Bundeskabinett beschließt Militäreinsatz gegen IS-Miliz

Opposition bereitet Verfassungsklage vor / Kabinett entscheidet über Beteiligung an Militäreinsatz gegen Terrormiliz / Grüne verlangen klare Absage an Assad / Steinmeier: Nur Bomben reichen nicht

  • Lesedauer: 8 Min.

Update 15.00 Uhr: Grünen-Abgeordenete Katja Keul: Willkommenskultur ist für IS bedrohlicher als jede Bombe
Für «Planlos, sinnlos, rechtlos» hält die Grünen-Abgeordenete Katja Keul den Militäreinsatz der Bundeswehr gegen die IS-Miliz. Der Einsatz sei ein «Abschied vom Konsens der Völkergemeinschaft nach 1945, wonach Krieg nur durch die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen vermieden werden kann und muss!»

Statt Kampfeinsätzen fordert die Politikerin eine Willkommenskultur: «Was den IS hingegen wirklich getroffen und verunsichert hat, ist die Willkommenskultur gegenüber den muslimischen Flüchtlingen. Diese Verhaltensweise des verteufelten Westens stellt die eigene Existenzberechtigung des Islamischen Staates in Frage und wirkt bedrohlicher als jede Bombe. Eine gemeinsame Strategie sollte daher auch diesen Aspekt nicht aus den Augen verlieren», so Keul in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung.

Dietmar Bartsch: DIE LINKE stimmt geschlossen gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Syrien

Update 14.50 Uhr: Opposition bereitet Verfassungsklage gegen Bundeswehreinsatz vor
Die Linksfraktion erwägt eine Verfassungsklage gegen die Entscheidung der Bundesregierung für einen Bundeswehreinsatz in Syrien. «Wir sind in dieser Frage mit den Grünen zumindest im Gespräch», sagte der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch am Dienstag in Berlin. «Wir werden das genau analysieren.» Fachleute prüften, ob es ein ausreichendes Mandat für den geplanten Einsatz gebe. Es gebe dafür zumindest keine eindeutige rechtliche Grundlage, sagte Bartsch.

«Mit diesem Kabinettsbeschluss wird Deutschland zur Kriegspartei», sagte Bartsch. Die Bundesregierung verstoße mit dieser Entscheidung gegen ihren Amtseid. «Sie hält nicht Schaden von der Bevölkerung fern, sondern beschwört ihn geradezu herauf.

Update 14.15 Uhr: Wissenschaftliche Dienst hält Bundeswehreinsatz für zulässig
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hält den von der Regierung geplanten Militäreinsatz der Bundeswehr in Syrien für zulässig. In einem 21-seitigen »Sachstand« zur »Staatlichen Selbstverteidigung gegen Terroristen«, der dem »Tagesspiegel« vorliegt, stellten die Parlamentsjuristen fest, das Recht auf Selbstverteidigung aus Artikel 51 der UN-Charta biete zusammen mit der nach den Terrortaten von Paris verabschiedeten UN-Resolution 2249 eine »hinreichende völkerrechtliche Rechtsgrundlage für Militäreinsätze gegen den Islamischen Staat in Syrien«.

Update 13.30 Uhr: Grünen-Abgeordnete Brantner kann sich Ja zu Syrien-Einsatz vorstellen
Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner hat ihre Zustimmung zum deutschen Militäreinsatz im Kampf gegen die IS-Dschihadisten in Syrien in Aussicht gestellt, zugleich aber das Vorgehen der Bundesregierung kritisiert. »Ich könnte mir ein Ja vorstellen«, sagte Brantner der Nachrichtenagentur AFP mit Blick auf das am Dienstag vom Kabinett auf den Weg gebrachte Mandat. Sie schränkte aber ein, »das Hin und Her der Regierung« zur Kooperation mit Syriens Staatschef Baschar al-Assad und der »schwammige Mandatstext« ließen sie »doch sehr zweifeln«.

Bei den Grünen gibt es Zweifel an dem geplanten Bundeswehreinsatz, viele in der Partei vermissen ein politisches Konzept für Syrien. Die Fraktion berät am Nachmittag über ihre Haltung zu dem geplanten Militäreinsatz. Der Bundestag soll am Mittwoch erstmals über den Bundeswehr-Einsatz beraten und bereits am Freitag endgültig entscheiden.

Brantner, stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, betonte: »Ohne einen politischen Transformationsprozess in Syrien und Irak wird der selbsternannte Islamische Staat (IS) nicht zu bekämpfen sein.« Dennoch sei auch die militärische Bekämpfung notwendig.

Ein »Tabu« sei dabei aber unter anderem »eine Zusammenarbeit mit den syrischen Regierungstruppen; dies würde wie ein Rekrutierungsprogamm für den IS wirken«, sagte Brantner. Äußerungen von Koalitionspolitikern hatten am Montag zu Diskussionen darüber geführt, ob im Kampf gegen den IS auch mit den syrischen Regierungstruppen kooperiert werden solle. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) betonte dann aber, dass es eine Zusammenarbeit mit Truppen »unter Assads Kommando« nicht geben werde.

Update 9.30 Uhr: Bundeskabinett beschließt Militäreinsatz gegen IS-Miliz
Das Bundeskabinett hat am Dienstag den geplanten Einsatz der Bundeswehr gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beschlossen. Daran sollen bis zu 1200 Soldaten teilnehmen. Konkret geht es um die Beteiligung an den Luftangriffen gegen den IS in Syrien und im Irak. Das geplante Engagement der Bundeswehr ist eine Antwort Deutschlands auf die Terroranschläge von Paris vor gut zwei Wochen. Nach dem Kabinett muss der Bundestag noch zustimmen.

Der Einsatz soll zunächst auf ein Jahr befristet werden. So eine Befristung ist bei den Mandaten für Auslandseinsätze üblich. Die Bundeswehr soll mehrere »Tornado«-Aufklärungsjets einsetzen. Geplant ist zudem, mit einem Kriegsschiff einen französischen Flugzeugträger zu schützen. Darüber hinaus sollen ein Tankflugzeug, Satellitenaufklärung und Stabspersonal eingesetzt werden.

Bundeswehr gegen IS: Über 70 Prozent fürchten Terror

Berlin. Eine große Mehrheit der Bundesbürger befürchtet eine wachsende Anschlagsgefahr in Deutschland als Folge einer Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz gegen die Terrormiliz IS (Daesh). Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov rechnen 71 Prozent mit einer größeren Bedrohung, nur 18 Prozent glauben nicht daran. In der Bevölkerung ist der Rückhalt für die Mission mit bis zu 1.200 deutschen Soldaten trotz der Angst vor Anschlägen relativ hoch. 45 Prozent der Befragten sind dafür, 39 Prozent dagegen.

Bereits Ende der vergangenen Woche hatte eine Umfrage des »Politbarometers« ähnliche Ergebnisse gezeigt: 47 Prozent der Befragten sprachen sich für eine Beteiligung am Anti-IS-Einsatz aus, dagegen waren 46 Prozent. 74 Prozent befürchteten in dieser Umfrage, dass es in nächster Zeit auch in Deutschland zu Anschlägen kommt.

Die geplante Beteiligung erhöht aus Sicht des Chefs der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz, nicht weiter die Attentatsgefahr in Deutschland. »Das glaube ich nicht. Die Bedrohungslage ist hier spätestens seit den jüngsten Attentaten bei unserem Nachbarn Frankreich längst da«, sagte der rheinland-pfälzische SPD-Innenminister. »Der IS will nicht Staaten, sondern ein Wertesystem angreifen. Da gehören wir dazu.« Das werde eines der Topthemen der Herbst-Konferenz der Innenminister an diesem Donnerstag und Freitag in Koblenz sein.

Am Dienstag entscheidet das Bundeskabinett über die Beteiligung mehrerer deutscher »Tornado«-Aufklärungsflugzeuge, eines Tankflugzeugs und eines Kriegsschiffs am Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak. Der Einsatz soll - wie bei den Mandaten für Auslandseinsätze üblich - zunächst auf ein Jahr befristet sein und 134 Millionen Euro kosten. Nach einem Kabinettsbeschluss muss noch der Bundestag zustimmen.

Politisch bleibt die Beteiligung an dem Militäreinsatz umstritten. Die Linkspartei lehnt den Militäreinsatz ab. »Das ist ein klarer Tabubruch und unverantwortlich, denn damit wächst auch hierzulande die Terrorgefahr«, sagte Parteichef Bernd Riexinger den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Er sei ohne UN-Mandat auch »völkerrechtswidrig«.

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht sagte, »wer die Terroristen des Islamischen Staates bekämpfen will, der muss vor allem die Kungelei mit Saudi-Arabien und dem türkischen Terrorpaten Erdogan beenden, auf deren Unterstützung der IS bisher zählen kann und angewiesen ist«. Solange Berlin hier nicht den Kurs ändere, sei die Entsendung von bundeswehr-Soldaten »nicht nur verantwortungslos, sondern auch schlicht verlogen«. Terroristen des IS bekämpfe man »nicht mit noch mehr Bomben – im Gegenteil. Die von NATO-Staaten geführten Kriege um Öl und Gas im Irak, in Afghanistan oder Libyen und die selbstherrliche Arroganz des Westens, unliebsame Regime mit militärischen Mitteln zu destabilisieren und zu stürzen, haben die Terroristen erst stark gemacht«, sagte Wagenknecht.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte eine »politische Gesamtstrategie«. »Ein unkoordinierter Militäreinsatz birgt die Gefahr, dass sich die Situation zwischen den vielen Fronten sogar verschlechtert.« Die Partei will ihre Zustimmung zum geplanten Anti-IS-Einsatz zudem an ein klares Nein der Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den Assad-Truppen knüpfen. »Assads Mörderbanden sind die Hauptfluchtursache aus Syrien, es wäre fatal, sie als Bodentruppen des Westens einzusetzen«, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir der »Rheinischen Post«. Deshalb verlange er »eine klare Positionierung der Bundesregierung zu diesen Fragen noch vor der Abstimmung über ein Mandat der Bundeswehr«. Der Kampf gegen den IS könne niemals erfolgreich sein, »wenn wir uns mit Assad und seinen Schergen gemeinmachen«.

Der Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze sieht für den geplanten Bundeswehr-Einsatz keine eindeutige Rechtsgrundlage. Der UN-Sicherheitsrat habe niemanden ermächtigt, bewaffnete Gewalt gegen Syrien anzuwenden, sagte der Bochumer Universitätsprofessor am Dienstag dem Deutschlandradio Kultur. Zwar liege eine Resolution des Gremiums vor, die die Anschläge der Terrormiliz Islamischer Staat als Bedrohung des Weltfriedens verurteile. Allerdings fehle der Resolution die Rechtsverbindlichkeit, weil sie nicht ausdrücklich Bezug nehme auf die Charta der Vereinten Nationen.

Auch Verweise auf das Grundgesetz hält Heintze für problematisch. »Artikel 24 und 25 reden davon, dass Maßnahmen eines kollektiven Sicherheitssystems durch Deutschland mitgetragen werden - und man kann natürlich argumentieren, dass die Europäische Union in ihrer militärischen Komponente eben auch ein System kollektiver Sicherheit ist.« Über diesen Weg ließe sich Frankreich unterstützen. Das Problem sei jedoch, dass dies dann ohne Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates »in einer rechtlichen Grauzone« stattfinde.

Dass Frankreich den europäischen Bündnisfall zum Zweck der Selbstverteidigung ausgerufen hat, hält der Völkerrechtler ebenfalls für schwierig: »Es muss erst ein Angriff erfolgen auf mein Territorium, und das Problem in Frankreich ist, dass die Täter, die diese Anschläge ausgeführt haben, französische beziehungsweise belgische Staatsangehörige waren - und insofern ist schwer zu erkennen, wo jetzt eigentlich die Dimension liegt, dass ein fremder Akteur Frankreich angegriffen hat.«

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte dagegen dafür geworben, »alle Kräfte« für den Kampf gegen den IS zu mobilisieren - auch die syrischen Regierungstruppen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte ihrerseits einschränkend gesagt, eine Zusammenarbeit mit syrischen Regierungstruppen »unter Assads Kommando« werde es nicht geben. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), sagte der »Passauer Neuen Presse«: »Der IS-Terrorismus darf nicht mit dem syrischen Staatsterrorismus bekämpft werden. Das würde uns jede Glaubwürdigkeit nehmen.«

Eine US-geführte Koalition fliegt seit mehr als einem Jahr Luftangriffe gegen die Dschihadisten. Auch Russland fliegt Luftschläge in Syrien. Das britische Parlament entscheidet voraussichtlich am Mittwochabend über Regierungspläne, die Luftschläge gegen den IS im Irak auf Syrien auszudehnen.

Steinmeier verteidigte die Entsendung deutscher Tornados und Tankflugzeuge nach Syrien und mahnte zugleich einen »langen Atem« zur Lösung des Konfliktes an. »Wir tun das, was militärisch gebraucht wird, wir am besten können und politisch verantworten können«, sagte er der »Bild«-Zeitung. »Aber es bleibt meine Überzeugung: Mit Bomben und Raketen allein ist Terror nicht zu besiegen, das geht letztlich nur politisch.« Daher müssten alle entscheidenden internationalen Akteure an den Verhandlungstisch gebracht haben. Agenturen/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.