Leeve und leeve losse
Die vier beliebtesten Thesen der Karnevalshasser gegen die »fünfte Jahreszeit« und die Gegenargumente eingefleischter Jecken
Es wird wieder diese Bilder geben. Schließlich gibt es sie jedes Jahr: Menschen stehen fröstelnd auf irgendeinem Rathausplatz, tragen ein Bienen-, Matrosen-, Clowns- oder Krankenschwesterkostüm und genehmigen sich schon vormittags das eine oder andere Schlückchen. Für Karnevalisten ist der Beginn der Karnevalssession am 11.11. eine Art Feiertag, bei anderen reichen die Gefühle von Unverständnis bis Fremdschämen. Hier sind ihre Argumente, formuliert in vier Thesen - und Antworten eingefleischter Karnevalisten aus dem Rheinland:
1. These: Karneval ist vom Kalender verordnete Lustigkeit. Ich lasse mir nicht vorschreiben, wann ich fröhlich sein soll!
Hermann Schmitz, der 1993 »Prinz Karneval« in Düsseldorf war, hält die Gegenrede: »Für mich ist nach Aschermittwoch vor Aschermittwoch. Ich bin überhaupt nicht auf irgendeinen Tag festgelegt.« Es gehe bei den »Jecken« doch eher um eine Lebenseinstellung. Marlies Stockhorst, Präsidentin des Festausschusses des Bonner Karnevals, verweist darauf, dass der Zeitpunkt der Feier nun einmal mit dem Kirchenjahr zusammenhänge.
2. These: Karneval ist nur ein großer Vorwand, um sich hemmungslos zu betrinken.
»Ich kann aus Erfahrung sagen, dass Karneval sich mit wenig oder keinem Alkohol auch gut feiern lässt - besonders der Straßenkarneval«, entgegnet Victoria Riccio, die in Köln eine Sitzung mitgegründet hat, die multikulturell den Blick von Zugezogenen aufgreift. Das Alkoholproblem sei ja kein anderes als bei anderen Großveranstaltungen auch, meint die Bonner Karnevalistin Stockhorst: »Das Problem kann der Karneval nicht lösen.«
3. These: Karneval bedient dumpfe Stereotype. Frauen verkleiden sich als »sexy« Krankenschwester, Männer stehen in Uniform stramm.
Dazu äußert sich erneut Stockhorst: »Im Karneval wird das Seelenleben eines jeden Menschen bedient. Mal der zu sein, den man sich insgeheim schon immer wünschte.« Krankenschwester- oder Hausmädchenkostüme kennt natürlich auch die Kölnerin Riccio. Sie hat in Deutschland aber noch mehr beobachtet. »Als ich aus den USA nach Deutschland kam, war ich erstaunt darüber, wie viele Frauen und Männer mit ihren Karnevalskostümen ›Mut zur Hässlichkeit‹ zeigen.«
4. These: Es weiß doch sowieso keiner mehr, warum man Karneval feiert. Das ist nur noch ein »Event« unter vielen.
»Das sehe ich mal ganz anders«, sagt der Düsseldorfer Ex-Prinz Schmitz. Aber er gibt zu: Ihn ärgere es auch, dass der Karneval immer kommerzieller werde. Dennoch: »Jeck« zu sein, sei nicht an ein irgendwie geartetes Event gebunden. Die Kölnerin Riccio springt ihm bei: »Es gibt viele Menschen, für die Karneval und ›Brauchtum‹ eine große Bedeutung haben - oft seit der Kindheit.« Marlies Stockhorst gibt sich derweil versöhnlich: »Leeve und leeve losse.« Übersetzt: »Leben und leben lassen.« dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.