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An der Seite der Leidenden

Lillian Rosengarten begründet, warum sie als Jüdin mit Israel uneins ist

  • Horst Helas
  • Lesedauer: 3 Min.

Einleitend betont Lillian Rosengarten, dass zwei grundlegende Erlebnisse ihr Leben bestimmt haben, die auch der Zweiteilung ihres Buches die Struktur geben: das Kindheitserlebnis der Vertreibung ihrer jüdischen Familie durch die Nazis aus Deutschland sowie ihre bewusste Entscheidung im September 2010, sich an einer Schiffsreise nach Gaza zu beteiligen, um gegen die Palästinenserpolitik Israels zu protestieren. Eigene Fluchterfahrungen prägten ihre Haltung als Humanistin und Pazifistin.


Lillian Rosengarten: Ein bewegtes Leben. Von den Schatten Nazi-Deutsch-lands zum jüdischen Boot nach Gaza.
Zambon. 146 S., br., 12 €.


Dieses Buch geht über die übliche Beschreibung eines Lebens hinaus. Es erlaubt Einblicke in ganz persönliche Befindlichkeiten und Handlungsmotive. Es versucht auch die Ursachen für bestimmte Verhaltensweisen von Menschen in verschiedenen Situationen zu ergründen und zu erörtern.

Lillian Rosengarten ist 1933 in Frankfurt am Main als Gisela Leberecht geboren worden. Mit neun Jahren wurde sie Bürgerin der USA, fortan lautete ihr Vorname Lillian. Die von den deutschen Faschisten ihrer ursprünglichen Heimat beraubte Jüdin sollte den Amerikanern zeitlebens für ihr neues Zuhause, die neue Heimat dankbar sein. Gleichwohl spürte sie auch in den USA Fremdheit. Vor allem ihre Eltern hingen weiterhin sehnsuchtsvoll an Deutschland. Die Erinnerungen an Frankfurt wirkten traumatisierend und behielten langanhaltenden Einfluss auf den Familienalltag.

Die Autorin berichtet über die Schwierigkeiten eines Lebens im Exil. Erfahrungen einer selbstbewussten Heranwachsenden werden geschildert. Der Leser erfährt, wie sie schließlich selbst eine Familie gründete, freut sich an ihrem Glück und teilt mit ihr unglückliche Momente. Lillian Rosengarten verlor ihren Sohn Philip, als dieser erst 36 Jahre alt war. Seither fühlt sie sich mit allen Eltern verbunden, die ihre Kinder weit vor der Zeit verloren.

Eindrucksvoll beschrieben ist auch ihre politische Sensibilisierung und ihr gesellschaftliches Wirken. Die zunächst vorbehaltlose Liebe einer »säkularen Jüdin« zu Israel wandelt sich in kritisches Engagement. Lillian Rosengarten nennt das heutige Israel ein Apartheidregime und wünscht sich eine Umkehr, die endlich Frieden zwischen den Völkern Palästinas bringt.

Auf dem Weg der Erkenntnis begleiteten sie Freunde und Familienangehörige, die wie sie dem Holocaust knapp entgangen sind und in aller Welt verstreut lebten und leben. Namentlich Hans Leberecht habe ihr geholfen, zu einer gesellschaftskritischen Friedenskämpferin zu werden.

Auch die Erfahrungen der Diskussionen und Aktivitäten im Kreise der US-amerikanischen linken Hochschulintelligenz der 1960er und 1970er Jahre, den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und für die Gleichberechtigung der afro-amerikanischen Bevölkerung haben sie politisiert und für Unrecht, gleich welcher Art, sensibilisiert. Folgerichtig führte ihr Weg an die Seite des unterdrückten, leidenden palästinensischen Volkes.

Zwischen Teil eins und zwei des Buches findet man Fotografien, aufgenommen während der Schiffsreise nach Gaza im September 2010. Man wünschte sich, mehr über die auf den Fotos zu sehenden Menschen zu erfahren. Sie alle gingen in ihrer Menschlichkeit ein großes Risiko ein. Israelische Behörden stoppten die Fahrt gewaltsam. Und Lillian Rosengarten bekam das Etikett verpasst, eine gesetzbrechende Ausländerin zu sein. Offensichtlich eine Zuschreibung, mir der sie leben kann.

Dieses Buch sei allen empfohlen, die sich ein differenziertes Bild vom heutigen Israel und den nach wie vor fried- und freudlosen Zuständen in Palästina verschaffen wollen. Lillian Rosengartens politische Positionen muss man nicht unbedingt teilen. Respektabel sind sie allemal.

Bleibt die Aufforderung: Dieses Buch sollte gekauft, gelesen und möglichst vielen Freunden und Bekannten zur Lektüre weiter empfohlen werden.

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