Altar der 47 unbekannten Soldaten
Eine Ausstellung im Landesmuseum in Halle geht der Frage nach: Seit wann gibt es Kriege?
Am Abend des 6. November 1632 waren sie beide tot: Gustav II. Adolf, der König von Schweden, und ein womöglich erst 15 Jahre alter Soldat, dessen Namen man nicht kennt und von dem nicht klar ist, auf welcher Seite er in die Schlacht bei Lützen zog. Wie der König dort fiel, zeigt seine edle Reitjacke. Sie ist von zwei Schüssen und einem Stich durchlöchert. Vom Tod des jungen Landsknechts berichten Spuren an seinem Skelett. Ein Pistolenschuss traf ihn, dazu mindestens vier Hiebe mit einer blanken Waffe am Schädel. Stunden nach der Schlacht, einer der folgenreichsten im Dreißigjährigen Krieg, wurde er von Bauern in einem Massengrab verscharrt.
Dieses Massengrab, angelegt am Rand der Handelsstraße Via Regia, steht jetzt im Mittelpunkt einer Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt in Halle, die sich einem schwierigen, aber leider an Aktualität nicht verlierenden Thema widmet: dem Krieg. Im Kern, sagt der Museumschef und Landesarchäologe Harald Meller, gehe es um die Frage nach dem Ursprung: Ist Krieg, wie vom englischen Philosophen Thomas Hobbes behauptet, der »Vater aller Dinge«, eine Grundkonstante im Leben der Menschen, oder ist er ein geschichtliches Phänomen, das von bestimmten Faktoren abhängt - und also auch verschwinden kann?
Es ist, das räumt Meller ein, ein sperriges Thema; eine Ausstellung dazu werde »kein Blockbuster«, vermutet er. Es ist zudem nicht einfach darzustellen. Geholfen hat den Hallenser Archäologen der spektakuläre Fund des Massengrabes, auf das sie 2011 stießen. Es war ein Glücksgriff. Zwar hat die Schlacht bei Lützen bis zu 10 000 Tote gefordert; Gräber haben aber kaum bis heute überdauert: Die sterblichen Überreste dienten Bauern später als Dünger. Um so wertvoller ist das Grab, in dem 47 unbekannte Soldaten bestattet sind und das in Form von zwei je 27 Tonnen schweren Blöcken im Stück geborgen und konserviert wurde.
In der Ausstellung steht das Grab im Mittelpunkt - aber in ungewöhnlicher Lage: Die Blöcke wurde aufgerichtet und wirken jetzt beinahe wie ein Altar. Verstärkt wird der Eindruck, weil der letzte Tote, der bestattet wurde, die Haltung eines Gekreuzigten hat. Zugleich erlaubt die wüste Ansammlung menschlicher Knochen tiefe Einblicke in den tristen und brutalen Alltag des Krieges.
Forensische Untersuchungen zeigen, dass es sich meist um schlecht ernährte Männer handelte - Krüppel, die in ihre Schlachten nicht heldenhaft zogen, sondern humpelten. Offenbar kämpften auf beiden Seiten vorwiegend Deutsche. Das belegen Analysen der Zähne, die auf die geografische Herkunft schließen lassen. Nach ihrem Tod wurden die Leichen geplündert: Knöpfe oder Metallgegenstände wurden kaum gefunden, dafür etliche Kugeln. Die Mehrzahl der Infanteristen wurden von Reitern von oben erschossen.
Die Schau im Landesmuseum Sachsen-Anhalt stellt das anonyme, erbärmliche Sterben der unbekannten Soldaten dem »Heldentod« der Könige gegenüber. »Sie nimmt dem Krieg alles Heroische«, hofft Meller. Sie zeigt mit weiteren beeindruckenden Exponaten aber auch, dass vergleichbare Schlachten zu den Konstanten der Geschichte gehörten: Am Fluss Tollense in Mecklenburg werden derzeit Relikte eines Gemetzels in der Bronzezeit ausgegraben, das Hunderte Tote forderte. Solche Funde, sagt Meller, gebe es aber erst ab einem bestimmten Zeitpunkt: dem Beginn des Neolithikums vor etwa 10 000 Jahren, also dem Zeitpunkt, da Menschen sesshaft wurden und Besitz anhäuften. Erst da fielen organisierte Gruppen übereinander her, wurden Heere formiert und Gerätschaften zum Töten entwickelt. Hobbes habe Unrecht, sagt Meller: »Vater aller Dinge - das ist der Krieg nicht.«
Die opulente Schau, die bis 22. Mai zu sehen ist, will das sinnlich erlebbar machen - und verbindet damit eine klare Botschaft: »Krieg«, sagt Meller, »gehört ins Museum.« In diesen Tagen wirkt das wie ein ehrenwerter, aber auch sehr frommer Wunsch.
Das Massengrab soll nach der Hallenser Ausstellung in der Nähe der Fundstelle bei Lützen in einem neuen Besucherzentrum dauerhaft ausgestellt werden. »Für den Bau werden zwei bis drei Millionen Euro benötigt«, sagt die Lützener Stadtkämmerin Simone Starke. Ein erster Fördermittelantrag sei nicht bewilligt worden. Aber es werde erneut ein Antrag gestellt. Lützen rechne mit jährlich rund 18 000 Besuchern. mit dpa
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