Nach deutschem Reinheitsgebot?

Vietnams Staatspräsident besucht erstmals die Bundesrepublik

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Deutschlandbesuch von Truong Tan Sang bildet einen Höhepunkt im 40. Jubiläumsjahr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen der BRD mit Vietnam.

Die Brauerei Dai Viet in Hanoi braut 2015 ein Jubiläumsbier nach dem deutschen Reinheitsgebot von 1516. So jedenfalls kündigte es die deutsche Botschaft in Vietnam an. Das Jubiläum, das solcherart gewürdigt wird, ist der 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Vietnam und Deutschland. Im September 1975, knapp fünf Monate nach dem endgültigen Sieg des vietnamesischen Volkes über USA-Aggressoren und ihre einheimischen Schützlinge, vereinbarten die Bundesrepublik und die damalige Demokratische Republik Vietnam den Austausch von Botschaftern. Ein Vertreter der DDR war da bereits seit gut zwei Jahrzehnten in Hanoi.

Einen Höhepunkt des Jubiläumsjahres bildet der Deutschlandbesuch des vietnamesischen Staatspräsidenten Truong Tan Sang. Seit 2011 im Präsidentenamt der heutigen Sozialistischen Republik Vietnam, ist der 66-Jährige zugleich Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei - der einzigen Partei des Landes. Ihr Monopol begründet die KPV damit, dass sie Vietnams jahrzehntelangen opferreichen Kampf für Einheit und Unabhängigkeit angeführt hat. Zudem hat ihre 1986 eingeleitete Reformpolitik »Doi Moi« (Erneuerung) die politische und ökonomische Öffnung des Landes und eine bedeutende Verbesserung der Lebensbedingungen bewirkt.

Das deutsche Interesse an der 2011 deklarierten »strategischen Partnerschaft« mit der Sozialistischen Republik in Südostasien ist wohlbegründet: Vietnam ist einer der wirtschaftlich dynamischsten und investorenfreundlichsten Staaten der Region. Das ehrgeizige Ziel der KPV lautet, das Land mit seinen 90 Millionen Einwohnern bis 2020 in einen Industriestaat zu verwandeln. Inwieweit das realistisch ist, wird der 12. Parteitag der KPV Anfang 2016 einzuschätzen haben. Nach einer »Delle« im Jahre 2012, als das Bruttoinlandsprodukt »nur« noch um 5 Prozent zunahm, erreicht die Wachstumskurve 2015 wieder 6,5 Prozent. Binnen 20 Jahren sank die Armutsrate von 40 auf weniger als 10 Prozent. Am anderen Ende der sozialen Leiter hat die »sozialistisch orientierte Marktwirtschaft« auch einen ersten Dollarmilliardär hervorgebracht.

Entwicklungsimpulse erwartet die Führung in Hanoi ungeachtet aller Risiken von Freihandelsabkommen mit der EU ebenso wie mit Staaten der Pazifikregion, darunter die USA - auch um die große Abhängigkeit von China verringern zu können.

Innerhalb der EU, zweitgrößter Handelspartner Vietnams, nimmt Deutschland die Spitzenposition ein. Wobei die vietnamesischen Exporte doppelt so umfangreich sind wie die deutschen Exporte in die Gegenrichtung. Vom Volumen des bilateralen Handels im Jahre 2014 - 7,8 Milliarden Dollar - entfielen 5,2 Milliarden auf vietnamesische Lieferungen.

Beide Seiten betonen, dass etwa 125 000 Vietnamesen in Deutschland und rund 100 000 Deutsch sprechende Vietnamesen in ihrem Heimatland eine wertvolle Brücke zwischen beiden Staaten bilden. Wie sich die Zeiten wandeln: Noch in den 90ern wurden die aus der DDR übernommenen »Vertragsarbeiter« in der Bundesrepublik als Belastung empfunden. Heute werden in Vietnam Kräfte für die Altenpflege geworben.

Will Vietnam seine Position in der Weltwirtschaft verbessern, darauf hatte Präsident Sang in seiner Botschaft zum Mondneujahrsfest (Tet) im Februar hingewiesen, braucht es qualifizierte Arbeitskräfte. Die Berufsausbildung gehört denn auch zu den Schwerpunkten deutsch-vietnamesischer Entwicklungszusammenarbeit. Als »Leuchtturm« gilt die 2008 gegründete Vietnamesisch-Deutsche Universität nahe Ho-Chi-Minh-Stadt.

Was die »strategische Partnerschaft« im politischen Bereich betrifft, sähe Hanoi gerne, wenn die EU und Deutschland zur Beilegung des Konflikts mit China im vietnamesischen Ostmeer (dem Südchinesischen Meer) beitragen würden. Beim jüngsten Vietnam-Besuch des chinesischen Partei- und Staatschefs Xi Jinping erklärten beide Seiten zwar ihren Willen, Aktionen zu vermeiden, die den Streit um Inseln und Seegebiete verschärfen könnten, aber gelöst ist der Konflikt längst nicht.

Wenn Truong Tan Sang am Dienstag in Berlin eintrifft, folgt er übrigens seinem legendären Vorgänger Ho Chi Minh, dem ersten Präsidenten Vietnams, der schon 1957 die DDR besuchte. Fraglich nur, ob daran dieser Tage erinnert wird.

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