Krim droht gefährliche Seeblockade

Halbinsel leidet weiter unter Stromsperren / Angst vor Umweltkatastrophe

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Schwarzmeer-Halbinsel Krim verfügt wieder über etwas mehr Strom, hat aber immer noch zu viele Probleme.

Der erste Strang einer neuen Hochspannungsleitung durch die 4500 Meter breite Straße von Kertsch versorgt seit einigen Tagen die Halbinsel Krim von Russland aus mit Strom. Die Reise des Präsidenten in die 1400 Kilometer von Moskau entfernte südrussische Region Krasnodar zur Inbetriebnahme bot spektakuläre Bilder. Insgesamt soll die neue Leitung schon zur Monatsmitte 400 Megawatt liefern: Knapp die Hälfte der geplanten Leistung nach Bauende im Frühjahr. Doch das klappt nur, wenn die Stürme ausbleiben, die im Winter oft sogar den Fährverkehr in der Meerenge lahm legen.

Doch bis dahin fließen durch den von Wladimir Putin angeschlossenen Strang nur 100 Megawatt. Das Ministerium für Katastrophenschutz hält Wärmestuben vor. Darin kann übernachtet werden. Auf zentralen Plätzen sind Feldküchen in Stellung gegangen, die heißes Wasser, Tee und Essen kostenlos ausgeben.

Stromausfälle, allerdings von kürzerer Dauer, habe es auch gegeben, als die Krim noch zur Ukraine gehörte, sagen Betroffene. Doch von Kiew hätten nie so viel Zuwendung erfahren, wie jetzt von Moskau.

Doch nur ein Fünftel aller Supermärkte kann mit eigenen Dieselaggregaten leicht verderbliche Waren konstant kühlen, den Rest nur dann, wenn Strom aus der Steckdose kommt. 85 der insgesamt 170 Lebensmittel-Supermärkte in der Krim-Hauptstadt Simferopol mussten daher bereits schließen, schreibt die Tageszeitung »Kommersant«. Brot wird, weil die Öfen mit Strom arbeiten, ebenfalls schon knapp. Mehr als 9500 Laibe täglich sind nicht drin. Für 350 000 Einwohner. Bei Medikamenten dagegen gibt es keine Engpässe. Noch nicht: Ohne Strom kein Internet, ohne Netz keine Bestellungen und kein Zahlungsverkehr.

Zu allem Überfluss droht weiteres Ungemach: eine Seeblockade. Sie gefährdet nicht nur die Arbeiten an der »Energiebrücke«, sondern auch den Nachschub an lebenswichtigen Gütern vom russischen Festland. So jedenfalls sieht es ein »Mehrstufenplan« der Krimtataren vor, die Moskau als Besatzungsmacht wahrnehmen. Beim Volksentscheid zum Russland-Beitritt im März 2014 stimmten sie mehrheitlich mit »Nein«. Moskau antwortete darauf mit einem Verbot ihrer Interessenvertretung - der Medschlis, Einreisesperren für deren Führer und Schließung ihres oppositionellen TV-Senders.

Krimtataren - zwölf Prozent der Krimbevölkerung - konterten Ende September mit Straßenblockaden und behinderten später die Reparatur der gesprengten Stromleitungen. Ob sie an der Zerstörung selbst beteiligt waren, darüber gehen die Meinungen in Moskau und Kiew auseinander. Details der nun angedrohten Seeblockade ließ Medschlis-Sprecher Lenur Isljamow offen. Dass sie jetzt anlaufen soll, erklären Beobachter mit den Spannungen zwischen Moskau und Ankara. Die Krimtataren sind ethnische Verwandte der Türken.

Pragmatiker - sogar in der eigenen Volksgruppe - warnen indes: Für eine Seeblockade fehlen Mittel wie Kräfte. Zur Deeskalation zwinge zudem eine drohende Umweltkatastrophe. In der Tat: Durch die Sprengung der Leitungsmastern ist auch die Stromversorgung im ukrainischen Gebiet Cherson unterbrochen. Dadurch wiederum sind zeitweise auch die Schutzsysteme von Giftmüll-Deponien abgeschaltet. In einer davon lagern, wir russische Zeitungen schreiben, 150 Tonnen Salzsäure. In einer anderen befindet sich die doppelte Menge Chlor. Beide würden sich bei einem Unfall auf einem Gebiet von mehr als 100 Quadratkilometern ausbreiten. Teile der Region und Gebiete im Norden der Krim müssten dann evakuiert werden.

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