Ukraine hat die nächsten Jahre nichts zu verkaufen
Zwei Jahre nach dem Kiewer Maidan bleibt die Europäische Union ein ferner Traum
Es sind zwei Jahre nach jenem Tag in Spätherbst vergangen, an dem die Maidan-Revolution in der Ukraine begann. Am 21. November 2013 legte der damalige Präsident Wiktor Janukowitsch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU überraschend auf Eis. Am Abend sammelten sich Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz in der Hauptstadt Kiew. Sie forderten die Annäherung an die EU. Alles begann friedlich, die blutigen Ereignisse in Kiew und im Donbass waren nicht in Sicht.
Es folgte die größte Krise in der Geschichte des ukrainischen Staates, doch nun haben die Demonstranten das, was sie ursprünglich wollten. »Die EU informierte uns heute, dass alles für eine Freihandelszone mit der Ukraine ab 1. Januar 2016 vorbereitet ist«, twitterte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am Dienstag. Damit tritt nicht nur der politische, sondern auch der viel wichtigere Wirtschaftsteil des Assoziierungsabkommens in Kraft. Doch bringt das der Ukraine tatsächlich Vorteile?
Schon am Mittwoch reagierte Russland mit einem neuen Importverbot, das die Einfuhr der ukrainischen Lebensmittel, vor allem Milch und Fleisch, ab 1. Januar untersagt. »Dafür gibt es zwei Gründe: Die Sanktionen gegen die russische Wirtschaft und die Freihandelszone mit der EU«, kommentierte der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew die Entscheidung. Die ukrainische Regierung um Ministerpräsident Arseni Jazenjuk schätzt die möglichen Verluste durch das Embargo auf 600 Millionen US-Dollar.
Allerdings widersprechen diese Zahlen den Angaben des eigenen Agrarministeriums: In der ersten Hälfte 2015 verkaufte die Ukraine Lebensmittel nur im Wert von rund 125 Millionen US-Dollar an Russland. Das zeigt vor allem, dass der Absatzmarkt Russland schon jetzt nicht mehr die frühere Bedeutung hat. Und die Freihandelszone mit der EU ist im Moment nicht die Lösung, um diese Lücke zu schließen.
Das behauptet zumindest Wassilij Filiptschuk, der Vorstandsvorsitzende des Internationalen Zentrums für politische Forschung in Kiew. »Leider dürfen wir vorerst nicht viel von der Freihandelszone erwarten. Faktisch öffnete die EU schon ihre Märkte für uns, doch der Export in die EU-Länder ist trotzdem um 34 Prozent gefallen. So werden wir in den ersten Jahren wohl nichts zu verkaufen haben«, erklärt Filiptschuk.
Johannes Hahn, der österreichische EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik, der in diesen Tagen die Ukraine besucht, machte in diesem Zusammenhang keine Hoffnung auf zusätzliche Hilfe: »Wir müssen ehrlich sein: Wir wussten immer, dass Russland auf die Freihandelszone antworten könnte. Die Ukraine hatte genug Zeit, um sich darauf vorzubereiten.« Eine Äußerung, die sich wie harte Kritik anhört.
Letztendlich geht es aber nicht alleine um die ukrainische Wirtschaft, die sich ohnehin im katastrophalen Zustand befindet. Trotz des Assoziierungsabkommens, das im nächsten Jahr vollständig in Kraft treten soll, ist aus dem großen Traum von der EU nicht viel geworden. »Stellen Sie sich vor: 2015 werden alle Ukrainer visumfrei in die Länder der EU reisen«, versprach Petro Poroschenko während seines Wahlkampfes im Frühjahr 2014 und will die Reisepässe in ukrainischer und englischer Sprache für den Westen tauglich machen.
Doch auch 2016 bleibt die EU fern - nicht zuletzt wegen des eigenen Parlaments, das nur mit großen Schwierigkeiten für die nötigen Antikorruption- und Antidiskriminationsgesetze stimmt. Die Mitgliedschaft, von der ein großer Teil der Ukrainer träumt, kommt überhaupt nicht in Frage. Gleichzeitig bleibt die Krim von Russland besetzt, der Krieg im Donbass geht weiter - und das korrupte politische System scheint sich nicht erneuert zu haben.
Das EU-Assoziierungsabkommen wird diese Probleme nicht lösen. Und wenn es so weitergeht, sowohl wirtschaftlich als auch politisch, wird sich die Maidan-Revolution in eine ähnliche Enttäuschung wie die Orange Revolution von 2004 verwandeln.
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