SYRIZA, die LINKE, Du und ich
Was bedeuten die Kämpfe in Griechenland für uns? Ein Beitrag zur Europa-Debatte von Rainer Benecke
Als Mitte August die Auflagen für das neue Kreditprogramm für Griechenland zwischen den »Institutionen«, also der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds und dem Euro-Rettungsschirm ESM und der griechischen Regierung vereinbart wurden (fortan »drittes Memorandum«) war das gleichzeitig mit dem Scheitern der politischen Strategie SYRIZAS verbunden.
Klar, dass diese Niederlage nicht nur bei uns in der Hamburger Linken zu einer Auseinandersetzung um die Zukunft der EU, des Euros und der europapolitischen Strategie der Linken geführt. In unserer Partei hat Sahra Wagenknecht die Debatte eröffnet:
»'Wir wollen keine weitere Kürzungspolitik.' Das war das Ergebnis des Referendums. Zum Euro wurde gar nicht gefragt. Fakt ist, dass in der Eurozone die politischen Spielräume extrem eng geworden sind und die Ergebnisse von Wahlen immer bedeutungsloser werden. Da muss man sich doch fragen: Will man ein demokratisches Europa oder eines, das von Brüsseler Technokraten, Konzernlobbyisten und dem von niemandem gewählten ehemaligen Investmentbanker Draghi an der Spitze der EZB regiert wird? Ein Austritt ohne flankierende Stützung durch eine Zentralbank wäre brutal gewesen. Die EZB sollte dafür sorgen, dass die Währung nur so stark abwertet, wie es nötig ist, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Ohne Stützung würde die Drachme ins Bodenlose fallen, das würde die Armut weiter verschärfen. Zumindest, bis eigene landwirtschaftliche und industrielle Kapazitäten wieder entstehen. Aber ich sehe nicht, wie Griechenland es im Korsett des Euro und der EU-Binnenmarktregeln je wieder schaffen soll, auf eigenen Füssen zu stehen. Jetzt haben wir einen Schrecken ohne Ende. Die Kürzungsdiktate machen das Land immer ärmer, und wenn das Geld aus dem letzten Hilfspaket aufgebraucht ist, wird die nächste Grexit-Debatte kommen«, sagte sie im Gespräch mit dem »Tagesanzeiger«.
Ich habe mich über den erneuten Wahlerfolg SYRIZAS gefreut und gehört, gelesen und gelernt, dass die griechische Regierung die ausschließlich negative Bewertung des »Dritten Memorandums« nicht teilt. Der These vom »Schrecken ohne Ende« wird sogar sehr entschieden widersprochen. Alexis Tsipras erklärte nach der Wahl, dass Griechenland wegen des Sparprogramms jetzt schwierige Zeiten vor sich habe. Um aus der Krise zu kommen, gäbe es keine »magischen Lösungen«, die sofort Hilfe und Erleichterung verschaffen würden.
Auch ich frage mich, ob dass das erneute Scheitern des Programms nicht nur eine Frage der Zeit sei. Tsipras weist diese Frage entschieden zurück. Selbstverständlich kann das dritte Hilfspaket auch zu einer Neuauflage des GREXIT führen. Aber es gibt auch die Chance, aus der durch das neoliberale Spardiktat verursachten Krise heraus zukommen.
Doch was heißt diese Kontroverse für uns, für DIE LINKE in Hamburg und bundesweit? Dazu einige Überlegungen.
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DIE LINKE in Deutschland muss zusammen mit ihren Partnern in Europa, besonders in den jeweiligen Krisenländern Konzepte für einen Wiederaufbau und eine gemeinsam betriebene Reform der europäischen Institutionen voranbringen, bei dem zugleich die Erfordernisse eines demokratischen und sozial-ökologischen Umbaus im Zentrum stehen. Diese Konzepte müssen an den nationalen Gegebenheiten ansetzen. Während es für Deutschland um eine Belebung des Binnenmarktes - auch und gerade durch den Ausbau von Dienstleistungen in Bildung, Gesundheit und Pflege - geht, steht in Griechenland anderes auf der Tagesordnung. Hier bedeutet eine wirtschaftliche Gesundung den Wieder- oder gar Neuaufbau industrieller Produktions- und Dienstleistungsstrukturen, auch für den Export. Der Glaube, Griechenland könne sich alleine mit Tourismus und Olivenexporten aus der Krise wirtschaften, ist naiv. Griechenland, wie auch Portugal, brauchen eine Wiederbelebung ihrer Industrien. Gleichzeitig ist zu überlegen, wie sich diese Industrie in den Ländern sozial und ökologisch verträglich weiter entwickeln können.
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Die angesichts der Zuspitzung in Griechenland bei uns aufgebrochenen Auseinandersetzungen sollten wir nicht im Geist von Fraktionskämpfen, also mit scharfer Polemik, führen. Nein, wir sollten uns nicht darüber freuen, wenn die eine Seite verloren und die andere gewonnen hat. Das hilft keiner und keinem: Gehen wir lieber freundlich, zuhörend und konstruktiv miteinander und unseren Einschätzungen um. Angesichts der vielschichtigen Wirklichkeit sollten wir auch bereit sein, eigene, manchmal langjährige und das eigene Leben bisher prägende Vorstellungen in Frage zu stellen.
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Seit den Parlamentswahlen vom 20.September, so schrieb Andreas Wehr in der »jungen Welt« vom 22.9. »funktioniert die griechische Politik wieder gemäß dem üblichen europäischen Parteienmodus: Es gibt zwei Hauptparteien – eine konservative und eine sozialdemokratische. Beide teilen die Grundüberzeugung, dass es zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung, und hier aktuell zu ihrer neoliberalen Ausrichtung, keine Alternative gibt. Betont die eine Richtung die Bedeutung des ungehinderten Wettbewerbs etwas stärker, will die andere ein wenig mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit durchsetzen.«
Ich teile diese Einschätzung nicht. SYRIZA ist nicht zum zum sozialdemokratischen Bettvorleger mutiert, wie Andreas Wehr an anderer Stelle schreibt. Ich begreife SYRIZA und die Entwicklung unserer Schwesterpartei anders. Ich finde, dass SYRIZA viel mit uns gemeinsam hat. Dazu gehört, dass auch wir die Auseinandersetzung führen, ob unsere Partei durch Übereinstimmungen in der praktischen Politik oder durch Ideologie zusammen gehalten wird. Es gibt aber auch Unterschiede:
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SYRIZA war zunächst ein Bündnis aus neun linken Parteien und Organisationen. Unter ihnen ist Synaspismos, eine Partei mit eurokommunistischer Tradition, die größte. Zwei kleine Organisationen mit trotzkistischem Anspruch sind dabei, Maoisten und auch Gruppierungen, die sich aus der kommunistischen Partei KKE, der PASOK oder aus den Grünen entwickelten. Bekannte linke Einzelpersonen runden das Bündnis ab.
SYRIZA trat zum ersten Mal als Wahlbündnis bei den Wahlen 2004 an. Damals kam das Bündnis nur knapp ins griechische Parlament: Es holte 3,1 Prozent der Stimmen. Synaspismo versprach damals, dass die anderen Organisationen des SYRIZA-Bündnisses gerecht im Rahmen dieses Wahlbündnisses im Parlament vertreten werden. Dieses Versprechen wurde gebrochen und die Pluralität verletzt. Die Enttäuschung führte dazu, dass dieser erste Versuch in einer Sackgasse endete.
Vor drei Jahren erst entwickelte sich SYRIZA vom Wahlbündnis zur Partei. Die Gründung erfolgte im Juli 2013. In diesem politischen Prozess, immer unter dem Druck der neoliberalen Memorandumspolitik, lösten sich große Teile der mit der Gründung von SYRIZA verbundenen Organisationen und Strömungen auf. Gleichwohl bleibt die Vielfalt der Fraktionen und Richtungen ein wesentliches Merkmal von SYRIZA. Das macht meines Erachtens nach die politische und gesellschaftliche Stärke von SYRIZA aus. In der Satzung heißt es:
»SYRIZA ist und handelt kollektiv und demokratisch, agiert gemäß den Entscheidungen der Mehrheit, respektiert und garantiert die unterschiedlichen Meinungen. SYRIZA ist einheitlich und multifraktionell, pluralistisch, offen für die Existenz unterschiedlicher Ideologien, Geschichten und Wertdispositionen und Denkströmungen im linken Raum. Sie ist klassenmäßig in der Arbeiter- und der breiteren Bewegung der Bevölkerung mit ausdrücklichen feministischen und ökologischen Zielsetzungen verankert.«
Wie gesagt, 2004 wurde SYRIZA noch als Wahlbündnis mit 3,1 Prozent der Stimmen zum ersten Mal in das griechische Parlament gewählt. 2012 erzielte SYRIZA 16,6 Prozent der Stimmen, im Januar 2015 waren es rund 36 Prozent. Die Neuwahl am 20. September 2015 brachte wiederum 35 Prozent. SYRIZA wurde so Schritt für Schritt zur hegemonialen Kraft der politischen Linken und der griechischen Gesellschaft.
SYRIZAS Vielschichtigkeit wurde erstmals nach 2004 jetzt, im Spätsommer 2015 nach dem »Dritten Memorandum« verletzt. SYRIZAS linker Flügel unterstützte in den parlamentarischen Abstimmungen nicht länger die eigene Regierung - um sich dann wenig später als eigene Partei »Volkseinheit« zu konstituieren.
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Und nun zu unserer Partei: DIE LINKE in Hamburg und in ganz Deutschland ist seit der Gründung von großem Zuspruch und Sympathie getragen und begleitet worden. Ja, DIE LINKE ist für viele Menschen zum Hoffnungsträger geworden: Dass sich linke Kräfte zusammenfinden und nicht spalten, ist in der linken Geschichte selten genug. DIE LINKE war immer eine verlässliche Stimme für eine friedliche und soziale Perspektive jenseits des finanzgetriebenen Kapitalismus, gegen Sozialabbau und Massenerwerbslosigkeit. DIE LINKE handelt gegen die sozialen Zumutungen, die damit verbundene Angst und gegen die Aushöhlung der Demokratie. Nach wie vor ist in Deutschland keine andere politische Kraft in Sicht, die unserer Partei diese wichtige Funktion abnimmt. Das wird von einem relevanten Teil der Wahlberechtigten von Wahl zu Wahl bestätigt.
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Die gesellschaftliche Linke hierzulande ist zersplittert. Damit ein überzeugenderes Bild entstehen kann, wird die Linke noch mehr gemeinsam und praktisch handeln müssen. Der überwältigende Erfolg der bundesweiten Demonstration gegen TTIP, CETA und TISA am 10. Oktober mit ihren 250.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und ihrem großen AufruferInnenkreis ist ein gutes Beispiel dafür. Eine der größten Demonstrationen in der Geschichte unseres Landes macht die Befürworter der Freihandelsabkommen nervös. Wir hingegen sollten weiter auf Kraft und Ausdauer setzen, zum Beispiel auch die kommenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Berlin als nächste Station begreifen. Hier entscheidet sich auch, ob es eine Mehrheit im Bundesrat gegen TTIP geben wird.
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Auch in dieser Auseinandersetzung muss der Bezug zu weitaus allgemeineren Zusammenhängen hergestellt werden.Die Vorstellungen von einer menschlicheren und besseren Gesellschaft müssen auch in dieser wie in anderen Auseinandersetzungen deutlicher gemacht werden: Erst dann können sie als Teil einer gesellschaftlichen Strömung wirksam werden.
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Unsere Partei DIE LINKE ist von ihrer Funktion und Organisation her geeignet - oder sie muss es dringend werden - um diese Zuspitzungen und Perspektiven für die gesellschaftliche Veränderung zu kämpfen und sie zu vermitteln. Dafür hat sie eine aktive Rolle in diesen Auseinandersetzungen zu spielen. Wir dürfen andere Organisationen nicht als Konkurrenz, sondern als Teil einer gemeinsamen gesellschaftlichen Strömung verstehen. Eine pluralistische Organisation, gerne auch aus mehreren Fraktionen (die sich mit Respekt begegnen!) die Anschlüsse an die realen sozialen Bewegungen hat, die mit Nicht-Regierungs-Organisationen wie Attac oder Campact und den Gewerkschaften verbunden ist- das ist es, was DIE LINKE leben und werden muss. Dabei werden wir, DIE LINKE, jede Genossin, jeder Genosse die Verbindungen unter den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure herstellen müssen. Das überfordert uns aktuell meistens, das wird auf den verschiedensten Ebenen wachsen müssen, jedoch zuallererst unten, ganz unten an der Basis.
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Die gesellschaftliche Überlegenheit über konservative und neoliberale Politik und Positionen, auch Hegemonie genannt, entsteht nicht vorrangig im Parlament, aber natürlich auch dort. Hegemonie wächst in der Produktion, Wirtschaft, Kultur, Medien, der Öffentlichkeit und dem Vereinswesen, in den alltäglichen Lebensweisen. Sie wächst aus der Deutungshoheit über die gesellschaftlichen Probleme und über das alltägliche Empfinden, also über das, was angemessen und legitim ist. Hegemonie heißt aber auch, die Meinungsführerschaft in den Fragen der ökonomischen und politischen Ziele und der moralischen Werte zu entwickeln. Einige Male ist es der LINKEN in ihrer kurzen Geschichte bereits gelungen, im Bündnis mit anderen Organisationen, solche Vorschläge zu machen, und sie so zu vertreten, dass sie Wirkung zeigten und für viele Menschen attraktiv waren. So gibt es beim Mindestlohn, in der Rente, zur prekären Arbeit, in der Friedensfrage und der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums eine Mehrheit in der Gesellschaft, die diesen linken Zielen zustimmt. Das drückt sich unter anderem darin aus, dass Teile der anderen politischen Parteien zumindest Teilelemente dieser Ziele in ihre eigene Programmatik übernehmen müssen.Um diese Ziele dann jedoch teilweise oder ganz durchsetzen zu können, bedarf es einer Änderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, denn die Mehrheit in den Meinungsumfragen ist noch keine Hegemonie. DIE LINKE hat die Aufgabe, daran zu arbeiten, dass die Mehrheitspositionen auch hegemonial werden können. Wie gesagt: Das geschieht in und durch die sozialen und politischen Kämpfe und Auseinandersetzungen.
Ein Rückblick auf die Geschichte der sozialistischen, kommunistischen und linken Parteien zeigt mir: Es kann nicht darum gehen, eine bestimmte Deutung oder Interpretation des Kapitalismus und seines aktuellen Entwicklungsstadiums durch Parteibeschlüsse festschreiben zu wollen. Das gilt auch für meine Position, die findet, dass die Entwicklungen im Finanzmarktkapitalismus prägend für den Kapitalismus des 21. Jahrhundert sind.
Eine moderne linkssozialistische Partei braucht unbedingt Offenheit, Diskussion und den politisch-kulturellen Pluralismus. Respektvolle Debatten untereinander sind ihr Lebenselixier. Sobald sich eine Haltung herausbildet, die besagt: »Wir sind die Einzigen, wir haben Recht, die Dinge liegen so und so und keinesfalls anders«, dann ist die Partei auf dem besten Weg ins Abseits. Nach meiner Beobachtung ist diese Haltung in der letzten Zeit in unserer Partei wieder häufiger geworden. Lasst uns daran arbeiten, dass die unterschiedlichen Meinungen in unserer Partei ausgetragen werden können und eine Zukunft haben. Auch das können wir von SYRIZA lernen.
Rainer Benecke ist Landessprecher der Linkspartei in Hamburg.
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