Wahlfreiheit à la Seehofer

In Bayern kritisieren etliche Kita-Träger das neue Betreuungsgeldgesetz der CSU-Regierung

  • Michel Winde, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Bayerns Staatsregierung bereitet derzeit das Betreuungsgeldgesetz für den Freistaat vor. Indessen kommt von vielen Kita-Trägern Gegenwind: Wahlfreiheit wollen alle - aber bitte nicht so.

Viele Träger von Kindertageseinrichtungen in Bayern kritisieren das von der Staatsregierung in Bayern geplante Betreuungsgeld. Das Bundesverfassungsgericht hatte die monatliche Zahlung in Höhe von 150 Euro an Eltern, die ihr Kleinkind nicht in eine Kita oder zu einer Tagesmutter schicken, Mitte Juli gekippt. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) kündigte jedoch schon vor der Gerichtsentscheidung an: »Sollte es anders kommen, dann werden wir einen Weg finden in Bayern, die Dinge richtig in die Zukunft zu führen: mit Betreuungsgeld.« Und es kam tatsächlich anders: Das Betreuungsgeld als Bundesleistung sei unzulässig, urteilte das Gericht. Deshalb werden die Dinge jetzt, Seehofer zufolge, tatsächlich richtig in die Zukunft geführt.

Anfang Oktober hatte das bayerische Kabinett beschlossen, dass das Betreuungsgeld im Freistaat nahtlos in gleicher Höhe weitergezahlt werden würde. Jetzt sollen sich die Betroffenen äußern: 20 Verbänden wurde vom Sozialministerium die Gelegenheit gegeben, sich zum geplanten Gesetz zu äußern. Natürlich nicht, ohne im Anschreiben auf die Vorzüge der Zahlung zu verweisen. So steht da: »Wahlfreiheit für Eltern«. 230 Millionen Euro jährlich will der Freistaat sich diese Wahlfreiheit kosten lassen.

Elf Verbände haben laut Ministerium eine Stellungnahme eingereicht. Auf eine dpa-Umfrage antworteten acht Verbände. Fünf von ihnen lehnen das Betreuungsgeld ab, drei sprechen sich dafür aus. Acht weitere Verbände - unter ihnen der Gemeinde- und Städtetag - teilten mit, an der Anhörung gar nicht erst teilzunehmen.

Wahlfreiheit, so heißt es seitens der Verbände vielfach, sei grundsätzlich zu begrüßen. »Aber nicht mit 150 Euro«, sagt etwa Birgit Löwe, Vorsitzende der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen in Bayern (Eaf) sowie Vorstandsmitglied der Diakonie in Bayern. Die Diakonie ist laut Sozialministerium mit 1388 Einrichtungen der drittgrößte Kita-Träger im Land. »Mit dem Betreuungsgeld wird real keine Wahlfreiheit zwischen privater und öffentlicher Erziehung geschaffen. Es hat schlicht nur Symbolcharakter«, sagt Margit Berndl, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Bayern. Und der Verband alleinerziehender Mütter und Väter glaubt, von der Leistung würden mehrheitlich Eltern profitieren, »die auf 150 Euro pro Monat nicht angewiesen sind«.

Die Kritik geht noch weiter: Das Betreuungsgeld verfestige die Tendenz, dass Frauen nicht erwerbstätig sind, sagt etwa Thomas Beyer, Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bayern. Und Margit Berndl nennt es »Ausdruck einer Familienpolitik, die eine traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Männern und Frauen zementiert«.

Doch nicht alle Verbände äußern sich negativ. Der Geschäftsführer des Bayerischen Landkreistags, Johann Keller, hält das Betreuungsgeld in Bayern für »die konsequente Fortsetzung dieser familienpolitischen Leistung, die auf Bundesebene aus rein formalen Gründen gekippt wurde«. Bernhard Huber vom Familienbund der Katholiken glaubt, durch das Betreuungsgeld würde der »finanzielle Druck auf Familien mit Babys« reduziert. An der Anhörung beteiligen wolle der Familienbund sich jedoch nicht.

Als Argument für das Betreuungsgeld wird auch dessen Erfolg in Bayern genannt. Mehr als 73 Prozent der bezugsberechtigten Eltern im Freistaat haben das Betreuungsgeld laut Sozialministerium für gewisse Zeit in Anspruch genommen.

Eine Umfrage der SPD von Anfang Oktober hat jedoch gezeigt: Die deutliche Mehrheit der Bürger in Bayern hält das Betreuungsgeld für wenig sinnvoll. Lediglich 28 Prozent der befragten 1003 Bürger befürworteten eine Fortzahlung des Betreuungsgelds. 63 Prozent der Befragten votierten dafür, das Geld in den Ausbau der Kinderbetreuung zu investieren.

Das dürfte ganz im Sinne vieler Verbände sein. Die 230 Millionen Euro im Jahr seien »gesellschaftlich und volkswirtschaftlich erheblich sinnvoller in den Ausbau und die Qualität der Kinderbetreuung investiert«, schreibt der Paritätische Wohlfahrtsverband. Auch Thomas Beyer von der AWO fordert, das Geld in die Qualität der Kitas zu investieren. Er nennt die Integration von Flüchtlingen sowie die Inklusion von Behinderten als Herausforderungen der Zukunft. Das Betreuungsgeld einzuführen hingegen heiße, »an einem Anachronismus festzuhalten«.

Anachronismus hin oder her - das Gesetz wird wohl kommen. Im nächsten Schritt werden die Stellungnahmen der Verbände ausgewertet und der Entwurf dem Bayerischen Landtag zugeleitet. Und dann wohl von der christsozialen Mehrheit abgenickt - trotz aller Kritik. dpa/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.