Der Aufstieg der Denguemücke
Der Klimawandel stellt die Länder Mittelamerikas vor große gesundheitspolitische Herausforderungen
Ob nun Pech oder Klimafolge, den Journalisten Mario Angúlo hat das Denguefieber erwischt. Und zwar hier oben in der Hauptstadt San José, nicht beim Wochenendtrip an die Pazifik- oder Karibikstrände Costa Ricas. Fast einen Monat lang war er arbeitsunfähig: »Erst habe ich gedacht, das sei eine schwere Grippe. Als dann Gelenk- und Knochenschmerzen dazukamen, schrillten bei mir die Alarmglocken.« Der junge Mann hatte sogar das sogenannte Hämorrhagische Denguefieber, das einen besonders schweren Verlauf hat, mit Blutungen einhergeht und lebensbedrohlich ist.
Überträgerin des Denguevirus ist Aedes aegypti, die schon gefährlich klingende ägyptische Tigermücke. Denn die hat es in sich. Der Moskito überträgt neben Dengue auch Gelbfieber und in Zentralamerika neuerdings auch Chikungunya - ebenfalls eine tropische Infektionskrankheit, die es früher aber nur in Afrika und Südasien gab. Die Tigermücke, auch Denguemücke genannt, ist zunächst Nutznießerin der Globalisierung des Handels. Aber auch den Klimawandel findet sie richtig gut. 2013 erlebte Zentralamerika eine der schlimmsten Dengue-Epidemien: fast 50 000 Infizierte in Costa Rica, gut 10 000 in Nicaragua, mindestens 60 Todesfälle zwischen Guatemala und Panama.
Im Zentrum von San José befindet sich das altehrwürdige Nationale Meteorologische Institut. Chefmeteorologe Juan Carlos Fallas sitzt in seinem holzvertäfelten Büro vor Aktenbergen und bunten Computerstatistiken. Die Auswirkungen des Klimawandels sind nach seinen Berechnungen in Zentralamerika dramatisch: Die Höchsttemperaturen könnten bis Ende des Jahrhunderts in einigen Regionen des Landes um bis zu acht Grad Celsius ansteigen. Aber auch der Anstieg der niedrigsten Temperaturen bereitet dem Meteorologen Sorgen, denn gerade dieser begünstigt die Ausbreitung der Tigermücke: »Früher hatten nur die Küstenregionen das Problem, heute haben wir den Moskito auch in der Hauptstadtregion auf über 1000 Meter Höhe. Das zeigt uns, dass es neben meteorologischen auch biologische Veränderungen durch den Klimawandel gibt.«
Der Aufstieg der Tigermücke erhöht in der Region die Fallzahlen von Dengue und Chikungunya, denn einige Millionenstädte Zentralamerikas liegen in Höhenlagen: Guatemala-Stadt auf 1500 Metern, Honduras’ Hauptstadt Tegucigalpa auf 900 Metern, San Salvador auf 650 Metern. Im letzten Jahr sind in San Salvador rund 20 000 Menschen an Chikungunya erkrankt. In Guatemala wurden erste Chikungunya-Fälle im August 2014 registriert, dieses Jahr sind es schon 26 000.
Nur einen Steinwurf entfernt vom Meteorologischen Institut in San José steht das ebenso geschichtsträchtige Hospital Calderón Guardia, Geburtsort und Symbol des öffentlichen Gesundheitssystems Costa Ricas. Das Krankenhaus sieht ein bisschen heruntergekommen aus, in Wartesälen und Gängen drängeln sich viel zu viele Patienten. Professor Marco Boza macht seinen täglichen Rundgang. Das Fachgebiet des 45-Jährigen sind tropische Infektionskrankheiten. An der Dengue- und Chikungunya-Front ist es in Costa Rica dieses Jahr relativ ruhig geblieben. Das könne sich aber jederzeit ändern, mahnt Boza: »Wo immer es die Tigermücke und Menschen gibt, können sich Dengue und Chikungunya ausbreiten, so wie es zuletzt 2013 passiert ist, als wir Zehntausende Dengue-Infizierte hatten.«
Mehr als die Behandlung der Symptome ist bei beiden Infektionen nicht drin, vor allem Flüssigkeitszufuhr und Paracetamol gegen die Schmerzen, auch Marihuana lindert. Während Dengue bei normalem Verlauf nach drei Wochen wieder abklingt, können bei Chikungunya über Monate starke Gliederschmerzen auftreten. Die Folgen sind nicht nur für das Gesundheitssystem dramatisch, weiß Professor Boza: »Man stelle sich vor, was das für eine Volkswirtschaft bedeutet, über Monate Arbeitskräfte zu verlieren, weil Zehntausende Menschen Chikungunya haben.«
Der Klimawandel, so Boza, habe das Auftreten verschiedener Krankheiten begünstigt. Grippewellen kommen nun früher und bleiben länger, Asthma und Bronchitis seien nicht mehr nur auf die früher so markante Regenzeit konzentriert, Durchfallerkrankungen nehmen durch den Temperaturanstieg und aufgrund plötzlicher Überschwemmungen deutlich zu. Denn auch die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung steht vor Herausforderungen: Der staatliche Versorger Costa Ricas, AyA, kämpft in der länger anhaltenden Trockenzeit mit rapide sinkenden Pegelständen und zunehmender Bakterienkonzentration in den Reservoirs. Starkregenereignisse bislang unbekannten Ausmaßes wie vor wenigen Wochen in San José spülen dagegen Fäkalien in das Frischwassernetz.
Ganze Regionen Zentralamerikas erleben schon jetzt, was Chefmeteorologe Fallas für die nächsten Jahrzehnte voraussagt: Im Norden Costa Ricas und an der Pazifikküste Nicaraguas wird es deutlich trockener, schon jetzt erreicht die Trinkwasserversorgung ein ums andere mal einen kritischen Punkt; für die Landwirtschaft ist die Dürre katastrophal. Für die Karibikküste werden dagegen dauerhaft steigende Niederschläge prognostiziert - Unwetter und Überschwemmungen wie in diesem Jahr könnten zur Regel werden, wodurch erhebliche Investitionen in Hochwasserschutz erforderlich werden.
Der Tigermücke das Wasser abgraben: Costa Ricas staatliche Krankenkasse wirbt in Massen- und sozialen Medien dafür, Gefäße, Autoreifen oder Regenrinnen trocken zu halten. El Salvador hat Trupps in Wohngegenden geschickt, um dem Moskito mit Insektiziden Herr zu werden. Weniger Mücken, weniger Erkrankungen, das gelte gerade in Zeiten des Klimawandels, sagt Professor Boza: »Wenn wir als Land, als Dorf, als Familie daran arbeiten, die Brutstätten des Moskitos zu vernichten, dann werden wir sehr schnell eine deutliche Verringerung der Infektionszahlen von Dengue und Chikungunya in ganz Lateinamerika sehen.«
Doch all das ist teuer. El Salvador hat im vergangenen Jahr 30 Millionen US-Dollar für die Eindämmung der Mückenplage und für den Ausbau von Behandlungskapazitäten in die Hand nehmen müssen. In Honduras und Guatemala, wo in den letzten Jahren Millionen Dollar durch Korruptionsskandale aus den öffentlichen Kassen verschwunden sind, fehlt Geld, das als Reaktion auf die Ausbreitung von Infektionskrankheiten, auf zunehmende Dürreperioden oder Überschwemmungskatastrophen benötigt wird. Auch aus diesem Grunde gilt Zentralamerika als eine der Weltregionen, die vom Klimawandel am schlimmsten betroffen sein werden.
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