Erinnerung an die Einfachheit

Wieso ein Hallenser und seine Frau im Ruhrgebiet ein »Geschmackszentrum Ost« betreiben

  • Luisa Houben
und Florentine Dame
  • Lesedauer: 3 Min.
Lkw-Fahrer Frühauf wurde immer häufiger von Freunden gebeten, von seinen Fahrten in den Osten das eine oder andere mit ins Ruhrgebiet zu bringen. Bis daraus eine Geschäftsidee wurde.

Tief im Westen: Pfeffi, Spreewaldgurken, Halloren Kugeln und Schlager Süsstafel. Produkte, die man eigentlich vorwiegend in ostdeutschen Supermärkten vermuten würde, bieten Jörg und Heike Frühauf in ihrem Laden in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen) an. Im »Geschmackszentrum Ost« sind die Regale gefüllt mit Ost-Produkten und Erinnerungen an die Kindheit in der DDR. »Die Leute haben teilweise Tränen in den Augen, wenn sie etwas wiedererkennen«, sagt Jörg Frühauf.

Er selbst kommt ursprünglich aus Halle in Sachsen-Anhalt, kennt sich aus mit all seinen Produkten und tut nichts lieber, als sich mit seinen Kunden darüber zu unterhalten. Zwei von ihnen sind Anke und Marco Hebig. Beide stammen aus der DDR, vor sechs Jahren verschlug es sie ins Ruhrgebiet. Heute schwelgen die beiden bei ihrem Einkauf in Erinnerungen: die Eierbecher in Form eines Hahns, die früher auf dem Frühstückstisch standen, Lakritz, Wurst und der kleine Maulwurf.

Die Idee zu seinem Laden hatte der Lastwagenfahrer Frühauf, als er von immer mehr Freunden gebeten wurde, von seinen Fahrten in den Osten das eine oder andere mit ins Ruhrgebiet zu bringen. Wer hier zu den Stammkunden zählt, sei meist in der DDR aufgewachsen, sagt er. Besonders beliebt seien die Wurstwaren. »Einfachheit schmeckt manchmal besser«, sagt er. Und so, wie der Rheinländer seinen Sauerbraten wolle, gehöre für den Ossi eben eine gute Wurst auf den Tisch - auch wenn er heute im Ruhrgebiet zu Hause ist.

Andrea Müller führt die Beliebtheit von Ost-Produkten auf die Qualität zurück. Sie ist Kuratorin des DDR-Museums in Gelenau im Erzgebirge und erlebt eine große Nachfrage - nicht nur von Sammlern. »Seitdem die Produkte aussterben, merken die Leute, dass sie gar nicht so schlecht waren«, sagt sie. Der Ostalgie-Trend habe fünf Jahre nach der Wende begonnen und sei noch nicht vorbei. In Nordrhein-Westfalen war das Geschäft damit zwar nicht überall dauerhaft erfolgreich: In Köln etwa verschwanden in den vergangenen Jahren eine DDR-Kneipe und ein Ostprodukte-Shop in zentraler Lage wieder.

Aber auch große Supermarktketten nahmen Ost-Produkte in die Regale auf. Ein Sprecher der Handelsgruppe Rewe bestätigte, dass etablierte Produkte aus dem Osten mittlerweile zum Basissortiment gehören. »Mit den Jahren sind viele der ehemaligen Ost-Produkte zur nationalen Marke gewachsen.« Es sei nicht mehr nötig, diese explizit zu bewerben.

In den Garagen zahlreicher Auto-Bastler hat sich ebenfalls ein Stück DDR ins 21. Jahrhundert gerettet: Rund 1000 Trabis sind in Nordrhein-Westfalen zugelassen, mehrere Oldtimer-Clubs zwischen Rhein und Weser kümmern sich um den Erhalt der Kult-Baureihe. Thomas Wentker etwa organisiert als Vorsitzender des Trabantclubs Sputnik jährlich das nach seinen Angaben größte Trabi-Treffen der westlichen Bundesländer. Die kompakten Autos, die andere als »Rennpappe« oder »Plastebomber« verschmähen, schätzt der gebürtige Münsteraner Wentker für ihre Schlichtheit: Keine Klimaanlage, keine Servolenkung, kein Schnick-Schnack. »Mehr braucht man nicht zum Autofahren«, sagt er.

Er selbst erblickte den ersten Trabi als Jugendlicher bei einer Berlinfahrt. Das Bild der rollenden DDR-Ikonen habe ihn nie wieder losgelassen. Die Ostalgie wirkt bis heute: »Das ist so ein bisschen so eine Welt, die verloren gegangen ist. Ich habe oft das Gefühl, das soll alles aus dem Gedächtnis getilgt werden. Das will ich nicht«, schildert er. Als politische Aussage will er seine Trabi-Leidenschaft aber keinesfalls verstanden wissen. dpa/nd

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