittelklasse aus Asien - und 85 Prozent davon stammen aus China«, schreiben die Volkswirte der Allianz in ihrem diesjährigen Vermögensreport, den sie am Dienstag veröffentlichten. Seit Jahrtausendbeginn habe sich damit die Mittelschicht in Asien nahezu verzehnfacht.

Doch diese globale Mittelschicht ist breit gefächert. Zu ihr zählen die Forscher von Deutschlands größtem Versicherer Personen, die im vergangenen Jahr ein Nettogeldvermögen von 6100 bis 36 700 Euro ihr Eigen nennen konnten. Dies waren erstmals mehr als eine Milliarde Menschen. Sie vereinen beinahe 17 Prozent des Weltvermögens auf sich. Doch auf der anderen Seite steht die große Masse der weltweiten Unterschicht. Auf diese 3,5 Milliarden Menschen beziehungsweise 71 Prozent der Weltbevölkerung entfällt noch immer weniger als fünf Prozent des weltweiten Nettogeldvermögens, während die reichsten zehn Prozent etwa 80 Prozent des gesamten globalen Vermögens ihr Eigen nennen können.

Und dieses steigt weiter kräftig an. Vergangenes Jahr war es beim globalen Bruttogeldvermögen ein Plus von 7,1 Prozent. Damit besitzen die privaten Haushalte eine Rekordsumme von 136 Milliarden Euro an Sparguthaben, Wertpapieren und Co. »Damit könnten die privaten Haushalte sämtliche Staatsschulden der Welt ungefähr dreimal tilgen«, schreibt Allianz-Chef Oliver Bäte im Vorwort zum Vermögensbericht. Und nach Abzug etwaiger Schulden sind es noch immer über 100 Billionen Euro.

Der Aufstieg der globalen Mittelschicht dürfte im August einen Dämpfer erfahren haben. »Die Goldgräberstimmung ist vorbei«, sagt Studienautor Arne Holzhausen und meint damit das Wachstums des Geldvermögens in China. Im Jahr 2014 betrug es 21,4 Prozent.

»Dies werden wir dieses Jahr nicht sehen. Wir erwarten eine deutliche Verlangsamung des Vermögenswachstums«, schätzt Holzhausen die aktuelle Lage ein. Denn der Börsencrash im August machte die Kursgewinne und somit einen guten Teil des Vermögenswachstums seit Anfang des Jahres im Reich der Mitte zunichte.

Jedoch herrscht in der Volksrepublik nicht der Turbokapitalismus, wie es mitunter dargestellt wird. Laut dem Allianz-Bericht sind die Vermögen dort nämlich weitaus gleicher verteilt als in den entwickelten Industrienationen. Auch in Osteuropa etwa liegt mit Ausnahme von Russland die Ungleichheit unter dem globalen Durchschnitt. »Die insgesamt relativ homogene Vermögensverteilung dürfte dabei eine direkte Folge der Tatsache sein, dass sich diese Länder erst vor 25 Jahren dem Westen und einer freien Marktwirtschaft öffneten«, schreiben die Forscher dazu. »Der Zeitraum, private Vermögen (legal) aufzubauen, war also noch kurz, die Unterschiede sind daher auch noch nicht zu stark ausgeprägt.«

Spitzenreiter bei der Vermögenskonzentration sind indes die USA, die die Versicherer in ihrem Report auch »Ungleiche Staaten von Amerika« nennen. Und die Ungleichheit nahm dort seit der Jahrtausendwende so stark wie in keinem anderen Land zu. Die Allianz sollte deswegen bei einer besonders großen Kluft zwischen Arm und Reich eher von »nordamerikanischen« als von »lateinamerikanischen« Verhältnissen schreiben. Zumal Länder wie Brasilien, Mexiko, Chile und Argentinen laut dem Bericht auch gerechter geworden sind.

In Deutschland hingegen wuchs die Kluft zwischen arm und reich seit dem Jahr 2000. Im internationalen Vergleich gehört die Bundesrepublik zu den Ländern, bei denen der Reichtum besonders stark konzentriert ist. »Dies dürfte allerdings in erster Linie ein Erbe der langen Teilung des Landes in Ost und West sein«, schreiben die Forscher in ihrem Bericht. Schließlich besitzt man auch 25 Jahre nach der Wende in den alten Bundesländern deutlich mehr als in den neuen.

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