Kritik an Flüchtlingspolitik: Abgeordneter verlässt Grüne

SPD lehnt Ausweitung des »Flughafenverfahrens« ab / De Maiziere will Flüchtlinge schneller zurückschicken / Winter droht: Flüchtlinge in Gefahr

  • Lesedauer: 8 Min.

Update 19.30 Uhr: Bundestag berät am Donnerstag erstmals über Asylverschärfungen
Der Bundestag berät am Donnerstag (09.00 Uhr) in erster Lesung über das Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Asyl- und Flüchtlingspolitik. Der am Dienstag vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf sieht eine Reihe von Verschärfungen und Leistungskürzungen im Asylrecht vor. Auf der anderen Seite werden Integrationsangebote für Asylsuchende mit guter Bleibeperspektive ausgebaut. Die finanzielle Unterstützung des Bundes für Länder und Kommunen wird deutlich erhöht und künftig von der Zahl und Bleibedauer der Flüchtlinge abhängig gemacht. Weitere Themen im Bundestag sind die umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP und Ceta mit den USA und Kanada sowie die Beteiligung der Bundeswehr am Militäreinsatz gegen Schleuser im Mittelmeer.

Update 17.10 Uhr: Kritik an Flüchtlingspolitik: Abgeordneter verlässt die Grünen
Unter dem Eindruck der jüngsten Beschlüsse zur Flüchtlingspolitik ist ein Grünen-Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz aus Partei und Fraktion ausgetreten. Migranten und Flüchtlinge seien »zunehmend Verlierer der aktuellen politischen Entwicklungen«, erklärte Rahim Schmidt (56) am Mittwoch in Mainz. Es sei ihm wichtig, sich selbst und den »Grundideen der Grünen« treu zu bleiben. Bis zum Ende der Legislaturperiode will er dem Landtag als fraktionsloser Abgeordneter angehören. Der im Iran geborene Politiker arbeitet im Sozialausschuss mit. Die Grünen-Fraktion ist nun nur noch mit 17 Abgeordneten im Landtag vertreten. Seine Entscheidung habe nichts damit zu tun, dass er für die Landtagswahl im März 2016 von seiner Partei nicht mehr berücksichtigt worden sei, betonte Schmidt.

Update 16.35 Uhr: LINKEN-Politikerin Ulla Jelpke: »Abschottung in Reinform«
Die LiINKEN-Innenpolitikerin Ulla Jelpke mahnte, eine Prüfung von Asylanträgen an den Landesgrenzen würde dazu führen, dass dort Tausende Menschen in elenden Zuständen ausharren müssten. Das sei »Abschottung in Reinform«. Grünen-Chefin Simone Peter nannte solche Verfahren inhuman. »Es verschärft die Situation, wenn wir große Lager im Niemandsland an der Grenze schaffen«, sagte sie dem Sender N24.

Update 14.45 Uhr SPD spricht sich gegen »Flughafenverfahren« aus
Die SPD hat die Ankündigung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kritisiert, das Bleiberecht von Asylbewerbern künftig schon an den Landesgrenzen prüfen zu lassen. »Der Bundesinnenminister sollte sich darauf konzentrieren, die Asylverfahren zu beschleunigen und die guten Koalitionsvereinbarungen umzusetzen«, sagte der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner dem »Tagesspiegel« (Donnerstagsausgabe).

Update 13.00 Uhr: Polizei geht in Oberteuringen von Brandstiftung aus
Nach dem Brand einer geplanten Flüchtlingsunterkunft in Oberteuringen in Baden-Württemberg am Dienstag geht die Polizei inzwischen von Brandstiftung aus. Eine technische Ursache schlossen die Ermittler des Landeskriminalamtes nach ersten Erkenntnissen aus, wie die Ermittlungsbehörden mitteilten. Eine konkrete Spur zu dem oder den Tätern gebe es noch nicht. Mit weiteren Ermittlungsergebnissen wird am Mittwoch gerechnet.

In dem Gebäude finden derzeit Arbeiten statt, um darin vorübergehend Asylbewerber unterbringen zu können. In der früheren Lager- und Produktionshalle sollten im Oktober oder November bis zu 70 Flüchtlinge einziehen. Der Schaden beträgt rund 20 000 Euro.

Update 11.40 Uhr: Scharfe Kritik an de Maizières Plänen: »Menschenrechtsfreie Zonen an Grenzen«
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat die Pläne von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Verlegung von Asylverfahren bereits an die Landesgrenzen scharf kritisiert. »Damit soll kurzer Prozess an den Landesgrenzen mit den Flüchtlingen gemacht werden«, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP. »Das läuft auf menschenrechtsfreie Zonen an den Landesgrenzen hinaus.«

Das von de Maizière vorgeschlagene Verfahren läuft auf eine Übernahme des sogenannten Flughafenverfahrens hinaus. Dabei werden asylsuchende Menschen, die beispielsweise aus einem definierten sicheren Herkunftsland stammt, noch im Flughafen, also vor der Einreise nach Deutschland von der Bundespolizei in eine Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des Flughafens gebracht. Der Asylsuchende muss das Asylgesuch unmittelbar nach der Ankunft gegenüber der Bundespolizei begründen und darf die Unterkunft nicht verlassen, bis über das Gesuch entschieden worden ist.

Dieses Flughafenverfahren arbeite mit »extrem verkürzten« Rechtsfristen, kritisierte Burkhardt. Auch gebe es dort keinen Zugang zu Anwälten. Zudem seien die meisten ankommenden Flüchtlinge Syrer, Afghanen und Iraker, bei denen die Schutzbedürftigkeit offensichtlich sei. »Offenbar ist inzwischen jedes Mittel recht, die Grenzen zu schließen, ungeachtet wer kommt«, fügte der Pro-Asyl-Geschäftsführer hinzu.

Update 10.05 Uhr: De Maizière will Flüchtlinge schneller zurückschicken
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will in Zukunft schon an den Landesgrenzen prüfen lassen, ob bei Asylsuchenden Bleiberecht vorliegt. Wie er am Mittwoch gegenüber rbb-Inforadio sagte, würde im Moment an einem entsprechenden Gesetz gearbeitet. »Wir müssen zwei EU-Richtlinien umsetzen, einmal eine Aufnahme-Richtlinie und dann eine Asylverfahrensrichtlinie. In beiden sind wir säumig und das ist eilbedürftig. In einer dieser Richtlinien werden die Nationalstaaten zu sogenannten Landverfahren an der Grenze ermächtigt«, so de Maiziere gegenüber dem Radiosender.

Winter droht: Flüchtlinge in Gefahr

Berlin. Hilfsorganisationan schlagen Alarm: Die Lage Tausender Flüchtlinge in ganz Europa droht sich im Winter dramatisch zuzuspitzen. »Leute ohne Essen und medizinische Versorgung irren durch Europa bei jetzt kühleren Temperaturen, Menschen mit Kindern, Menschen auf Krücken«, warnte Karl Kopp, Europareferent der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Flüchtlinge auf der Balkanroute drohten ihm zufolge in den kommenden Monaten zu erfrieren.

»Die Menschen sind schon eh geschwächt«, sagte er. »Wenn sich die Situation fortsetzt im Winter, muss man mit mehr Toten rechnen.«

Kopp forderte eine gemeinsame europäische Anstrengung, um für den Winter gewappnet zu sein - mit »menschenwürdigen Aufnahmezentren« und medizinischer Versorgung. Die Politik habe bereits den ganzen Sommer verspielt. »Wir müssen den Menschen vor dem Winter diese Odyssee, diesen Elendstreck ersparen.«

»Das Wetter wird das Leid vergrößern«, ist auch Babar Baloch vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR überzeugt. Baloch war die vergangenen Wochen auf dem Balkan unterwegs, in Ungarn, Serbien, Kroatien, wo die UNHCR-Helfer Decken und Kunststofffolien verteilen. »Wenn Familien draußen schlafen müssen, werden Kinder krank werden.« Er forderte unmittelbare Unterstützung von der Politik. »Wir brauchen jetzt einen Masterplan.«

Pro Asyl: »Momentan ist Deutschland nicht gewappnet«

Besonders auf dem Mittelmeer-Weg nach Europa fürchten Flüchtlingshelfer mehr Todesopfer. Das Meer wird mit jedem Tag stürmischer, die Wellen höher. Kopp von Pro Asyl warnt vor mehr Bootskatastrophen im Mittelmeer und in der Ägäis. »Es werden mehr Menschen in den Fluten verschwinden«, sagte er. »Weil das Meer nun unruhiger wird, werden wir eine ganze Menge Menschen verlieren«, sagte die UNHCR-Mitarbeiterin Nadine Cornier in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze.

Der Winter stellt auch die deutsche Politik vor große Herausforderungen. Tausende Flüchtlinge leben weiterhin in Zeltunterkünften. »Momentan ist Deutschland nicht gewappnet«, sagte Kopp. »Wir sind spät dran.« Auf kommunaler und Landesebene müsse alles versucht werden, um Wohnraum zu schaffen.

»Wir fordern Bund, Länder und Gemeinden auf, angesichts sinkender Temperaturen für feste Wohnunterkünfte zu sorgen«, sagt der Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Dieter Schütz. Das DRK betreibe derzeit mehr als 300 Notunterkünfte für 86.000 Flüchtlinge - darunter auch einige Zeltcamps. »Wir halten Zeltunterkünfte nur für eine Notlösung«, sagt Schütz. »Die Gefahr besteht, dass sich die Flüchtlinge Krankheiten zuziehen.«

G7 und andere Staaten sagen 1,6 Milliarden Euro an Hilfsgeldern zu - aber es fehlen weiter Milliarden

Derweil haben die G7 und weitere Staaten den UN-Organisationen 1,8 Milliarden US-Dollar (1,6 Milliarden Euro) Hilfen für Flüchtlinge in Syriens Nachbarländern zugesagt. Die Bundesregierung werde 100 Millionen Euro beitragen, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei einem Sondertreffen der G7-Außenminister in New York. Deutschland, derzeit Vorsitzender der G7, hatte dazu eingeladen. Außer den G7 nahmen zehn weitere Staaten aus Europa und der Golfregion an dem Treffen teil.

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, dankte für die Initiative. Das Hilfssystem der UN entrinne mit den neuen Zusagen der Pleite. Zwar habe die Hilfsbereitschaft der Staatengemeinschaft in den vergangenen Jahren zugenommen, doch sei der Bedarf im gleichen Zeitraum noch stärker gestiegen. Syrer seien weiter nach Europa geflohen, auch weil sie wegen der fehlenden Hilfe nicht mehr in den Nachbarländern hätten bleiben können.

Steinmeier sagte, mit Blick auf die Flüchtlingsbewegungen und die Konsequenzen seien alle in der Pflicht, für eine bessere Ausstattung von UN-Flüchtlingshilfswerk und Welternährungsprogramm zu sorgen. »Ich glaube, dass wir allen Grund dazu haben, alles, aber auch alles zu versuchen, dass die Menschen nicht aus purer Not die Nachbarschaft Syriens verlassen«, betonte Steinmeier. Gemeinsam mit den UN müsse man den Menschen helfen, in der Region bleiben zu können und so eine weitere Fluchtdynamik verhindern.

Insgesamt veranschlagen die UN den gesamten Finanzbedarf für Helfer in der Syrienkrise in diesem Jahr auf mehr als 6,6 Milliarden Euro. 3,9 Milliarden Euro hatten vor den neuen Zusagen noch gefehlt. Deutschland hat mit der jüngsten Zusage seinen Anteil an den Hilfen für syrische Flüchtlinge auf mehr als 340 Millionen Euro erhöht. Den UN zufolge sind bislang mehr als vier Millionen Syrer aus ihrer Heimat geflohen. Fast doppelt so viele sind durch Kämpfe und Gewalt im Land vertrieben worden. Agenturen/nd

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