Mindestens zehn Tote an US-Hochschule
Bewaffneter erschießt Studenten und Dozenten am Umpqua Community College in Oregon / Obama: mittlerweile »zu einer Art Routine« geworden
Berlin. Die Stimme des Feuerwehrmanns zittert. Man hört Ray Schoufler an, dass er gerade etwas Schreckliches gesehen haben muss: blutende Studenten am Boden, Tote in Klassenzimmern, nackte Angst. Live soll er dem TV-Sender CNN nun am Telefon erklären, was genau sich am College in Roseburg gerade abgespielt hat. Doch Schouflers Stimme stockt, er muss Luft holen. Die Toten und Verletzten im US-Staat Oregon wühlen den Fire Marshal innerlich auf.
Von »mehreren Patienten in mehreren Unterrichtsräumen«, spricht der Feuerwehrmann, der Tausenden Zuschauern nicht im Detail erklären will, was der mutmaßliche Amoklauf am Umpqua Community College (UCC) soeben hinterlassen hat. Von einem »gewaltigen Polizeiaufgebot« spricht er, fast klingt er verwirrt. »Sind Sie okay?«, fragt die landesweit bekannte CNN-Moderatorin Brooke Baldwin schließlich. »Ja«, sagt Schoufler - »hier ist gerade einfach eine ganze Menge los.«
Dabei ist in Roseburg überhaupt nichts okay. Mindestens zehn Menschen sind nach Polizeiangaben tot, sieben sind verletzt. Bei der Staatsanwaltschaft ist gar von 13 Toten die Rede. Ein 26-Jähriger soll das Blutbad angerichtet haben. Wie so oft bei den tragisch wiederkehrenden Shootings ist die Lage zunächst sehr unübersichtlich, Berichte von Zeitungen und TV-Sendern sind teilweise widersprüchlich. Fest steht: Die 22.000 Einwohner zählende Gemeinde steht unter Schock, jeder kennt hier jeden.
Es ist gegen 10.30 Uhr morgens, als der Schütze einen Unterrichtsraum betritt und das Feuer eröffnet - mit einem »langen Gewehr«, wie Zeugen berichten. Vorher hat er einen Dozenten durch das Fenster bereits mit einem Kopfschuss niedergestreckt. Im Raum fordert er seine Opfer einer Augenzeugin zufolge auf, sich hinzulegen, dann sollen sie aufstehen und ihre Religion nennen. Dann schießt er - offenbar wahllos - drauf los.
60 Sekunden lang habe sie Schüsse gehört, sagt Lorie Andrews, die gegenüber vom großen, auf 18 Gebäude verteilten Campus lebt und draußen auf der Veranda sitzt, als die ersten Streifenwagen unter Sirenengeheul zum Gebäude jagen. »Erst dachte ich, es ist Feuerwerk«, sagt sie. Insgesamt vier Waffen soll er für die Tat zum Campus gebracht haben.
Kurz darauf folgt der sogenannte Lockdown, das College wird komplett abgeriegelt. Ein Professor habe erst gedacht, es sei eine Übung, erzählt eine in Sicherheit gebrachte Studentin CNN. Sie habe sich im Unterrichtsraum mit Kommilitonen verschanzt, rund 50 andere warten Berichten zufolge in der abgeriegelten Cafeteria. Während die Eingesperrten um ihr Leben und um das ihrer Freunde bangen, rücken Polizei und FBI vor. Dann wird der Schütze »neutralisiert«, wie Schoufler sagt. Er überlebt die Tat nicht.
Zwei Stunden nach dem ersten Notruf gibt die Polizei Entwarnung, als Sprengstoff-Experten die Autos auf den riesigen Parkplätzen mit Hunden abgesucht haben. Während Studenten zum Wiedersehen mit Eltern und Angehörigen auf einem fernab gelegenen Festplatz gefahren werden, versuchen Ermittler bereits, den Motiven des Täters auf die Schliche zu kommen. Im teils anonymen Webforum »4chan« soll er die Tat am Mittwoch angedeutet haben. »Dies ist das einzige Mal, das ich in den Nachrichten sein werde«, soll einer seiner Beiträge lauten. »Ich bin so unbedeutend.«
Am ganz anderen Ende des Landes, im bald 4.000 Kilometer entfernten Washington, tritt ein zutiefst erschütterter Präsident vor die Kameras. Seinem betrübten Blick, seinen langen Pausen, seinem Ringen nach den richtigen Worten merkt man an, wie sehr ihn die Nachrichten aus Roseburg treffen. Wieder und wieder hat Barack Obama eine Verschärfung der laxen Waffengesetze gefordert, etwa ein Verbot von der bei Amokläufen häufigen halbautomatischen Sturmgewehre und bessere Überprüfung bei Waffenkäufen. Vergeblich, er scheiterte an der harten Blockade der Republikaner im Kongress.
»Irgendwie ist es Routine geworden«, sagt der verzweifelt wirkende Weltpolitiker über die wiederkehrenden Shootings - die Berichte in Medien, seine Reaktion am Rednerpult, die Debatte danach. »Wir sind taub geworden.« Er selbst scheint fassungslos über den Umstand, dass die Vereinigten Staaten als »einziges fortschrittliches Land der Erde diese Massen-Schießereien alle paar Monate erleben.«
Und dann will er ermutigen, weil ein Präsident auch nach tragischen Vorfällen die Fassung bewahren und Trost spenden muss. Er hoffe, in seinen 15 verbleibenden Monaten Amtszeit sein Beileid nicht noch einmal ausdrücken zu müssen, sagt er. Aber seiner Erfahrung nach könne er das nicht garantieren. »Und es ist schrecklich, das zu sagen«, weiß Obama - und fügt an: »Und es kann sich ändern.« Doch an diesem dunklen Donnerstagabend glaubt man ihm diesen Satz nicht. dpa/nd
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