Notstrom noch für 30 Tage
Nach den Sabotageangriffen hoffen die Krim-Bewohner auf die russische »Energiebrücke«
»Die letzten Masten wurden gerade gesprengt.« Es war Sonntag früh, 0.22 Uhr Ortszeit, als Ilja Kiwa vom ukrainischen Innenministerium den Eintrag bei Facebook postete. Er klang wie eine Siegesmeldung und genau das sollte er wohl auch sein. Denn es ging um die Masten der letzten Starkstromleitung, über die sich die Krim mit Elektroenergie versorgt. Die zwei wichtigsten Hochspannungsleitungen hatten Unbekannte bereits am Freitag zerstört, ukrainische Aktivisten die Reparaturarbeiten sabotiert.
Darunter auch viele Krimtataren. Sie kritisieren den Russland-Beitritt der Schwarzmeerhalbinsel im März 2014 als Annexion und hatten dagegen schon im September mit einer Sitzblockade der Zufahrtsstraßen protestiert. Das Kalkül: Damit werde es zu Engpässen bei der Lebensmittelversorgung und dann zu Unruhen kommen.
Die Rechnung ging indes nicht auf. Moskau sorgt mit Lieferungen auf dem Luft- und Wasserweg für eine stabile Versorgung. Die Energie-Blockade dagegen trifft die Krim und ihre zwei Millionen Bewohner mit voller Wucht. Nur 20 Prozent des benötigten Stroms werden durch mehrere kleine Unternehmen auf der Krim selbst produziert. Der Löwenanteil - 80 Prozent - kommt aus der Ukraine, deren Landmasse die Halbinsel im Norden umschließt.
Von Russland trennt sie die Straße von Kertsch. Zwar sollen den viereinhalb Kilometer breiten Sund schon bald eine Brücke und eine Hochspannungsleitung überwölben. »Energiebrücke« nennt sich das von der Zentralregierung in Moskau im April verabschiedete Projekt. Laut Plan sollen die ersten Kapazitäten - 400 Megawatt - schon am 25. Dezember ans Netz gehen. Gerade noch rechtzeitig: Die auf der Krim in unterirdischen Lagern gebunkerten Gasreserven, mit denen Notstromaggregate für eine Grundversorgung angetrieben werden, reichen für maximal 30 Tage, warnte ein Sprecher des Krim-Energieministeriums.
Bis es soweit ist, bekommt die Bevölkerung nur stundenweise Strom. Flächendeckende Abschaltungen, so Krim-Verwaltungschef Sergej Aksjonow, seien leider unvermeidlich. In Spitzenzeiten - morgens und abends - würden bis zu 800 Megawatt gebraucht, verfügbar seien derzeit maximal 350. Seinen Worten nach arbeitet ein Krisenstab bereits an einem Plan für die Grundversorgung von Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur.
Priorität haben große Städte wie Simferopol und Jalta. Sonntagmittag hieß es im regionalen Energieministerium, derzeit könnten bereits 27 Prozent der Haushalte zumindest zeitweilig versorgt werden. Die Bevölkerung werde alle zwei Stunden informiert, wer wann und für wie lange zugeschaltet wird. Zwar sind Krankenhäuser nicht betroffen. Sie verfügen über eigene Anlagen, die auch mehrtägigen Stromausfall kompensieren können. Doch Restaurants, Nachtklubs und teilweise sogar Geschäfte haben geschlossen, die Straßenbeleuchtung, so berichtet der Korrespondent der amtlichen russischen Nachrichtenagentur TASS, funktioniere ebenfalls nicht.
Nicht einmal Verwaltungschef Aksjonow wollte einen konkreten Termin nennen, wann der Strom wieder ungehindert aus der Steckdose fließt. Subalterne drohten zudem mit »Minimalisierung« des Fahrplans für Trolleybusse, in den Krim-Städten das wichtigste Nahverkehrsmittel. Auch Probleme mit der Fernwärme-Versorgung wollte er nicht ausschließen. Zurzeit allerdings sind die Temperaturen auf der subtropischen Halbinsel erträglich. Sonntagmittag wurden 15 Grad plus gemessen.
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