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Unterm Helm ein frisches Herz

Sechs Jahrzehnte Bundeswehr - hinter Glas

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Am 12. November 1755 wurde der preußische Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst geboren. 200 Jahre später bekamen die ersten Soldaten der neuen Bundeswehr ihre Ernennungsurkunden.

Dresden, November 2015, Militärhistorisches Museum, Blick ins Gästebuch. »Das erste Mal in Dresden - und wir sind begeistert. Das Museum ist Klasse.« Ein anderer Besucher vermerkt: »Hochinteressant, habe viel gelernt. Hohen Respekt vor der selbstkritischen Betrachtung« Auf Russisch steht geschrieben: »Wir beglückwünschen Sie für dieses Museum.« Eine Seite zuvor ist alles nur »geil«. Schülern aus Soest gelingt fast ein ganzer Satz, um Begeisterung auszudrücken: »War Bombe hier.« Man zweifelt, dass sie auch die Leuchtschrift, die links im Foyer über die Betonwand gleitet, gelesen und verstanden haben: »Der Krieg ist nichts Menschenfreundliches.«

Seit dem 3. November zeigt das Museum in Dresden auch eine Sonderausstellung zu 60 Jahren Bundeswehr. Alles ist sehr übersichtlich, Geschichte ist zumeist in Containern verpackt und hinter Glas konserviert. Nichts, so scheint es, hat man weggelassen. Doch der sparsame Umgang mit Licht und manche gar klein geratene Erläuterungstafeln drängen die Frage auf, ob dieser Anschein von Vollständigkeit stimmt.

Eine Gruppe junger Männer strebt dem Ausgang zu. Es sind Soldaten, ihre Auswertung des Besuches klingt waffentechnisch professionell. Junge Mädchen huschen herein. Sie haben Schreibblöcke und Kugelschreiber dabei, arbeiten offenbar Schulaufgaben ab. Eine der Schülerinnen setzt Kopfhörer auf, lauscht der Stimme eines Mannes, betrachtet interessiert den zugehörigen Film. Sie lacht über den Alten, weil der einen so seltsamen Homburger auf dem Kopf trägt und mit fremden, rheinischen Dialekt spricht. Konrad Adenauer. Adenauer? Der Name sagt dem jungen Mädchen nichts.

»Bewahren Sie sich ein frisches Herz und einen freien Sinn«, hatte der erste CDU-basierte Kanzler der 1949 gegründeten Republik den »Soldaten der Streitkräfte« zugerufen. Von Bundeswehr war bei dem Appell am 20. Januar 1956 noch nicht die Rede. Adenauer verkündete den Auftrag der Bewaffneten: »Einziges Ziel der deutschen Wiederbewaffnung ist es, zur Erhaltung des Friedens beizutragen. Wir werden dieses Ziel erreicht haben, wenn die gemeinsame potenzielle Abwehrkraft der Verbündeten zu jedem Zeitpunkt ein zu großes Risiko für jeden möglichen Angreifer bedeutet. In einer solchen militärischen Stärke, die lediglich für unsere Verteidigung ausreicht, kann niemand eine Bedrohung erblicken.« Oh doch, man konnte. Östlich der Elbe.

Doch auch Adenauer und die herrschende Klasse der westdeutschen Republik fühlte Bedrohung. Vom Russen und der »sowjetzonalen Regierung in Pankoff«. Was wissen Nachgeborene von dem Widerstand gegen Wiederbewaffnung in Westdeutschland? Die Militarisierung konnte nur so geräuschlos über die bundesdeutsche Bühne gehen, weil den meisten Bürgern inzwischen Wirtschaftswunder und Wohlstand weit mehr am Herzen lagen als das aus tausend finstersten Jahren deutscher Geschichte Gelernte.

»Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen!« Das sprach kein Pazifisten-Prediger, das sagte der Weltkrieg-Oberleutnant Franz Josef Strauß noch im Jahre 1949. Leider ist das Zitat des späteren Verteidigungsministers, der die Bundeswehr mit Atomwaffen ausstatten wollte, nicht in der Ausstellung zu finden. Es könnte manchen manches fragen lassen. Wer aber über genügend Kenntnisse aus der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte verfügt, weiß, was die Ausstellungsmacher andeuten, wenn sie eine atomare Übungsgranate aus dem Bestand der Bundeswehr zeigen. Auf der Freifläche hinter dem Museum befindet sich überdies ein Transportanhänger für Pershing-Raketen, die nukleare Sprengköpfe auch bis nach Dresden getragen hätten. Die Schreibblock-Schülerinnen hätte es nie gegeben.

Nur angedeutet ist, dass Profit schon im Frieden über Leichen ging. Man sieht einen »Starfighter«-Schleudersitz. 916 dieser Superflugzeuge hat die Bundeswehr eingesetzt, 269 von ihnen stürzten ab, 116 Piloten verloren ihr Leben.

Auch das, was zum Begriff Notstandsgesetze gesagt werden muss, verlangt eigene Recherche. Interessanterweise warnte der Kanzler bereits bei seiner ersten Rede vor den Soldaten vor Gefahren »von innen her«. Die Freiheit sei »durch mancherlei Gegenkräfte bedroht«.

Zu Ehren kam die Truppe 1962 in Hamburg, als 8000 Soldaten Menschen aus Sturmflutwassern retteten. Gleichen Dank verdiente sich die Bundeswehr in jüngsten Jahren an Oder und Elbe. Die Sandsäcke in der Ausstellung hat man berechtigt so augenfällig abgeladen.

Weniger auskunftsbereit ist die Ausstellung, wenn es um das geistig-historische Fundament der Truppe geht. Die Traditionen der Bundeswehr sind ein höchst unterbelichtetes Kapitel der 60-Jahre-Schau. Man hätte sich, auch um den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Inneren Führung zu erkennen, schon eine Liste mit den Kasernennamen gewünscht, die Nazigenerale und sogar Kriegsverbrecher zu Vorbildern erklärten. Daneben hätte eine Liste Platz gehabt, auf der die bei der deutschen Vereinigung getilgten NVA-Kasernennamen bewahrt worden wären. Hätte das nicht mehr erzählt über die »Armee der Einheit«? So versuchte man nur zu dokumentieren, was es in der Wirklichkeit kaum gab.

Dass das nun größere Deutschland »mehr Verantwortung in der Welt übernehmen musste«, ist ein verharmlosender Spruch. Zu sehen ist eine unschuldig-weiß gestrichene Luft-Boden-Rakete. Mit solchen HAARM-Geschossen haben Bundeswehr-Tornados in Jugoslawien angegriffen.

Im Container nebenan steht ein »Wolf«-Geländewagen. Eine Explosion in Kabul hat ihn und die Insassen schwer getroffen. Wer hat sie nach Kabul geschickt? Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Im selben Container sind die Abstimmungskarten der Abgeordneten Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU) zu sehen. Rot für »Nein«. Weiß für »Ich enthalte mich«. Blau für »Ja«. Überflüssig zu betonen, welche der Kanzler und ihre Nachfolgerin benutzten.

Erstmals zu sehen sind auch Exponate vom sogenannten Karfreitagsgefecht im April 2010. Afghanische Aufständische hatten deutsche Fallschirmjäger attackiert. Soldaten gedachten ihrer drei getöteten Kameraden, schrieben ihre Namen auf eine Zeltbahn, die sie vor ein ausgebranntes Dingo-Fahrzeug gehängt haben. Ihren Wahlspruch »Treue um Treue« haben sie darauf geschrieben. Der damalige Heeresinspekteur verbot den umgehend: »In heutiger Wahrnehmung und in der Geschichte deutscher Streitkräfte ist der Wahlspruch im Wesentlichen durch die Verwendung als Motto der Fallschirmjägertruppe der Wehrmacht geprägt worden und mit dieser verbunden«, sagte General Bruno Kasdorf 2011. Man hätte sich in der Ausstellung 2015 eine Erklärung zum Exponat gewünscht.

Nicht sehr schlüssig erklären die Militärhistoriker auch die Gründe für den Soldatenexport nach Afghanistan. Zu sehen ist ein Video von den Flugzeugattacken am 11. September 2001 in den USA. Nur wenige Schritte sind es und man steht vor einem Bildschirm, auf dem der Bombenangriff auf zwei Tankwagen im afghanischen Kundus-Fluss aus der Pilotenperspektive zu sehen ist. Angeordnet hat den ein deutscher Oberst. 142 Menschen, zumeist Zivilisten, viele Kinder, starben. »Obwohl bald Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Angriffs laut wurden, wurde niemand für den Befehl rechtlich belangt. Dennoch wird der Einsatz noch heute kontrovers diskutiert«, ist vermerkt.

Was sagen uns diese und jene Videobilder? Dein Terror - mein Terror: Terror ist für alle da? Und für wen ist die Bundeswehr da? Laut einem jüngsten Nachwuchs-Werbespruch kämpft sie auch dafür, »dass du gegen uns sein kannst«.

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