»Alles nur Lügen!«
Russische Politiker und Sportfunktionäre werfen den Ermittlern der Welt-Antidoping-Agentur fehlende Beweise für Anschuldigungen vor
Am Tag nach der Veröffentlichung des brisanten Dopingberichts schlägt Russland zurück. Die Anschuldigungen, die eine unabhängige Kommission im Zuge einer von der Welt-Antidoping-Agentur WADA beauftragten Untersuchung erhoben hatte, seien unbewiesen. »Anschuldigungen müssen durch Beweise belegt sein. Bis die vorliegen, sind solche Anschuldigungen nur schwer zu akzeptieren, zumal sie eher gegenstandslos erscheinen«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag und stellte sich hinter den der Mitwisserschaft beschuldigten Sportminister Witali Mutko. »Die Beschuldigungen haben weder Hand noch Fuß.«
Mutko selbst ging in die Offensive. Sein Ministerium könne die Finanzierung der russischen Antidoping-Agentur RUSADA und des Kontrolllabors in Moskau auch einstellen, drohte Mutko am Montag. »Wir sparen dann Geld.« Auch der Trainer der des Dopings beschuldigten 800-m-Olympiasiegerin Maria Sawinowa wies alle Vorwürfe zurück. »Wir haben kein Geld bezahlt und keine unerlaubten Mittel benutzt«, sagte Wladimir Kasarin der Zeitung »Sport-Ekspress.« Sawinowa wolle weiterhin nach ihrer Mutterschaftspause an den Olympischen Spielen 2016 in Rio teilnehmen. Die Untersuchungskommission hatte eine lebenslange Sperre für Sawinowa empfohlen.
Die WADA scheint mehr Vertrauen in die Untersuchungsergebnisse zu haben und entzog wie gefordert dem Moskauer Antidoping-Labor die Lizenz. Damit dürfen dort keine Proben mehr analysiert werden. Der Labordirektor Gregori Rodschenkow soll laut Bericht vor dem Eintreffen der Kommission im Sommer 1417 Dopingproben zerstört haben, um der WADA die Möglichkeit zu nehmen, sie selbst noch einmal zu testen. »Der Report ist voller Lügen, und die meisten Zeugen sind unglaubwürdig«, stritt auch Rodschenkow am Tag danach in der »Times« alles ab.
Beim Studium des mehr als 300 Seiten umfassenden Berichts ist allerdings schnell zu erkennen, dass die Kommission sehr wohl Fakten gesammelt hat, auch wenn viele Anschuldigungen auf den Aussagen von Whistleblowern beruhen. So gab es bis zu zweijährige Verzögerungen bei der Behandlung von positiven Dopingfällen, was dazu führte, dass betreffende russische Sportler noch bei den Olympischen Spielen 2012 in London antreten und wie Sawinowa oder Jekaterina Poistogowa Medaillen sammeln konnten.
Außerdem berichten mehrere Dopingkontrolleure von Bedrohungen und eklatanten Verzögerungsstrategien seitens der Trainer, die ihre Athleten schützen wollten. So hieß es, dass die Sportler nicht im Trainingscamp seien, obwohl Hotelangestellte anderes aussagten. Dass auch der Staat das System stützte, zeigt die Episode, in der ein Dopingkontrolleur von der Polizei von Saransk bis ins 600 Kilometer entfernte Moskau eskortiert werden sollte, um sicherzustellen, dass die Proben im als korrupt bekannten Labor ankommen und nur dort getestet werden. Weil sich der Kontrolleur allerdings nachts aus dem Fenster floh, wurden die Proben außer Landes geschafft und mehrere Geher als Doper entlarvt.
Auch die heimlich gefilmten Videos, in denen Trainer, Mediziner und Athleten Dopingmissbrauch zugeben, wurden mittlerweile von einer US-Behörde für echt erklärt. Das hindert die beschuldigten Trainer selbstredend nicht daran, sie trotzdem als Fälschungen zu bezeichnen.
Mehr als 90 Prozent der kontaktierten russischen Athleten weigerten sich, mit den Kommissaren zu sprechen. Genau das wurde ihnen offenbar sogar von der RUSADA verboten. Der Präsident des russischen Leichtathletikverbandes, Wadim Selichenok, stoppte sogar selbst ein Interview mit der zunächst offenbar sehr auskunftsfreudigen Mittelstreckenläuferin Anastasija Basdyrjewa,
Laut Minister Mutko gibt es trotzdem »keinen Grund zur Verwirrung: Die Kommission hat kein Recht, irgendjemanden zu suspendieren.« Damit befeuerte er Befürchtungen, dass die Macht der Sportnation Russland zu groß sei, um ihre Leichtathleten wie von der Kommission gefordert sperren zu lassen - womöglich sogar für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro. Der britische Leichtathletikverband und das Nationale Olympische Komitee Australiens forderten am Dienstag aber genau das vom Weltverband IAAF.
Und sogar vom sonst eher seichten Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Alfons Hörmann, gab es mahnende Worte: »Wir können nur hoffen, dass sehr klare und harte Sanktionen umgesetzt werden. Ich gehe davon aus, dass der Leichtathletikverband im ureigenen Interesse weiß, was er zu tun hat.«
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