Prekär dank de Maizière
Die öffentliche Hand duldet und fördert unsichere Beschäftigung nebst Armutslöhnen
Das Lächeln auf Georg Niedermüllers Lippen wirkt nicht selbstironisch, sondern bitter. »Bofrost-Fahrer ist eine echt interessante Alternative für mich«, sagt der Essener, der ein Magisterstudium der Geschichte, Slawistik und Politik erfolgreich abgeschlossen hat. Denn wenn er tiefgekühlte Hähnchenflügel und Erbsen mit Möhren transportieren würde, könnte er sich über ein Netto-Einkommen von 1300 Euro im Monat freuen.
So aber muss er mit 980 Euro »Gewinn« überleben. Niedermüller leitet nämlich seit acht Jahren sogenannte Integrationskurse, in denen Flüchtlinge ein bisschen Deutsch, aber wenig über die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft lernen, wie der Aktivist der Initiative »Bildung prekär« beklagt.
2,94 Euro pro Kursteilnehmer und Stunde überweist das Bundesinnenministerium an die Träger der Kurse, oft städtische Volkshochschulen, mitunter aber auch gewinnorientierte Anbieter. Die zahlen ihren meist nicht fest angestellten Lehrern ein Honorar von rund 20 Euro, und zwar pro Unterrichtsstunde. Die reale Arbeitszeit ist länger: Das Honorar soll schließlich Vor- und Nachbereitung abdecken. Es gehen davon noch Steuern und Sozialabgaben ab. Bei Krankheit und im Urlaub verdienen die Lehrenden keinen Cent.
»Die Träger agieren illegal, denn wir sind in der Regel Scheinselbstständige, die genau wie Angestellte in die Betriebsabläufe integriert sind, die aber von ihrer Arbeit kaum leben können. Und der Staat toleriert das!«, ärgert sich Niedermüller. Er spricht von »Fronarbeit im Dienst der Integration«.
Doch Niedermüller und seine Kolleginnen und Kollegen sind nicht die Einzigen, die im Auftrag der öffentlichen Hand für einen Dumpinglohn schuften. Das wurde am Wochenende auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Gewerkschaften GEW und ver.di deutlich. Unter dem Motto »Prekär im öffentlichen Auftrag« diskutierten Betroffene, Aktivisten, Gewerkschafter und Politiker in einer Duisburger Gesamtschule über Ursachen und Gegenstrategien.
Das Bild ist ebenso unschön wie bunt: Die Stadt Duisburg beschäftigt hunderte Leiharbeiter in ihren Wirtschaftsbetrieben, aber neuerdings auch in der Verwaltung. An Universitäten und in der politischen Bildung arbeiten Dozenten an der Grenze zum Vergelts-Gott-Tarif. Städtische Müllmänner müssen mitunter ihren kargen Lohn mit Hartz IV aufstocken. In Köln leisten schlecht entlohnte Pädagoginnen unbezahlte Überstunden, damit das System der Ganztagsbetreuung von Schülern nicht zusammenbricht.
Mag es auch vereinzelte Kämpfe geben – so bei der VHS Düsseldorf und natürlich die jüngsten Kita-Streiks für die Aufwertung der wichtigen Arbeit: Die Betroffenen, das wurde in Duisburg deutlich, sind nicht leicht zu organisieren, sie sind zerstreut und zudem oft schlecht informiert über ihre Rechte.
Die öffentliche Hand fördert derweil sogenannte Bürgerarbeit und Programmbeschäftigung beispielsweise in Altenpflege und Ordnungsdiensten, auch wenn die temporären Lohnzuschüsse die betroffenen »Minderleister« nur selten in einen halbwegs akzeptablen Job bringen. Nun drohe »in der gesellschaftlichen Reproduktionskrise« gar Zwangsarbeit per Dienstverpflichtung, befürchtet die Stadtplanerin Irina Vellay.
Zur Diskussion vorbei schaute auch Roland Schäfer, Bürgermeister der Stadt Bergkamen und Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Halb wurde der Sozialdemokrat als Verbündeter begrüßt, halb als Buhmann.Die kommunalen Kassen seien dank diverser Krisen und Sparrunden leer, referierte der Verwaltungsjurist Altbekanntes. Die Kommunalpolitik könne nur sparen, indem sie auf sogenannte »freiwillige Leistungen« wie Kultur und Sport verzichte, indem sie die Infrastruktur nicht in Schuss halte, was ein paar Jahre nicht auffalle und dann sehr teuer werde, oder eben, indem sie die Personalkosten senke. Auch er, betonte Schäfer, findet das nicht gut. Doch Einfluss auf öffentlich finanzierte Träger nehme er nicht. Schäfer zeigte sich überrascht ob der dort vorherrschenden Arbeitsbedingungen. Sie seien bisher weder ihm noch seinem kommunalen Spitzenverband aufgefallen.
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