Das Grau in den Blick nehmen
Sandro Mattioli sieht im Kampf gegen die organisierte Kriminalität nicht nur in Italien Bedarf für eine Kultur der Legalität
Heute beginnt in Rom das Hauptverfahren in einem bemerkenswerten Gerichtsprozess: 46 Mitglieder und Unterstützer der »Mafia Capitale« müssen sich dafür verantworten, dass sie mit Bestechungsgeldern öffentliche Aufträge erlangt haben: angefangen bei der Betreuung von Senioren und Flüchtlingen bis hin zu Bauaufträgen. Der Name der Bande ist insofern irreführend, wie die römischen Kriminellen nur losen Kontakt mit angestammten Mafiaorganisationen hatten. Sie sind eher als unabhängige Gruppe mit rechtsradikalen Führern zu sehen.
Dieses Verfahren zeigt, dass es keineswegs nur die angestammten Clans sind, die in einer parasitär bis symbiotischen Beziehung mit ihrem Heimatland leben - parasitär, indem sie mit ihrem Schmiergeld korrekt arbeitende Unternehmen verdrängen, symbiotisch, weil die Politiker, die die Kriminellen begünstigen, mitprofitieren. Im Gegenteil: Es gibt in Italien neben ausländischen Gruppierungen der organisierten Kriminalität eben auch einheimische Gruppen. Sie kopieren die klassische Mafia, gehören aber nicht zu ihr.
Solche Strukturen wachsen, wo es keinen Kontrolldruck gibt. In Rom erblühte die Günstlingswirtschaft unter dem neofaschistischen Bürgermeister Gianni Alemanno. Sie erst bildete den Humus für die Mafia Capitale. So nutzte Alemanno die beiden städtischen Verkehrs- und Abfallentsorgungsbetriebe als Versorgungsstation für Gesinnungsgenossen und gab fast 2000 von ihnen einen Job.
Das aktuelle Verfahren zeigt - und das ist der wichtigste Punkt - dass man kriminelle Machenschaften wie die sie begünstigenden Umstände nur mit einer Kultur der Legalität eindämmen kann. Und mit mutigen Menschen, die diese Kultur vertreten.
Erst der Umzug des Staatsanwaltes Giuseppe Pignatone aus Reggio Calabria und die von ihm eingeleiteten Ermittlungen legten den Grundstein für den erfolgreichen Kampf gegen die sich schnell verwurzelnde Mafia Capitale. Günstig war auch, dass mit Ignazio Marino ein Mann auf Alemanno als Bürgermeister nachfolgte, der anfing, ohne Rücksicht auf Seilschaften in seiner Stadt aufzuräumen - und auch deshalb von seiner eigenen Partei, der Partito Democratico unter Führung des Premier Matteo Renzi, im Stich gelassen wurde (ein Skandal im Skandal).
Man kann Italien in vielem kritisieren. Weil etwa der sensus communis oftmals schwach ausgeprägt ist und Politiker für kurzfristigen Profit gemeinsame Sache mit Kriminellen machen. Heute soll man als Italiener aber auch stolz sein auf das Land. Stolz darauf, dass die Selbstreinigungskräfte funktionieren. Dass die römische Staatsanwaltschaft gemeinsam mit korrekten Ermittlern dieses Nest ausgeräuchert hat. Stolz darauf, dass die Kultur der Legalität mit der Eröffnung des Hauptverfahrens einen ersten Stich gemacht hat.
In Deutschland wähnen wir uns gerne im Land der Sauberen. Doch ein Blick in die Nachrichten zeigt, wie falsch diese Einschätzung ist: beim Deutschen Fußball-Bund steht die Zahlung von Bestechungsgeldern in Frage, beim Berliner Flughafen ebenso. Bei der Deutschen Bank war die Unterstützung krimineller Finanzgeschäfte vermutlich gängige Praxis, Prozessrisiken in Höhe mehrerer Milliarden Euro sind die Folge. Volkswagen trickst und belügt die Welt. Geldwäsche wird völlig unzureichend bekämpft. Und inwiefern Kriminelle Investitionen in großem Stil über Fonds verschleiern, ist völlig unbekannt, da den Ermittlern Instrumente für die Kontrolle solcher Kapitalflüsse schlichtweg fehlen. Zudem scheint der Verfassungsschutz in rechtsextreme terroristische Strukturen verstrickt, siehe NSU.
Die Kultur der Legalität dominiert überall dort nicht, wo kein Kontrolldruck herrscht. Natürlich ist nicht alles schwarz in Deutschland. Aber eben auch nicht alles weiß. Wollen wir italienische Verhältnisse vermeiden, dann sollten wir das anerkennen und das Grau in den Blick nehmen, im Großen wie im Kleinen.
So sollten wir endlich mit Gesetzen dem Tanz der Großbanken auf dem schmalen Grat zur organisierten Kriminalität ein Ende setzen. Wir sollten eine Finanzaufsicht schaffen, die diesen Namen verdient, sollten aber auch den deutschen kleinen Unternehmer in den Blick nehmen, der mutmaßlich von Mafiafreunden Gelder bekommt und damit expandiert. Zuerst übernimmt er einen gastronomischen Großbetrieb, dann in feinster Münchner Innenstadtlage ein edles Lokal. Auch hier (ein realer Fall!) lässt sich die Herkunft des Geldes nicht klären: die Rechtsinstrumente fehlen.
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