Olympia geht unter

Sportdeutschland reagiert fassungslos auf Hamburgs Olympia-Aus - dabei ist längst eigenes Umdenken angesagt

Nachdem die Hamburger gegen eine Olympiabewerbung stimmten, reagieren Vertreter des Sports enttäuscht und erzürnt. Es ist jedoch nicht die erste Niederlage, die zur Selbstreflexion anregen sollte.

Das Ende seines Olympiatraums kam für Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz schneller als erwartet, und das machte ihn ziemlich schmallippig: »Ich hätte mir eine andere Entscheidung gewünscht, aber sie ist klar, und das Ergebnis ist zu akzeptieren«, kommentierte der SPD-Politiker das für ihn blamable Ergebnis beim Referendum am Sonntag und schwieg fortan. 51,6 Prozent der Wähler hatten gegen eine Bewerbung um die Sommerspiele 2024 gestimmt, nur 48,4 Prozent waren Scholz gefolgt. Da half auch nicht, dass 65 Prozent der Kieler für Segelwettbewerbe vor ihrer Küste gestimmt hatten.

Am Tag danach zeigten sich vor allem die Vertreter des deutschen Sports fassungslos: »Es ist eine Riesenenttäuschung für den Sport. Hamburg wurde als Kandidat ausgewählt, weil die Zustimmung in der Stadt als sicher galt. Dass es nun so gekommen ist, bedeutet für die Zukunft, dass die Olympischen Spiele in Deutschland für eine Generation lang kein Thema mehr sein werden«, drückte sich Clemens Prokop, Präsident der deutschen Leichtathleten, noch höflich aus.

Der ehemalige Zehnkampf-Europameister Pascal Behrenbruch war hingegen »sauer«, denn »wenn alle nur nach Fußball, Fußball, Fußball schreien und Leichtathletik, Schwimmen, Turnen an Bedeutung verlieren - wo soll das noch hinführen?« Hockeyolympiasieger Moritz Fürste wähnte sich gedanklich sogar schon auf dem Friedhof: »Sport in Deutschland ist tot. Ein so kurzsichtiges Denken habe ich den Menschen meiner Heimatstadt nicht zugetraut.«

Selbstkritische Töne waren nur vereinzelt zu vernehmen. So befand zwar auch Martin Engelhardt, dass sich Deutschland die Möglichkeit nehme, »für uns und die Welt andere Spiele in einem demokratischen und weltoffenen Land zu organisieren«. Doch der Präsident der Deutschen Triathlon Union stellte zugleich klar: »Der organisierte Sport muss selbstkritisch zur Kenntnis nehmen, dass das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung in den Sport und die Verbände durch das weltweit betriebene Doping und die zahlreichen Korruptionen in den internationalen Verbänden und bei der Vergabe von Sportgroßereignissen verloren gegangen ist.«

Was genau die Zustimmung zur Bewerbung von einst 68 Prozent in einer Umfrage aus dem Frühjahr auf nun unter 50 Prozent absacken ließ - selbst am Wahltag hatten die Demoskopen der Forschungsgruppe Wahlen noch eine Tendenz zur Zustimmung unter den Hamburgern ausgemacht -, wird wohl erst in den kommenden Wochen geklärt werden: Flüchtlingskrise, Terroranschläge in Paris, DFB-Affäre, oder die Weigerung des Bundes, noch vor dem Referendum Milliarden an Unterstützung für die hohen Olympiakosten zu garantieren - es gab viele Gründe beim Referendum mit Nein zu stimmen. »Wir haben einen Stimmungswandel in der Stadt bemerkt«, freute sich Florian Kasiske von der Initiative NOlympia. »Die Menschen sehen, dass es Sachen gibt, wo das Geld besser angelegt ist.«

Für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) war es hingegen bereits die vierte verlorene Kandidatur in nur elf Jahren, bei den letzten beiden Anläufen scheiterte man schon am Bürgervotum, bevor das IOC überhaupt ablehnen konnte. »Jeder von uns hat allen Grund, darüber nachzudenken: Was habe ich dazu beigetragen? Bin ich Teil der Lösung oder Teil des Problems«, forderte DOSB-Präsident Alfons Hörmann zur Selbstreflexion auf. Am kommenden Wochenende trifft sich der Verband zur Mitgliederversammlung in Hannover. Aus der erhofften Jubelveranstaltung wird nun ein Wundenlecken. Die meisten DOSB-Vertreter schlossen eine weitere baldige Bewerbung aber vorerst aus.

Zu dem Schluss gelangte auch Dagmar Freitag. Die Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses hielt es vielmehr »für geboten, uns eine Denkpause zu verordnen«. Möglicherweise hätten die handelnden Personen zu lange gedacht, Olympia sei ein Selbstläufer, glaubte die SPD-Politikerin. »Das ist es erkennbar nicht mehr.«

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