Im Eilverfahren zur Pflegestufe
Rund um die Pflege
Bei einem Sturz zog sich Herr P. einen komplizierten Beinbruch zu. Er wurde operiert und liegt noch im Krankenhaus. Seine Frau ist vor zwei Jahren verstorben, und die Kinder fragen sich, wie es nach der Entlassung des Vaters weitergehen soll.
Der Sozialdienst des Krankenhauses regte eine anschließende Reha an, die bewilligt worden ist. Diese sogenannte Anschlussheilbehandlung soll Herrn P. in die Lage versetzen, sich zu Hause weitestgehend allein versorgen zu können. In den meisten Fällen gelingt das auch.
Begutachtung innerhalb einer Woche möglich
Doch was ist, wenn das nicht der Fall ist? »Zeichnet sich das gegen Ende der Reha ab, wird noch in der Einrichtung ein Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung gestellt. Es erfolgt innerhalb einer Woche eine Begutachtung. Die entscheidet, ob eine vorläufige Pflegestufe bewilligt wird. Wird sie zuerkannt, kann Herr P. dementsprechend Geld- oder Sachleistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen«, gibt Sylke Wetstein von der Compass-Pflegeberatung dazu Auskunft.
In diesem Fall handelt es sich um eine Schnelleinstufung, mit der die Versorgung im häuslichen Umfeld sichergestellt werden soll. Die Kinder von Herrn P. können, wenn der Vater noch Hilfebedarf hat, auch einen ambulanten Dienst engagieren.
Pflegekasse muss nach fünf Wochen neu entscheiden
Diesem Eilverfahren folgt dann jedoch noch eine erneute Begutachtung des Vaters bei ihm zu Hause. Innerhalb von fünf Wochen muss die Pflegekasse entschieden haben, ob die Pflegebedürftigkeit fortbesteht oder nicht. Stellt sich heraus, dass die Voraussetzungen für eine Pflegestufe nicht mehr gegeben sind, erlischt jeglicher Leistungsanspruch - mit dem Datum des neuen Bescheids. Die bis dahin entstandenen Kosten für einen Pflegedienst werden jedoch mit der Pflegekasse abgerechnet. Herr P. muss diese nicht selbst tragen.
Wird dagegen die Pflegebedürftigkeit weiterhin festgestellt, bleiben Pflegestufe und Ansprüche bestehen. Herr P. kann der jeweiligen Stufe entsprechend Pflegegeld, Sachleistungen oder eine Kombination aus beidem nutzen.
Die stundenweise Verhinderungspflege
In einem anderen Fall pflegt Gisela M. ihren an Demenz erkrankten Mann mit Pflegestufe I seit zwei Jahren. In dieser Zeit hat sie sich selbst immer mehr zurückgenommen. Jetzt aber rät ihr Hausarzt, dass sie sich mehr um sich selbst kümmern und sich ein paar Stunden Auszeit gönnen müsse, etwa beim Seniorensport oder Theaterbesuch. Aber was wird in dieser Zeit mit ihrem Mann?
In diesem Fall verweist Sylke Wetstein von der Compass-Pflegeberatung auf die Verhinderungspflege als dafür vorgesehene Leistung der Pflegeversicherung. Frau M. sollte diese bei der Pflegekasse ihres Mannes für die Stunden ihrer Abwesenheit beantragen. Zuvor muss sie allerdings klären, wer für die Zeit, in der sie außer Haus ist, ihren Part übernehmen kann. Da das Ehepaar in guter Nachbarschaft lebt, käme beispielsweise die rüstige Rentnerin von nebenan infrage.
Gisela M. nahm daraufhin Kontakt zur Pflegeversicherung ihres Mannes auf. Denn ihrem Mann stehen im Jahr 1612 Euro zu, die auch für die Bezahlung einer stundenweisen Ersatzkraft eingesetzt werden können - bei Weiterzahlung des vollen Pflegegeldes.
Letzteres trifft aber nur zu, wenn die Ersatzpflegerin tatsächlich die Nachbarin oder eine andere, nicht bis zum zweiten Grad verwandte oder verschwägerte Person ist. Es ist auch möglich, zusätzlich bis zu 50 Prozent der Mittel für die Kurzzeitpflege - also maximal 806 Euro - für Kosten der Verhinderungspflege auszugeben. Dann steht allerdings - falls tatsächlich Kurzzeitpflege in Anspruch genommen werden muss - nur noch die andere Hälfte dafür zur Verfügung.
Entscheidend bei der stundenweisen Verhinderungspflege ist, dass genau die Zeit abgerechnet wird, in der Frau M. als regulär pflegende Person abwesend ist. Wenn es weniger als acht Stunden sind, wird das Pflegegeld in voller Höhe weiter gezahlt. Sind es mehr, gibt es nur noch die Hälfte.
Kombinierter Anspruch aus Verhinderungs- und Kurzzeitpflege möglich
Frau M. benötigt für die Sportgruppe mit Hin- und Rückfahrt zwei Stunden, für einen Theaterbesuch etwa doppelt so lange. Wenn Frau M. mit der Nachbarin vereinbart, dass ihr für die Hilfe zehn Euro pro Stunde gezahlt werden - dann könnte sie sich 161 Stunden Freizeit mit dem Anspruch auf Verhinderungspflege beziehungsweise 241 Stunden mit dem kombinierten Anspruch aus Verhinderungs- und Kurzzeitpflege ihres Mannes »erkaufen«. Die Nachbarin quittiert den Erhalt des Geldes, die Belege gehen an die Pflegekasse von Herrn M. Diese erstattet den ausgelegten Betrag in der Regel zeitnah.
Bei einigen Pflegekassen besteht die Möglichkeit einer direkten Abrechnung. Auf speziellen Formularen bestätigen Ersatzperson und Pflegebedürftiger mit ihren Unterschriften, wann und zu welchem Preis beispielsweise die Nachbarin tätig geworden ist. In diesen Fällen überweist die Pflegekasse den entsprechenden Betrag direkt auf das Konto der Nachbarin.
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