»Das Geld muss weg«

Der Medizinethiker Heinz Peter Schmiedebach hält die Bezahlung von Probanden für Arzeimitteltests für falsch

  • Lesedauer: 6 Min.
Prof. Heinz Peter Schmiedebach ist Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin und des medizinhistorischen Museums des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Mit ihm sprach Miriam Sachs.

In welchem Verhältnis stehen Aufwand und Nutzen, oder gar Schaden bei Arzneimitteltests an Menschen?
Die Medizin ist in einem grundsätzlichen Dilemma: Sie ist dem Grundsatz des Nichtschadens verpflichtet, muss aber Medikamente vor dem ersten Einsatz an einem Patienten überprüfen. Ohne Prüfung weiß ich weder, ob es hilft, noch ob es schadet. Überprüfe ich es aber, gehe ich das Risiko ein, dass es schaden kann.

Der zweite Punkt ist, dass die Medizin in ihrem aktiven Vorgehen immer mit Schädigung verbunden ist: Sie tötet Bakterien, bei der Chemotherapie werden Zellen vernichtet. Bei jeder Amputation wird zerstückelt. Ein Gewaltpotential, das sich legitimiert, weil es Gutes schafft, Böses verhindert - so wird Gewalt auch in unserer Gesellschaft gerechtfertigt, jeder Bundeswehreinsatz legitimiert, aber dieses zerstörende Potential ist der Medizin immanent.

Was haben Ethikkommissionen für eine Funktion? Legitimieren sie eher oder dienen sie tatsächlich der Schadensbegrenzung?
Ethikkommissionen, die ja nun erst seit 30, 40 Jahren existieren, agieren im Interesse von Transparenz und im Sinne der Probanden, zu deren Schutz. Medizinische Experimente am Menschen werden seit dem 19. Jahrhundert als ein Königsweg der Generierung von Wissen aufgefasst, dabei ist aber viel Schaden an den Patienten angerichtet worden. Dieses Problem wurde auch schon im 19. Jahrhundert diskutiert, es gab auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Ärzte. 1900 hat das Preussische Kultusministerium eine erste Verordnung erlassen; Bestandteil war die Aufklärung der Patienten und Probanden, sowie deren freiwillig vollzogene Einwilligung.

Eine weitere Aufgabe der Kommission ist es zu verhindern, dass auf den Probanden Druck ausgeübt werden soll, auch nicht durch irgendwelche Anreize.

In der Ethikkommission des Landes Berlin finden sich auch unter den Laienmitgliedern fast ausschließlich Akademiker. Sind normale Leute nicht qualifiziert?
Aus meinen Erfahrungen als Mitglied einer universitären Ethikkommission sieht die Lage ganz anders aus. Ob eine klinische Studie dem neuesten Stand der pharmakologischen Erkenntnisse entspricht, kann weder ein Professor der Chirurgie noch ein anderes akademische Mitglied entscheiden. Dies ist allein dem Pharmakologen möglich. Auch die neusten Erörterungen in der Philosophie sind den Mitgliedern der Kommission nicht vertraut etc. Darüber hinaus gibt es manche Anträge für klinische Studien, die zwei oder mehr Ordner umfassen, in denen die unterschiedlichsten Aspekte ausgeführt werden. Aus diesen Gründen wird arbeitsteilig gearbeitet. Es wird dann gemeinsam erörtert und entschieden. Nie aber kann jeder gleichermaßen zu allen Fragen sich kompetent äußern.

Ganz abgesehen davon habe ich erlebt, dass auch Akademiker nur eine sehr beschränkte Auffassungsgabe haben können, wenn es um Themen geht, die nicht gerade mit ihrer Spezialisierung zu tun haben. Dagegen können z.B. Krankenschwestern und Pfleger sehr wohl manche Probleme aus ihrer Erfahrung und Praxis recht differenziert beurteilen. Zudem können Leute ohne Doktortitel, die ja auch immer einen Großteil der Probanden ausmachen (um die es in erster Linie geht), sehr viel besser beurteilen, ob z.B. ein Aufklärungstext für sie verständlich ist oder nicht, als irgendwelche Fachleute.

Wie wichtig ist Transparenz, beispielsweise seitens des Pharmakonzerns gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere der Probanden?
Das ist eine unerlässliche Bedingung: Bei jeder Studie ist von Anfang an vollkommen klar und transparent darzulegen, was man zu erwarten hat. Intransparenz widerspricht auch der Deklaration von Helsinki, in der seit mehreren Jahren schon die Offenlegung eigener Interessen gegenüber den Probanden im Zusammenhang mit Experimenten und klinischen Studien vorgeschrieben ist. Es müssen auch finanzielle Vorteile, die den Wissenschaftlern und der Institution, in der sie arbeiten, erwachsen, dargelegt werden, z.B. in der Art: »Wenn ihr teilnehmt, dann kriegen wir an Ende so viel Geld, dass wir uns ein neues Gerät kaufen können.«

Und der Wert, den die Arbeit des Probanden darstellt?
Man könnte seitens der Institution sagen: »Wir brauchen unbedingt Probanden und die sind uns soundsoviel wert.« Das ist noch kein Problem. Diese Aussage wird erst in dem Moment zu einem Problem, wenn ich Probanden mit Geld locke. Der Versuchsteilnehmer ist von daher nicht ausschließlich »nur von der Überzeugung« bestimmt, dass es altruistisch ist, bei der Entwicklung eines Medikaments mitzumachen.

Aber die Ethikkommisionen bekommen ja auch eine nicht niedrige Aufwandsentschädigung.
Das könnte man kritisieren. Aber ich bin der Meinung, man sollte gar kein Geld an Probanden geben. Oder nur ein bisschen als Aufwandsentschädigung, Fahrtkosten, Essen oder so etwas. Allein die Tatsache, dass man sich, nur weil man Geld braucht, bereit erklärt, das Risiko auf sich zu nehmen, ist schon eine Einschränkung der Freiwilligkeit.

Die Grenze von beflissener Mitarbeit zur kontraproduktiven Haltung »Ich sage nur das, was man von mir erwartet« ist tatsächlich fließend. Manche Probanden denken ja sogar, sie werden nicht mehr eingeladen, wenn sie Nebenwirkungen haben.
Wenn man eine bestimmte Gruppe von Probanden immer wieder bestellt, sozusagen »hauptberufliche Probanden« rekrutiert, wissen die natürlich, wie es läuft. Die sagen aber, weil sie auch bei der nächsten Studie mitmachen wollen, dann das, von dem sie meinen, dass es gewünscht ist. Dann aber hat die Studie keinen wissenschaftlichen Wert mehr.

Es ist also auch keine Lösung, den Probanden das Gefühl zu geben, sie seien wichtige Mitarbeiter?
Ein Mitarbeiter hat Loyalitätsverpflichtungen! Ich verstehe, dass Firmen nach außen hin einen Mitarbeiternimbus kommunizieren: »Ich arbeite mit, ich werde geschätzt, ich bin gewissermaßen im Arbeitnehmerzustand.« All das ist positiv für die Bindung an die Firma. Das darf aber eigentlich nicht sein. Denn nur, wenn ich frei sage, was ich bei der Einnahme des Medikamentes selbst empfunden habe, z.B. Kopfweh, Übelkeit – und nicht das, was man vielleicht hören möchte – sind die Daten einigermaßen brauchbar.

Man könnte es eigentlich als Scheinselbstständigkeit bezeichnen, wäre es formal nicht eine ehrenamtliche Tätigkeit.
Auf alle Fälle entsteht ein Mitarbeiterverhalten, Loyalität gegenüber dem Betrieb...

Wie kommt es, dass Blutspenden etwas sehr Ehrenhaftes an sich hat, obwohl auch Geld fließt und die Pharmaindustrie daran gut verdient. Proband-Sein hingegen wirkt etwas anrüchig?
Weil man beim Blutspenden ein Opfer bringt, man spendet etwas.

Das tut der Proband auch. Er spendet Blut für die Untersuchung – und Zeit.
Was bei der Blutspende rauskommt, ist ein roter Saft in einem Beutel, das kennt jeder. Das ist ganz konkret. Es ist eine Körperspende, da wird nichts getestet, da wird nichts verseucht. Man spendiert die eigenen Körpersäfte und produziert gewissermaßen selbst das Arzneimittel.

Die Blutspende ist ein Arzneimittel?
Ja, die Herstellung einer Blutkonserve fällt auch unter das Arzneimittelgesetz.

Das eine ist also Geben, das andere Nehmen. Wenn man etwas in den Körper aufnimmt, erinnert es eher an das Prinzip einer Hure, die sich eines Freiers annimmt und dafür Geld kriegt?
Wenn der Freier ein armes Universitätsinstitut wäre, und nicht der reiche Pharmakonzern, läge die Sache vielleicht schon anders. wenn kein Geld fließt, wäre es der Akt einer gegenseitigen Liebesbeziehung. Wie gesagt: Das Geld muss weg.

Weitere Beiträge zum Thema befinden sich in der gedruckten Ausgabe des »nd« von Samstag 17. Oktober 2015.

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