Mehr als eine Berufsbezeichnung

Der »Fall« von der Leyen zeigt, dass der deutsche Dr. med. dringend reformiert gehört

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Fünf Prozent der Geschichtsstudierenden werden Doktor - aber 80 Prozent der Mediziner. Seit Jahren kämpft der Wissenschaftsrat gegen diesen Schmalspurtitel.

Ein Sentiment besagt, dass früher alles besser war. Das ist besonders falsch, wenn es um Doktorarbeiten geht. Wer jemals in die Staubfängerecke einer Unibibliothek hinabgestiegen ist, weiß das. Natürlich gab es schon immer umfassende, originelle Arbeiten. Doch das, wofür etwa in den 1920er Jahren eben auch reihenweise Doktorengrade verliehen wurden, lässt heutige Promovenden auflachen: Oft finden sich Kladden von 50 oder 80 Seiten, deren wissenschaftlicher Nutzen sich auch dann nur schwer feststellen lässt, wenn man mit den damaligen Diskussionsständen vertraut ist.

Das ist heute anders. Deutsche Dissertationen sind keine Abfallprodukte oder Nebenherprojekte mehr - bis auf die medizinische Disziplin, deren Doktorenproduktion nun im Umfeld der Plagiatsvorwürfe gegen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wieder einmal in den Blickpunkt rückt. Ist die Dissertation sonst Resultat einer mehrjährigen Befassung mit einem Spezialgebiet nach Ende des Studiums, werden medizinische Dissertationen in Deutschland vor dem Abschluss begonnen und nebenbei durchgezogen.

Da »Doktor« als Synonym für die Berufsbezeichnung »Arzt« gilt, glauben Medizinstudierende, darauf nicht verzichten zu können. 75 bis 80 Prozent von ihnen verlassen die Uni als Doktoren. Das ist absurd; in den Geisteswissenschaften sind es keine fünf Prozent. Und da Deutschland kein Doktorenland ist - etwa 1,5 Prozent tragen diesen Titel, anderswo ist der Anteil doppelt so hoch - fällt diese Quote noch mehr ins Gewicht.

Natürlich gibt es auch unter diesen Medizindissertationen gute und schlechte - und die nun fragliche dürfte zu den schlechten gehören. Die auf der Seite »Vroniplag« einzusehenden Mängel sind erheblich. Anders als etwa bei der 2013 debattierten Dissertation von Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) geht es nicht nur darum, dass bei gekennzeichneten wörtlichen Zitaten keine Gänsefüßchen gesetzt wurden. Es gibt Vollplagiate, also Stellen, in denen offensichtlich ohne Quellenangabe Text übernommen ist, es gibt Fußnoten, an denen sich der angegebene Hinweis nicht findet. Und manchmal wird die Lektüre von Primärtexten offenbar nur vorgetäuscht, was auffliegt, wenn Fehler aus einer Sekundärquelle übernommen werden.

Dass gleich mehrere Plagiatsindikatoren auftauchen, sollte der Medizinischen Hochschule Hannover zu denken geben. Wird eine unsaubere Arbeitsweise als typisch für eine Arbeit erkannt, kann eigentlich nur die Aberkennung des Titels folgen, dem ein Amtsverlust folgen könnte.

Während von der Leyens Arbeit geprüft wird, beginnt eine neuerliche Debatte um die Konsequenzen. Dabei forderte der Bonner Juraprofessor Wolfgang Löwer, »Ombudsmann« der Wissenschaft, eine Verjährung: Nach 15 Jahren sollten Titel nicht mehr entzogen werden können. Sein Berliner Kollege Gerhard Dannemann, der an »Vroniplag« mitarbeitet, wies das zurück.

Grundlegender ist eine Diskussion, die in der Fachwelt geführt wird. Seit Jahren fordert der Wissenschaftsrat, den »Doktor der Medizin« an reale Forschungsarbeit zu knüpfen - und für das Türschild mit der Approbation einen »Medizinischen Doktor« zu verleihen. So ließe sich der für forschende Mediziner unglücklichen Lage entkommen, dass deutsche Medizindoktoren nicht als vollgültig gelten - was etwa zu Problemen bei Fördergeldern führen kann.

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